Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.VOLKSTRIBUNAT UND DECEMVIRN. zwölf Tafeln. Dass dasselbe Neuerungen, abgesehen von po-lizeilichen und blossen Zweckmässigkeitsbestimmungen, im Ganzen nicht enthalten konnte, leuchtet ein. Selbst zur Mil- derung der Schuldgesetze geschah nichts anderes als dass ein -- wahrscheinlich sehr niedriges -- Zinsmaximum (8 1/3 Pro- cent) verordnet und der Wucherer mit schwerer Strafe -- cha- rakteristisch genug mit einer weit schwereren als der Dieb -- bedroht ward; der strenge Schuldprozess ward wenigstens in seinen Hauptzügen nicht geändert. Aenderungen der ständi- schen Rechte waren begreiflicher Weise noch weniger beab- sichtigt; der Unterschied zwischen Ansässigen und Nichtan- sässigen, die Ungültigkeit der Ehe zwischen Adlichen und Bürgerlichen wurden vielmehr aufs Neue im Stadtrecht bestä- tigt, ebenso zur Beschränkung der Beamtenwillkür und zum Schutz des Bürgers ausdrücklich vorgeschrieben, dass das spätere Gesetz durchaus dem früheren vorgehen und dass kein Volksschluss gegen einen einzelnen Bürger erlassen werden solle. Am bemerkenswerthesten ist die Ausschliessung der Provocation in Capitalsachen an die Tributcomitien, während die an die Centurien gewährleistet ward; was sich nur dadurch erklärt, dass die Abschaffung der tribunicischen Gewalt und folglich auch der tribunicischen Criminalprozesse beabsichtigt war. Die wesentliche politische Bedeutung lag weit weniger in dem Inhalt des Weisthums als in der jetzt förmlich fest- gestellten Verpflichtung der Consuln, nach diesen Prozessfor- men und diesen Rechtsregeln Recht zu sprechen, und in der öffentlichen Aufstellung des Gesetzbuchs, wodurch die Rechts- verwaltung der Controle der Publicität unterworfen und der Consul genöthigt ward allen gleiches und wahrhaft gemeines Recht zu sprechen. So war das Stadtrecht vollendet; es blieb den Zehnmännern VOLKSTRIBUNAT UND DECEMVIRN. zwölf Tafeln. Daſs dasselbe Neuerungen, abgesehen von po-lizeilichen und bloſsen Zweckmäſsigkeitsbestimmungen, im Ganzen nicht enthalten konnte, leuchtet ein. Selbst zur Mil- derung der Schuldgesetze geschah nichts anderes als daſs ein — wahrscheinlich sehr niedriges — Zinsmaximum (8⅓ Pro- cent) verordnet und der Wucherer mit schwerer Strafe — cha- rakteristisch genug mit einer weit schwereren als der Dieb — bedroht ward; der strenge Schuldprozeſs ward wenigstens in seinen Hauptzügen nicht geändert. Aenderungen der ständi- schen Rechte waren begreiflicher Weise noch weniger beab- sichtigt; der Unterschied zwischen Ansässigen und Nichtan- sässigen, die Ungültigkeit der Ehe zwischen Adlichen und Bürgerlichen wurden vielmehr aufs Neue im Stadtrecht bestä- tigt, ebenso zur Beschränkung der Beamtenwillkür und zum Schutz des Bürgers ausdrücklich vorgeschrieben, daſs das spätere Gesetz durchaus dem früheren vorgehen und daſs kein Volksschluſs gegen einen einzelnen Bürger erlassen werden solle. Am bemerkenswerthesten ist die Ausschlieſsung der Provocation in Capitalsachen an die Tributcomitien, während die an die Centurien gewährleistet ward; was sich nur dadurch erklärt, daſs die Abschaffung der tribunicischen Gewalt und folglich auch der tribunicischen Criminalprozesse beabsichtigt war. Die wesentliche politische Bedeutung lag weit weniger in dem Inhalt des Weisthums als in der jetzt förmlich fest- gestellten Verpflichtung der Consuln, nach diesen Prozeſsfor- men und diesen Rechtsregeln Recht zu sprechen, und in der öffentlichen Aufstellung des Gesetzbuchs, wodurch die Rechts- verwaltung der Controle der Publicität unterworfen und der Consul genöthigt ward allen gleiches und wahrhaft gemeines Recht zu sprechen. So war das Stadtrecht vollendet; es blieb den Zehnmännern <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0197" n="183"/><fw place="top" type="header">VOLKSTRIBUNAT UND DECEMVIRN.</fw><lb/> zwölf Tafeln. 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Was<lb/> der Grund davon war, ist schwer zu sagen; wahrscheinlich<lb/> fürchtete die Regierungspartei, daſs beim Wiedereintreten der<lb/> Consuln die Erneuerung auch des tribunicischen Collegiums<lb/> gefordert werden würde, und wartete wenigstens auf einen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [183/0197]
VOLKSTRIBUNAT UND DECEMVIRN.
