Spurius Oppius im Gefängniss sich das Leben nahmen, die acht andern ins Exil gingen und der Staat ihr Vermögen ein- zog. Weitere gerichtliche Verfolgungen hemmte der kluge und gemässigte Volkstribun Marcus Duilius durch rechtzeitigen Ge- brauch seines Veto.
So lautet die Erzählung, die wie gewöhnlich die Anlässe ausmalt und die Ursachen zurücktreten lässt. Es sind nicht die einzelnen Schandthaten der Zehnmänner, die die Erneue- rung der tribunicischen Gewalt provocirten. Die Plebejer büss- ten durch deren Untergang die einzige ihnen zugängliche politische Stellung ein und es ist begreiflich, dass es den Führern mit dem Verzicht auf dieselbe vielleicht niemals Ernst war, dass sie wenigstens die erste Gelegenheit ergriffen um dem Volke darzuthun, dass der todte Buchstabe keineswegs dem tribunicischen Arm vergleichbar sei. Der Uebermuth des Adels, der seltsamer Weise zu den Zehnmännern seine eifrig- sten Vorfechter ausgelesen hatte, kam ihnen auf halbem Wege entgegen und so zerriss der Unverstand der Parteien wie Spinneweben den Einigungsplan. -- Der neue Vergleich fiel wie natürlich durchaus zu Gunsten der Plebejer aus und be- schränkte in empfindlicher Weise die Gewalt des Adels. Dass das dem Adel abgedrungene Stadtrecht, dessen beide letz- ten Tafeln nachträglich publicirt wurden, in dem Vergleich festgehalten und die Consuln danach zu richten verpflich- tet wurden, versteht sich von selbst. Dadurch verloren allerdings die Tribus die Gerichtsbarkeit in Capitalsachen; allein zum reichlichen Ersatz dafür ward verordnet, dass künftig jeder Magistrat, also auch der Dictator bei seiner Ernennung verpflichtet werden müsse, der Provocation statt- zugeben; wer dem zuwider einen Beamten ernannte, büsste mit dem Kopfe und galt als vogelfrei. Den Tribunen blieb in dem Recht auf Geldbussen unbeschränkt zu erkennen und diesen Spruch an die Tributcomitien zu bringen ein ausrei- chendes Mittel die bürgerliche Existenz ihres Gegners zu ver- nichten. Neu war es, dass den Tribunen und ihren Comitien Einfluss eingeräumt ward auf die Administration und die Fi- nanzen. Die Verwaltung der Kriegskasse ward den Consuln abgenommen und zweien Zahlmeistern (quaestores) übertragen, die von den Tribunen in ihren Comitien, jedoch aus dem Adel ernannt wurden; dies waren die ersten ,Gemeindebelie- bungen', denen unbestrittene Rechtskraft zukam und um deren willen desshalb auch den Tribunen das Recht der Vogelschau
VOLKSTRIBUNAT UND DECEMVIRN.
Spurius Oppius im Gefängniſs sich das Leben nahmen, die acht andern ins Exil gingen und der Staat ihr Vermögen ein- zog. Weitere gerichtliche Verfolgungen hemmte der kluge und gemäſsigte Volkstribun Marcus Duilius durch rechtzeitigen Ge- brauch seines Veto.
