Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.ZWEITES BUCH. KAPITEL III. überlieferte (370). -- Während also die Reformversuche imKeim erstickt wurden, wurde das Missverhältniss immer schreien- der durch die bedeutende Erweiterung der Domanialbesitzungen in Folge der glücklichen Kriege, und andrerseits griff die Ueber- schuldung und Verarmung immer weiter in der Bauernschaft um sich, namentlich in Folge des schweren veientischen Krie- ges (348-358) und der Einäscherung der Hauptstadt bei dem gallischen Ueberfall (364). Zwar als es in dem veientischen Kriege nothwendig wurde die Dienstzeit der Soldaten zu ver- längern und sie statt nur für den Sommer auch den Winter hindurch unter den Waffen zu halten, und als die Bauernschaft, die vollständige Zerrüttung ihrer ökonomischen Lage voraus- sehend, im Begriff war ihre Einwilligung zu der Kriegserklä- rung zu verweigern, entschloss sich der Senat zu einer wich- tigen Concession: er übernahm den Sold, den bisher die Districte durch Umlage aufgebracht hatten, auf die Staatskasse, das heisst auf den Ertrag der indirecten Abgaben und der Domänen (348). Nur für den Fall, dass die Staatskasse au- genblicklich leer sei, wurde des Soldes wegen eine allgemeine Umlage (tributum) ausgeschrieben, die indess als gezwungene Anleihe betrachtet und von der Staatskasse späterhin zurück- gezahlt ward. Die Einrichtung war billig und weise; allein da das wesentliche Fundament, eine reelle Verwerthung der Domänen zum Besten der Staatskasse, ihr nicht gegeben ward, so kamen zu der vermehrten Last des Dienstes noch häufige Umlagen, die den kleinen Mann darum nicht weniger ruinirten, dass sie officiell nicht als Steuern, sondern als Vor- schüsse betrachtet wurden. Unter solchen Umständen, wo die plebejische Aristokratie ZWEITES BUCH. KAPITEL III. überlieferte (370). — Während also die Reformversuche imKeim erstickt wurden, wurde das Miſsverhältniſs immer schreien- der durch die bedeutende Erweiterung der Domanialbesitzungen in Folge der glücklichen Kriege, und andrerseits griff die Ueber- schuldung und Verarmung immer weiter in der Bauernschaft um sich, namentlich in Folge des schweren veientischen Krie- ges (348-358) und der Einäscherung der Hauptstadt bei dem gallischen Ueberfall (364). Zwar als es in dem veientischen Kriege nothwendig wurde die Dienstzeit der Soldaten zu ver- längern und sie statt nur für den Sommer auch den Winter hindurch unter den Waffen zu halten, und als die Bauernschaft, die vollständige Zerrüttung ihrer ökonomischen Lage voraus- sehend, im Begriff war ihre Einwilligung zu der Kriegserklä- rung zu verweigern, entschloſs sich der Senat zu einer wich- tigen Concession: er übernahm den Sold, den bisher die Districte durch Umlage aufgebracht hatten, auf die Staatskasse, das heiſst auf den Ertrag der indirecten Abgaben und der Domänen (348). Nur für den Fall, daſs die Staatskasse au- genblicklich leer sei, wurde des Soldes wegen eine allgemeine Umlage (tributum) ausgeschrieben, die indeſs als gezwungene Anleihe betrachtet und von der Staatskasse späterhin zurück- gezahlt ward. Die Einrichtung war billig und weise; allein da das wesentliche Fundament, eine reelle Verwerthung der Domänen zum Besten der Staatskasse, ihr nicht gegeben ward, so kamen zu der vermehrten Last des Dienstes noch häufige Umlagen, die den kleinen Mann darum nicht weniger ruinirten, daſs sie officiell nicht als Steuern, sondern als Vor- schüsse betrachtet wurden. Unter solchen Umständen, wo die plebejische Aristokratie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0206" n="192"/><fw place="top" type="header">ZWEITES BUCH. KAPITEL III.</fw><lb/> überlieferte (370). — Während also die Reformversuche im<lb/> Keim erstickt wurden, wurde das Miſsverhältniſs immer schreien-<lb/> der durch die bedeutende Erweiterung der Domanialbesitzungen<lb/> in Folge der glücklichen Kriege, und andrerseits griff die Ueber-<lb/> schuldung und Verarmung immer weiter in der Bauernschaft<lb/> um sich, namentlich in Folge des schweren veientischen Krie-<lb/> ges (348-358) und der Einäscherung der Hauptstadt bei dem<lb/> gallischen Ueberfall (364). Zwar als es in dem veientischen<lb/> Kriege nothwendig wurde die Dienstzeit der Soldaten zu ver-<lb/> längern und sie statt nur für den Sommer auch den Winter<lb/> hindurch unter den Waffen zu halten, und als die Bauernschaft,<lb/> die vollständige Zerrüttung ihrer ökonomischen Lage voraus-<lb/> sehend, im Begriff war ihre Einwilligung zu der Kriegserklä-<lb/> rung zu verweigern, entschloſs