zwölf Tafeln. Daſs dasselbe Neuerungen, abgesehen von po-
lizeilichen und bloſsen Zweckmäſsigkeitsbestimmungen, im
Ganzen nicht enthalten konnte, leuchtet ein. Selbst zur Mil-
derung der Schuldgesetze geschah nichts anderes als daſs ein
— wahrscheinlich sehr niedriges — Zinsmaximum (8⅓ Pro-
cent) verordnet und der Wucherer mit schwerer Strafe — cha-
rakteristisch genug mit einer weit schwereren als der Dieb —
bedroht ward; der strenge Schuldprozeſs ward wenigstens in
seinen Hauptzügen nicht geändert. Aenderungen der ständi-
schen Rechte waren begreiflicher Weise noch weniger beab-
sichtigt; der Unterschied zwischen Ansässigen und Nichtan-
sässigen, die Ungültigkeit der Ehe zwischen Adlichen und
Bürgerlichen wurden vielmehr aufs Neue im Stadtrecht bestä-
tigt, ebenso zur Beschränkung der Beamtenwillkür und zum
Schutz des Bürgers ausdrücklich vorgeschrieben, daſs das
spätere Gesetz durchaus dem früheren vorgehen und daſs kein
Volksschluſs gegen einen einzelnen Bürger erlassen werden
solle. Am bemerkenswerthesten ist die Ausschlieſsung der
Provocation in Capitalsachen an die Tributcomitien, während
die an die Centurien gewährleistet ward; was sich nur dadurch
erklärt, daſs die Abschaffung der tribunicischen Gewalt und
folglich auch der tribunicischen Criminalprozesse beabsichtigt
war. Die wesentliche politische Bedeutung lag weit weniger
in dem Inhalt des Weisthums als in der jetzt förmlich fest-
gestellten Verpflichtung der Consuln, nach diesen Prozeſsfor-
men und diesen Rechtsregeln Recht zu sprechen, und in der
öffentlichen Aufstellung des Gesetzbuchs, wodurch die Rechts-
verwaltung der Controle der Publicität unterworfen und der
Consul genöthigt ward allen gleiches und wahrhaft gemeines
Recht zu sprechen.
So war das Stadtrecht vollendet; es blieb den Zehnmännern
nur noch übrig die beiden letzten Tafeln zu publiciren und
alsdann der ordentlichen Magistratur Platz zu machen. Sie
zögerten indeſs; unter dem Vorwande, daſs das Gesetz noch
immer nicht fertig sei, führten sie selbst nach Verlauf des
Amtsjahres ihr Amt weiter, was nach römischem Staatsrecht
möglich war, da auch der auf Zeit bestellte Beamte erst durch
Niederlegung des Amtes Beamter zu sein aufhörte. Was
der Grund davon war, ist schwer zu sagen; wahrscheinlich
fürchtete die Regierungspartei, daſs beim Wiedereintreten der
Consuln die Erneuerung auch des tribunicischen Collegiums
gefordert werden würde, und wartete wenigstens auf einen
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