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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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AUSGLEICHUNG DER STAENDE.
Kämpfe im Ganzen geruht oder waren doch mit geringer
Energie verhandelt worden. Seitdem die plebejische Aristo-
kratie des Tribunats sich zu ihren Zwecken bemächtigt hatte,
war weder von der Domänenangelegenheit noch von dem
Creditwesen ernstlich die Rede gewesen; obwohl es weder
fehlte an neu gewonnenen Ländereien noch an verarmenden
oder verarmten Bauern. Einzelne Assignationen, namentlich
in neu gewonnenen Grenzgebieten, erfolgten wohl, so des ar-
deatischen Gebietes 312, des lavicanischen 336, des veienti-
schen 361, jedoch mehr aus militärischen Gründen als um
dem Bauer zu helfen und keineswegs in ausreichendem Um-
fang. Wohl machten einzelne Tribunen den Versuch das Ge-
setz des Cassius wieder aufzunehmen; so stellten Spurius
Maecilius und Spurius Metilius im Jahre 337 den Antrag auf
Auftheilung sämmtlicher Staatsländereien -- allein sie schei-
terten, charakteristisch genug für die damalige Situation, an
dem Widerstand ihrer eigenen Collegen, das heisst der plebe-
jischen Aristokratie. Auch unter den Patriciern versuchten
einzelne der gemeinen Noth zu helfen; allein mit nicht bes-
serem Erfolge wie einst Spurius Cassius. Patricier wie dieser
und wie dieser ausgezeichnet durch Kriegsruhm und persön-
liche Tapferkeit trat Marcus Manlius, der Retter der Burg
während der gallischen Belagerung, als Vorkämpfer auf für die
unterdrückten Leute, mit denen die Kriegskameradschaft und
der bittere Hass gegen seinen Rivalen, den gefeierten Feld-
herrn und optimatischen Parteiführer Marcus Furius Camillus
ihn verband. Als ein tapferer Offizier ins Schuldgefängniss
abgeführt werden sollte, trat Manlius für ihn ein und löste
ihn aus mit seinem Gelde; zugleich bot er seine Grundstücke
zum Verkauf aus, laut erklärend, dass so lange er noch einen
Fuss breit Landes besitze, solche Unbill nicht vorkommen solle.
Das war mehr als genug um die ganze Regimentspartei, Pa-
tricier wie Plebejer, gegen den gefährlichen Neuerer zu ver-
einigen. Der Hochverrathsprozess, die Anschuldigung der
beabsichtigten Erneuerung des Königthums wirkte mit jenem
tückischen Zauber stereotyp gewordener Parteiphrasen auf
die blinde Menge; sie selbst verurtheilte ihn zum Tode und
nichts trug sein Ruhm ihm ein als dass man das Volk zum
Blutgericht an einem Ort versammelte, von wo die Stimmen-
den den Burgfelsen nicht erblickten, den stummen Mahner an
die Rettung des Vaterlandes aus der höchsten Gefahr durch
die Hand desselben Mannes, welchen man jetzt dem Henker

AUSGLEICHUNG DER STAENDE.
Kämpfe im Ganzen geruht oder waren doch mit geringer
Energie verhandelt worden. Seitdem die plebejische Aristo-
kratie des Tribunats sich zu ihren Zwecken bemächtigt hatte,
war weder von der Domänenangelegenheit noch von dem
Creditwesen ernstlich die Rede gewesen; obwohl es weder
fehlte an neu gewonnenen Ländereien noch an verarmenden
oder verarmten Bauern. Einzelne Assignationen, namentlich
in neu gewonnenen Grenzgebieten, erfolgten wohl, so des ar-
deatischen Gebietes 312, des lavicanischen 336, des veienti-
schen 361, jedoch mehr aus militärischen Gründen als um
dem Bauer zu helfen und keineswegs in ausreichendem Um-
fang. Wohl machten einzelne Tribunen den Versuch das Ge-
setz des Cassius wieder aufzunehmen; so stellten Spurius
Maecilius und Spurius Metilius im Jahre 337 den Antrag auf
Auftheilung sämmtlicher Staatsländereien — allein sie schei-
terten, charakteristisch genug für die damalige Situation, an
dem Widerstand ihrer eigenen Collegen, das heiſst der plebe-
jischen Aristokratie. Auch unter den Patriciern versuchten
einzelne der gemeinen Noth zu helfen; allein mit nicht bes-
serem Erfolge wie einst Spurius Cassius. Patricier wie dieser
und wie dieser ausgezeichnet durch Kriegsruhm und persön-
liche Tapferkeit trat Marcus Manlius, der Retter der Burg
während der gallischen Belagerung, als Vorkämpfer auf für die
unterdrückten Leute, mit denen die Kriegskameradschaft und
der bittere Haſs gegen seinen Rivalen, den gefeierten Feld-
herrn und optimatischen Parteiführer Marcus Furius Camillus
ihn verband. Als ein tapferer Offizier ins Schuldgefängniſs
abgeführt werden sollte, trat Manlius für ihn ein und löste
ihn aus mit seinem Gelde; zugleich bot er seine Grundstücke
zum Verkauf aus, laut erklärend, daſs so lange er noch einen
Fuſs breit Landes besitze, solche Unbill nicht vorkommen solle.
Das war mehr als genug um die ganze Regimentspartei, Pa-
tricier wie Plebejer, gegen den gefährlichen Neuerer zu ver-
einigen. Der Hochverrathsprozeſs, die Anschuldigung der
beabsichtigten Erneuerung des Königthums wirkte mit jenem
tückischen Zauber stereotyp gewordener Parteiphrasen auf
die blinde Menge; sie selbst verurtheilte ihn zum Tode und
nichts trug sein Ruhm ihm ein als daſs man das Volk zum
Blutgericht an einem Ort versammelte, von wo die Stimmen-
den den Burgfelsen nicht erblickten, den stummen Mahner an
die Rettung des Vaterlandes aus der höchsten Gefahr durch
die Hand desselben Mannes, welchen man jetzt dem Henker

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[191/0205] AUSGLEICHUNG DER STAENDE. Kämpfe im Ganzen geruht oder waren doch mit geringer Energie verhandelt worden. Seitdem die plebejische Aristo- kratie des Tribunats sich zu ihren Zwecken bemächtigt hatte, war weder von der Domänenangelegenheit noch von dem Creditwesen ernstlich die Rede gewesen; obwohl es weder fehlte an neu gewonnenen Ländereien noch an verarmenden oder verarmten Bauern. Einzelne Assignationen, namentlich in neu gewonnenen Grenzgebieten, erfolgten wohl, so des ar- deatischen Gebietes 312, des lavicanischen 336, des veienti- schen 361, jedoch mehr aus militärischen Gründen als um dem Bauer zu helfen und keineswegs in ausreichendem Um- fang. Wohl machten einzelne Tribunen den Versuch das Ge- setz des Cassius wieder aufzunehmen; so stellten Spurius Maecilius und Spurius Metilius im Jahre 337 den Antrag auf Auftheilung sämmtlicher Staatsländereien — allein sie schei- terten, charakteristisch genug für die damalige Situation, an dem Widerstand ihrer eigenen Collegen, das heiſst der plebe- jischen Aristokratie. Auch unter den Patriciern versuchten einzelne der gemeinen Noth zu helfen; allein mit nicht bes- serem Erfolge wie einst Spurius Cassius. Patricier wie dieser und wie dieser ausgezeichnet durch Kriegsruhm und persön- liche Tapferkeit trat Marcus Manlius, der Retter der Burg während der gallischen Belagerung, als Vorkämpfer auf für die unterdrückten Leute, mit denen die Kriegskameradschaft und der bittere Haſs gegen seinen Rivalen, den gefeierten Feld- herrn und optimatischen Parteiführer Marcus Furius Camillus ihn verband. Als ein tapferer Offizier ins Schuldgefängniſs abgeführt werden sollte, trat Manlius für ihn ein und löste ihn aus mit seinem Gelde; zugleich bot er seine Grundstücke zum Verkauf aus, laut erklärend, daſs so lange er noch einen Fuſs breit Landes besitze, solche Unbill nicht vorkommen solle. Das war mehr als genug um die ganze Regimentspartei, Pa- tricier wie Plebejer, gegen den gefährlichen Neuerer zu ver- einigen. Der Hochverrathsprozeſs, die Anschuldigung der beabsichtigten Erneuerung des Königthums wirkte mit jenem tückischen Zauber stereotyp gewordener Parteiphrasen auf die blinde Menge; sie selbst verurtheilte ihn zum Tode und nichts trug sein Ruhm ihm ein als daſs man das Volk zum Blutgericht an einem Ort versammelte, von wo die Stimmen- den den Burgfelsen nicht erblickten, den stummen Mahner an die Rettung des Vaterlandes aus der höchsten Gefahr durch die Hand desselben Mannes, welchen man jetzt dem Henker

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/205>, abgerufen am 24.11.2024.