So lautet die Erzählung, die wie gewöhnlich die Anlässe ausmalt und die Ursachen zurücktreten läſst. Es sind nicht die einzelnen Schandthaten der Zehnmänner, die die Erneue- rung der tribunicischen Gewalt provocirten. Die Plebejer büſs- ten durch deren Untergang die einzige ihnen zugängliche politische Stellung ein und es ist begreiflich, daſs es den Führern mit dem Verzicht auf dieselbe vielleicht niemals Ernst war, daſs sie wenigstens die erste Gelegenheit ergriffen um dem Volke darzuthun, daſs der todte Buchstabe keineswegs dem tribunicischen Arm vergleichbar sei. Der Uebermuth des Adels, der seltsamer Weise zu den Zehnmännern seine eifrig- sten Vorfechter ausgelesen hatte, kam ihnen auf halbem Wege entgegen und so zerriſs der Unverstand der Parteien wie Spinneweben den Einigungsplan. — Der neue Vergleich fiel wie natürlich durchaus zu Gunsten der Plebejer aus und be- schränkte in empfindlicher Weise die Gewalt des Adels. Daſs das dem Adel abgedrungene Stadtrecht, dessen beide letz- ten Tafeln nachträglich publicirt wurden, in dem Vergleich festgehalten und die Consuln danach zu richten verpflich- tet wurden, versteht sich von selbst. Dadurch verloren allerdings die Tribus die Gerichtsbarkeit in Capitalsachen; allein zum reichlichen Ersatz dafür ward verordnet, daſs künftig jeder Magistrat, also auch der Dictator bei seiner Ernennung verpflichtet werden müsse, der Provocation statt- zugeben; wer dem zuwider einen Beamten ernannte, büſste mit dem Kopfe und galt als vogelfrei. Den Tribunen blieb in dem Recht auf Geldbuſsen unbeschränkt zu erkennen und diesen Spruch an die Tributcomitien zu bringen ein ausrei- chendes Mittel die bürgerliche Existenz ihres Gegners zu ver- nichten. Neu war es, daſs den Tribunen und ihren Comitien Einfluſs eingeräumt ward auf die Administration und die Fi- nanzen. Die Verwaltung der Kriegskasse ward den Consuln abgenommen und zweien Zahlmeistern (quaestores) übertragen, die von den Tribunen in ihren Comitien, jedoch aus dem Adel ernannt wurden; dies waren die ersten ‚Gemeindebelie- bungen‘, denen unbestrittene Rechtskraft zukam und um deren willen deſshalb auch den Tribunen das Recht der Vogelschau
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0199"n="185"/><fwplace="top"type="header">VOLKSTRIBUNAT UND DECEMVIRN.</fw><lb/>
Spurius Oppius im Gefängniſs sich das Leben nahmen, die<lb/>
acht andern ins Exil gingen und der Staat ihr Vermögen ein-<lb/>
zog. Weitere gerichtliche Verfolgungen hemmte der kluge und<lb/>
gemäſsigte Volkstribun Marcus Duilius durch rechtzeitigen Ge-<lb/>
brauch seines Veto.</p><lb/><p>So lautet die Erzählung, die wie gewöhnlich die Anlässe<lb/>
ausmalt und die Ursachen zurücktreten läſst. Es sind nicht<lb/>
die einzelnen Schandthaten der Zehnmänner, die die Erneue-<lb/>
rung der tribunicischen Gewalt provocirten. Die Plebejer büſs-<lb/>
ten durch deren Untergang die einzige ihnen zugängliche<lb/>
politische Stellung ein und es ist begreiflich, daſs es den<lb/>
Führern mit dem Verzicht auf dieselbe vielleicht niemals Ernst<lb/>
war, daſs sie wenigstens die erste Gelegenheit ergriffen um<lb/>
dem Volke darzuthun, daſs der todte Buchstabe keineswegs<lb/>
dem tribunicischen Arm vergleichbar sei. Der Uebermuth des<lb/>
Adels, der seltsamer Weise zu den Zehnmännern seine eifrig-<lb/>
sten Vorfechter ausgelesen hatte, kam ihnen auf halbem Wege<lb/>
entgegen und so zerriſs der Unverstand der Parteien wie<lb/>
Spinneweben den Einigungsplan. — Der neue Vergleich fiel<lb/>
wie natürlich durchaus zu Gunsten der Plebejer aus und be-<lb/>
schränkte in empfindlicher Weise die Gewalt des Adels. Daſs<lb/>
das dem Adel abgedrungene Stadtrecht, dessen beide letz-<lb/>
ten Tafeln nachträglich publicirt wurden, in dem Vergleich<lb/>
festgehalten und die Consuln danach zu richten verpflich-<lb/>
tet wurden, versteht sich von selbst. Dadurch verloren<lb/>
allerdings die Tribus die Gerichtsbarkeit in Capitalsachen;<lb/>
allein zum reichlichen Ersatz dafür ward verordnet, daſs<lb/>
künftig jeder Magistrat, also auch der Dictator bei seiner<lb/>
Ernennung verpflichtet werden müsse, der Provocation statt-<lb/>
zugeben; wer dem zuwider einen Beamten ernannte, büſste<lb/>
mit dem Kopfe und galt als vogelfrei. Den Tribunen blieb in<lb/>
dem Recht auf Geldbuſsen unbeschränkt zu erkennen und<lb/>
diesen Spruch an die Tributcomitien zu bringen ein ausrei-<lb/>
chendes Mittel die bürgerliche Existenz ihres Gegners zu ver-<lb/>
nichten. Neu war es, daſs den Tribunen und ihren Comitien<lb/>
Einfluſs eingeräumt ward auf die Administration und die Fi-<lb/>
nanzen. Die Verwaltung der Kriegskasse ward den Consuln<lb/>
abgenommen und zweien Zahlmeistern (<hirendition="#i">quaestores</hi>) übertragen,<lb/>
die von den Tribunen in ihren Comitien, jedoch aus dem<lb/>
Adel ernannt wurden; dies waren die ersten ‚Gemeindebelie-<lb/>
bungen‘, denen unbestrittene Rechtskraft zukam und um deren<lb/>
willen deſshalb auch den Tribunen das Recht der Vogelschau<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[185/0199]
VOLKSTRIBUNAT UND DECEMVIRN.