sich der Senat zu einer wich-<lb/> tigen Concession: er übernahm den Sold, den bisher die<lb/> Districte durch Umlage aufgebracht hatten, auf die Staatskasse,<lb/> das heiſst auf den Ertrag der indirecten Abgaben und der<lb/> Domänen (348). Nur für den Fall, daſs die Staatskasse au-<lb/> genblicklich leer sei, wurde des Soldes wegen eine allgemeine<lb/> Umlage (<hi rendition="#i">tributum</hi>) ausgeschrieben, die indeſs als gezwungene<lb/> Anleihe betrachtet und von der Staatskasse späterhin zurück-<lb/> gezahlt ward. Die Einrichtung war billig und weise; allein<lb/> da das wesentliche Fundament, eine reelle Verwerthung der<lb/> Domänen zum Besten der Staatskasse, ihr nicht gegeben<lb/> ward, so kamen zu der vermehrten Last des Dienstes noch<lb/> häufige Umlagen, die den kleinen Mann darum nicht weniger<lb/> ruinirten, daſs sie officiell nicht als Steuern, sondern als Vor-<lb/> schüsse betrachtet wurden.</p><lb/> <p>Unter solchen Umständen, wo die plebejische Aristokratie<lb/> sich durch den Widerstand des Adels und die Gleichgültigkeit<lb/> der Gemeinde thatsächlich von der politischen Gleichberech-<lb/> tigung ausgeschlossen sah und die leidende Bauerschaft der<lb/> geschlossenen Aristokratie ohnmächtig gegenüberstand, lag es<lb/> nahe ein Compromiſs zu versuchen. Dies waren die licinisch-<lb/> sextischen Gesetze, die einerseits mit Beseitigung des Consu-<lb/> lartribunats den Grundsatz feststellten, daſs wenigstens der<lb/> eine Consul Plebejer sein müsse und den Plebejern ferner den<lb/> Zutritt zu dem einen der drei groſsen Priestercollegien, dem auf<lb/> zehn Mitglieder vermehrten der Orakelbewahrer (<hi rendition="#i">decemviri<lb/> sacris faciundis</hi>) eröffneten; andrerseits theils für die Occupa-<lb/> tion des Domaniallandes ein Maximum von 500 Iugern (= 494<lb/> preuſsische Morgen) für jeden Bürger feststellten, theils den<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [192/0206]
ZWEITES BUCH. KAPITEL III.
überlieferte (370). — Während also die Reformversuche im
Keim erstickt wurden, wurde das Miſsverhältniſs immer schreien-
der durch die bedeutende Erweiterung der Domanialbesitzungen
in Folge der glücklichen Kriege, und andrerseits griff die Ueber-
schuldung und Verarmung immer weiter in der Bauernschaft
um sich, namentlich in Folge des schweren veientischen Krie-
ges (348-358) und der Einäscherung der Hauptstadt bei dem
gallischen Ueberfall (364). Zwar als es in dem veientischen
Kriege nothwendig wurde die Dienstzeit der Soldaten zu ver-
längern und sie statt nur für den Sommer auch den Winter
hindurch unter den Waffen zu halten, und als die Bauernschaft,
die vollständige Zerrüttung ihrer ökonomischen Lage voraus-
sehend, im Begriff war ihre Einwilligung zu der Kriegserklä-
rung zu verweigern, entschloſs sich der Senat zu einer wich-
tigen Concession: er übernahm den Sold, den bisher die
Districte durch Umlage aufgebracht hatten, auf die Staatskasse,
das heiſst auf den Ertrag der indirecten Abgaben und der
Domänen (348). Nur für den Fall, daſs die Staatskasse au-
genblicklich leer sei, wurde des Soldes wegen eine allgemeine
Umlage (tributum) ausgeschrieben, die indeſs als gezwungene
Anleihe betrachtet und von der Staatskasse späterhin zurück-
gezahlt ward. Die Einrichtung war billig und weise; allein
da das wesentliche Fundament, eine reelle Verwerthung der
Domänen zum Besten der Staatskasse, ihr nicht gegeben
ward, so kamen zu der vermehrten Last des Dienstes noch
häufige Umlagen, die den kleinen Mann darum nicht weniger
ruinirten, daſs sie officiell nicht als Steuern, sondern als Vor-
schüsse betrachtet wurden.
Unter solchen Umständen, wo die plebejische Aristokratie
sich durch den Widerstand des Adels und die Gleichgültigkeit
der Gemeinde thatsächlich von der politischen Gleichberech-
tigung ausgeschlossen sah und die leidende Bauerschaft der
geschlossenen Aristokratie ohnmächtig gegenüberstand, lag es
nahe ein Compromiſs zu versuchen. Dies waren die licinisch-
sextischen Gesetze, die einerseits mit Beseitigung des Consu-
lartribunats den Grundsatz feststellten, daſs wenigstens der
eine Consul Plebejer sein müsse und den Plebejern ferner den
Zutritt zu dem einen der drei groſsen Priestercollegien, dem auf
zehn Mitglieder vermehrten der Orakelbewahrer (decemviri
sacris faciundis) eröffneten; andrerseits theils für die Occupa-
tion des Domaniallandes ein Maximum von 500 Iugern (= 494
preuſsische Morgen) für jeden Bürger feststellten, theils den
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |