Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.ZWEITES BUCH. KAPITEL III. kam dazu die folgenreiche Veränderung der Stellung des Se-nats zu dem Volkstribunat. Die Volkstribunen erhielten, wir wissen nicht genau wann, aber ohne Zweifel in dieser Epoche der Ausgleichung der Stände, im Senat gleiche Rechte mit den Consuln. Nicht bloss ward ihnen statt des Sitzes auf einer Bank an der Thür ihr Platz im Senat selbst angewiesen gleich und neben den übrigen Beamten und erwarben sie wie diese das Recht bei den Verhandlungen das Wort zu ergreifen, sondern es ward ihnen auch gestattet den Senat zu versam- meln, zu befragen und einen Beschluss desselben zu bewirken -- das unterscheidende Vorrecht der höchsten Magistratur, das von den ordentlichen Beamten nur den Consuln und den ihnen gleichstehenden Praetoren zustand. Zwar das Stimm- recht im Senat empfingen die Tribunen nicht; aber es war dies keine Zurücksetzung, sondern allgemeiner Grundsatz des römischen Staatsrechts, dass sämmtlichen functionirenden Beam- ten während ihres Amtsjahrs nur eine berathende Stimme im Staatsrathe zukam und den Rath nur gab, wer zur That nicht befugt war. Der politische Erfolg dieser weisen Massregel war, dass der höchsten Executivstelle des Consuln- und Prae- torencollegiums eine zweite in dem tribunicischen Collegium zur Seite gestellt ward und das letztere seinen ursprünglichen Charakter der als Behörde constituirten Opposition verlor, in- dem man es in die Regierung hineinzog. Es war die mil- deste Form das Volkstribunat, das seit der Ausgleichung der Stände eigentlich zwecklos geworden war, thatsächlich zu absorbiren. Immer zwar blieben die verfassungsmässigen Rechte der einzelnen Volkstribunen eine schneidende und gefährliche Waffe; aber man paralysirte sie von Seite der Regierung regelmässig durch sich selbst. Von einer colle- gialischen Opposition des Tribunats gegen die Regierung ist schlechterdings nicht mehr die Rede; vielmehr ward das Tribunat eines der gewöhnlichsten und brauchbarsten Organe der Regierung um das Volk zu bestimmen und Ausschrei- tungen der Beamten zu hemmen. -- Formell erweiterte die Competenz des Senats sich kaum; die bescheidenen For- men blieben dieselben wie früher. Allein materiell um- fasste seine Gewalt die gesammte höhere Centralverwaltung und die Gesetzgebung; die Beamten waren nichts anderes als Präsidenten seiner Sitzungen und Ausführer seiner Beschlüsse und die Gemeinde beschloss regelmässig erst auf das Gutachten des Senates hin. Nur in die Besorgung der laufenden Ange- ZWEITES BUCH. KAPITEL III. kam dazu die folgenreiche Veränderung der Stellung des Se-nats zu dem Volkstribunat. Die Volkstribunen erhielten, wir wissen nicht genau wann, aber ohne Zweifel in dieser Epoche der Ausgleichung der Stände, im Senat gleiche Rechte mit den Consuln. Nicht bloſs ward ihnen statt des Sitzes auf einer Bank an der Thür ihr Platz im Senat selbst angewiesen gleich und neben den übrigen Beamten und erwarben sie wie diese das Recht bei den Verhandlungen das Wort zu ergreifen, sondern es ward ihnen auch gestattet den Senat zu versam- meln, zu befragen und einen Beschluſs desselben zu bewirken — das unterscheidende Vorrecht der höchsten Magistratur, das von den ordentlichen Beamten nur den Consuln und den ihnen gleichstehenden Praetoren zustand. Zwar das Stimm- recht im Senat empfingen die Tribunen nicht; aber es war dies keine Zurücksetzung, sondern allgemeiner Grundsatz des römischen Staatsrechts, daſs sämmtlichen functionirenden Beam- ten während ihres Amtsjahrs nur eine berathende Stimme im Staatsrathe zukam und den Rath nur gab, wer zur That nicht befugt war. Der politische Erfolg dieser weisen Maſsregel war, daſs der höchsten Executivstelle des Consuln- und Prae- torencollegiums eine zweite in dem tribunicischen Collegium zur Seite gestellt ward und das letztere seinen ursprünglichen Charakter der als Behörde constituirten Opposition verlor, in- dem man es in die Regierung hineinzog. Es war die mil- deste Form das Volkstribunat, das seit der Ausgleichung der Stände eigentlich zwecklos geworden war, thatsächlich zu absorbiren. Immer zwar blieben die verfassungsmäſsigen Rechte der einzelnen Volkstribunen eine schneidende und gefährliche Waffe; aber man paralysirte sie von Seite der Regierung regelmäſsig durch sich selbst. Von einer colle- gialischen Opposition des Tribunats gegen die Regierung ist schlechterdings nicht mehr die Rede; vielmehr ward das Tribunat eines der gewöhnlichsten und brauchbarsten Organe der Regierung um das Volk zu bestimmen und Ausschrei- tungen der Beamten zu hemmen. — Formell erweiterte die Competenz des Senats sich kaum; die bescheidenen For- men blieben dieselben wie früher. Allein materiell um- faſste seine Gewalt die gesammte höhere Centralverwaltung und die Gesetzgebung; die Beamten waren nichts anderes als Präsidenten seiner Sitzungen und Ausführer seiner Beschlüsse und die Gemeinde beschloſs regelmäſsig erst auf das Gutachten des Senates hin. Nur in die Besorgung der laufenden Ange- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0214" n="200"/><fw place="top" type="header">ZWEITES BUCH. KAPITEL III.</fw><lb/> kam dazu die folgenreiche Veränderung der Stellung des Se-<lb/> nats zu dem Volkstribunat. 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ZWEITES BUCH. KAPITEL III.
kam dazu die folgenreiche Veränderung der Stellung des Se-
nats zu dem Volkstribunat. Die Volkstribunen erhielten, wir
wissen nicht genau wann, aber ohne Zweifel in dieser Epoche
der Ausgleichung der Stände, im Senat gleiche Rechte mit
den Consuln. Nicht bloſs ward ihnen statt des Sitzes auf
einer Bank an der Thür ihr Platz im Senat selbst angewiesen
gleich und neben den übrigen Beamten und erwarben sie wie
diese das Recht bei den Verhandlungen das Wort zu ergreifen,
sondern es ward ihnen auch gestattet den Senat zu versam-
meln, zu befragen und einen Beschluſs desselben zu bewirken
— das unterscheidende Vorrecht der höchsten Magistratur,
das von den ordentlichen Beamten nur den Consuln und den
ihnen gleichstehenden Praetoren zustand. Zwar das Stimm-
recht im Senat empfingen die Tribunen nicht; aber es war
dies keine Zurücksetzung, sondern allgemeiner Grundsatz des
römischen Staatsrechts, daſs sämmtlichen functionirenden Beam-
ten während ihres Amtsjahrs nur eine berathende Stimme im
Staatsrathe zukam und den Rath nur gab, wer zur That nicht
befugt war. Der politische Erfolg dieser weisen Maſsregel
war, daſs der höchsten Executivstelle des Consuln- und Prae-
torencollegiums eine zweite in dem tribunicischen Collegium
zur Seite gestellt ward und das letztere seinen ursprünglichen
Charakter der als Behörde constituirten Opposition verlor, in-
dem man es in die Regierung hineinzog. Es war die mil-
deste Form das Volkstribunat, das seit der Ausgleichung der
Stände eigentlich zwecklos geworden war, thatsächlich zu
absorbiren. Immer zwar blieben die verfassungsmäſsigen
Rechte der einzelnen Volkstribunen eine schneidende und
gefährliche Waffe; aber man paralysirte sie von Seite der
Regierung regelmäſsig durch sich selbst. Von einer colle-
gialischen Opposition des Tribunats gegen die Regierung ist
schlechterdings nicht mehr die Rede; vielmehr ward das
Tribunat eines der gewöhnlichsten und brauchbarsten Organe
der Regierung um das Volk zu bestimmen und Ausschrei-
tungen der Beamten zu hemmen. — Formell erweiterte
die Competenz des Senats sich kaum; die bescheidenen For-
men blieben dieselben wie früher. Allein materiell um-
faſste seine Gewalt die gesammte höhere Centralverwaltung
und die Gesetzgebung; die Beamten waren nichts anderes als
Präsidenten seiner Sitzungen und Ausführer seiner Beschlüsse
und die Gemeinde beschloſs regelmäſsig erst auf das Gutachten
des Senates hin. Nur in die Besorgung der laufenden Ange-
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