Spurius Oppius im Gefängniſs sich das Leben nahmen, die
acht andern ins Exil gingen und der Staat ihr Vermögen ein-
zog. Weitere gerichtliche Verfolgungen hemmte der kluge und
gemäſsigte Volkstribun Marcus Duilius durch rechtzeitigen Ge-
brauch seines Veto.
So lautet die Erzählung, die wie gewöhnlich die Anlässe
ausmalt und die Ursachen zurücktreten läſst. Es sind nicht
die einzelnen Schandthaten der Zehnmänner, die die Erneue-
rung der tribunicischen Gewalt provocirten. Die Plebejer büſs-
ten durch deren Untergang die einzige ihnen zugängliche
politische Stellung ein und es ist begreiflich, daſs es den
Führern mit dem Verzicht auf dieselbe vielleicht niemals Ernst
war, daſs sie wenigstens die erste Gelegenheit ergriffen um
dem Volke darzuthun, daſs der todte Buchstabe keineswegs
dem tribunicischen Arm vergleichbar sei. Der Uebermuth des
Adels, der seltsamer Weise zu den Zehnmännern seine eifrig-
sten Vorfechter ausgelesen hatte, kam ihnen auf halbem Wege
entgegen und so zerriſs der Unverstand der Parteien wie
Spinneweben den Einigungsplan. — Der neue Vergleich fiel
wie natürlich durchaus zu Gunsten der Plebejer aus und be-
schränkte in empfindlicher Weise die Gewalt des Adels. Daſs
das dem Adel abgedrungene Stadtrecht, dessen beide letz-
ten Tafeln nachträglich publicirt wurden, in dem Vergleich
festgehalten und die Consuln danach zu richten verpflich-
tet wurden, versteht sich von selbst. Dadurch verloren
allerdings die Tribus die Gerichtsbarkeit in Capitalsachen;
allein zum reichlichen Ersatz dafür ward verordnet, daſs
künftig jeder Magistrat, also auch der Dictator bei seiner
Ernennung verpflichtet werden müsse, der Provocation statt-
zugeben; wer dem zuwider einen Beamten ernannte, büſste
mit dem Kopfe und galt als vogelfrei. Den Tribunen blieb in
dem Recht auf Geldbuſsen unbeschränkt zu erkennen und
diesen Spruch an die Tributcomitien zu bringen ein ausrei-
chendes Mittel die bürgerliche Existenz ihres Gegners zu ver-
nichten. Neu war es, daſs den Tribunen und ihren Comitien
Einfluſs eingeräumt ward auf die Administration und die Fi-
nanzen. Die Verwaltung der Kriegskasse ward den Consuln
abgenommen und zweien Zahlmeistern (quaestores) übertragen,
die von den Tribunen in ihren Comitien, jedoch aus dem
Adel ernannt wurden; dies waren die ersten ‚Gemeindebelie-
bungen‘, denen unbestrittene Rechtskraft zukam und um deren
willen deſshalb auch den Tribunen das Recht der Vogelschau
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/199>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.