Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.AUSGLEICHUNG DER STAENDE. legenheiten und in die richterliche und militärische Leitungmischte der Senat sich nicht ein; es war zu viel politischer Sinn und Tact in der römischen Aristokratie um aus der Leitung des Staats eine Bevormundung des Beamten und das Werkzeug zur Maschine machen zu wollen. Ebenso liess man den Wahlen ihren freien Lauf; man hütete sich einzugreifen in die Privilegien der Bürgerschaft und schuf nicht durch verletzende Neuerungen Ambition und Opposition. Wohl aber sicherte der Senat, soweit es anging, sich auch Einfluss auf die Ernennung der Beamten; wozu ihm theils diejenigen Mittel dienten, die verfassungsmässig den Beamten selbst zu- standen, wie denn namentlich die Ernennung des Dictators anfing factisch vom Senat auszugehen, theils das wichtige Recht den vom Volke gewählten Beamten das Commando zu verlän- gern, wozu früher ein Volksbeschluss erforderlich war, das in- dess schon im Jahre 447 und später regelmässig vom Senate geübt ward. -- So war es der Senat, der factisch in Rom re- gierte, und das strenge Urtheil der Geschichte muss es aner- kennen, dass diese Körperschaft ihre grosse Aufgabe zeitig begriffen und würdig erfüllt hat. Berufen nicht durch den eitlen Zufall der Geburt, sondern durch die freie Wahl der Nation; bestätigt von fünf zu fünf Jahren durch das strenge Sittengericht der ehrwürdigsten Männer; auf Lebenszeit im Amte und nicht abhängig von dem Ablauf des Mandats oder von der schwankenden Meinung des Volkes; in sich einig und geschlossen seit der Ausgleichung der Stände; alles in sich schliessend was das Volk besass von politischer Intelligenz und praktischer Staatskunde; unumschränkt verfügend in allen finanziellen Fragen und in der Leitung der auswärtigen Poli- tik; die Executive vollkommen beherrschend durch deren kurze Dauer und durch die dem Senat nach der Beseitigung des ständischen Haders dienstbar gewordene tribunicische Inter- cession, war der römische Senat der edelste Ausdruck der Nation und in Consequenz und Staatsklugheit, in Einigkeit und Vaterlandsliebe, in Machtfülle und sicherem Muth die erste poli- tische Körperschaft aller Zeiten -- eine ,Versammlung von Kö- nigen', die es verstand mit republikanischer Hingebung despo- tische Energie zu verbinden. Nie ist ein Staat nach aussen fester und würdiger vertreten worden als Rom in seiner guten Zeit durch seinen Senat. In der inneren Verwaltung ist es aller- dings nicht zu verkennen, dass die im Senat vorzugsweise vertretene Geld- und Grundaristokratie ihre Sonderinteressen AUSGLEICHUNG DER STAENDE. legenheiten und in die richterliche und militärische Leitungmischte der Senat sich nicht ein; es war zu viel politischer Sinn und Tact in der römischen Aristokratie um aus der Leitung des Staats eine Bevormundung des Beamten und das Werkzeug zur Maschine machen zu wollen. Ebenso lieſs man den Wahlen ihren freien Lauf; man hütete sich einzugreifen in die Privilegien der Bürgerschaft und schuf nicht durch verletzende Neuerungen Ambition und Opposition. Wohl aber sicherte der Senat, soweit es anging, sich auch Einfluſs auf die Ernennung der Beamten; wozu ihm theils diejenigen Mittel dienten, die verfassungsmäſsig den Beamten selbst zu- standen, wie denn namentlich die Ernennung des Dictators anfing factisch vom Senat auszugehen, theils das wichtige Recht den vom Volke gewählten Beamten das Commando zu verlän- gern, wozu früher ein Volksbeschluſs erforderlich war, das in- deſs schon im Jahre 447 und später regelmäſsig vom Senate geübt ward. — So war es der Senat, der factisch in Rom re- gierte, und das strenge Urtheil der Geschichte muſs es aner- kennen, daſs diese Körperschaft ihre groſse Aufgabe zeitig begriffen und würdig erfüllt hat. Berufen nicht durch den eitlen Zufall der Geburt, sondern durch die freie Wahl der Nation; bestätigt von fünf zu fünf Jahren durch das strenge Sittengericht der ehrwürdigsten Männer; auf Lebenszeit im Amte und nicht abhängig von dem Ablauf des Mandats oder von der schwankenden Meinung des Volkes; in sich einig und geschlossen seit der Ausgleichung der Stände; alles in sich schlieſsend was das Volk besaſs von politischer Intelligenz und praktischer Staatskunde; unumschränkt verfügend in allen finanziellen Fragen und in der Leitung der auswärtigen Poli- tik; die Executive vollkommen beherrschend durch deren kurze Dauer und durch die dem Senat nach der Beseitigung des ständischen Haders dienstbar gewordene tribunicische Inter- cession, war der römische Senat der edelste Ausdruck der Nation und in Consequenz und Staatsklugheit, in Einigkeit und Vaterlandsliebe, in Machtfülle und sicherem Muth die erste poli- tische Körperschaft aller Zeiten — eine ‚Versammlung von Kö- nigen‘, die es verstand mit republikanischer Hingebung despo- tische Energie zu verbinden. Nie ist ein Staat nach auſsen fester und würdiger vertreten worden als Rom in seiner guten Zeit durch seinen Senat. In der inneren Verwaltung ist es aller- dings nicht zu verkennen, daſs die im Senat vorzugsweise vertretene Geld- und Grundaristokratie ihre Sonderinteressen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0215" n="201"/><fw place="top" type="header">AUSGLEICHUNG DER STAENDE.</fw><lb/> legenheiten und in die richterliche und militärische Leitung<lb/> mischte der Senat sich nicht ein; es war zu viel politischer<lb/> Sinn und Tact in der römischen Aristokratie um aus der<lb/> Leitung des Staats eine Bevormundung des Beamten und das<lb/> Werkzeug zur Maschine machen zu wollen. Ebenso lieſs man<lb/> den Wahlen ihren freien Lauf; man hütete sich einzugreifen<lb/> in die Privilegien der Bürgerschaft und schuf nicht durch<lb/> verletzende Neuerungen Ambition und Opposition. 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AUSGLEICHUNG DER STAENDE.
legenheiten und in die richterliche und militärische Leitung
mischte der Senat sich nicht ein; es war zu viel politischer
Sinn und Tact in der römischen Aristokratie um aus der
Leitung des Staats eine Bevormundung des Beamten und das
Werkzeug zur Maschine machen zu wollen. Ebenso lieſs man
den Wahlen ihren freien Lauf; man hütete sich einzugreifen
in die Privilegien der Bürgerschaft und schuf nicht durch
verletzende Neuerungen Ambition und Opposition. Wohl aber
sicherte der Senat, soweit es anging, sich auch Einfluſs auf
die Ernennung der Beamten; wozu ihm theils diejenigen
Mittel dienten, die verfassungsmäſsig den Beamten selbst zu-
standen, wie denn namentlich die Ernennung des Dictators
anfing factisch vom Senat auszugehen, theils das wichtige Recht
den vom Volke gewählten Beamten das Commando zu verlän-
gern, wozu früher ein Volksbeschluſs erforderlich war, das in-
deſs schon im Jahre 447 und später regelmäſsig vom Senate
geübt ward. — So war es der Senat, der factisch in Rom re-
gierte, und das strenge Urtheil der Geschichte muſs es aner-
kennen, daſs diese Körperschaft ihre groſse Aufgabe zeitig
begriffen und würdig erfüllt hat. Berufen nicht durch den
eitlen Zufall der Geburt, sondern durch die freie Wahl der
Nation; bestätigt von fünf zu fünf Jahren durch das strenge
Sittengericht der ehrwürdigsten Männer; auf Lebenszeit im
Amte und nicht abhängig von dem Ablauf des Mandats oder
von der schwankenden Meinung des Volkes; in sich einig
und geschlossen seit der Ausgleichung der Stände; alles in
sich schlieſsend was das Volk besaſs von politischer Intelligenz
und praktischer Staatskunde; unumschränkt verfügend in allen
finanziellen Fragen und in der Leitung der auswärtigen Poli-
tik; die Executive vollkommen beherrschend durch deren kurze
Dauer und durch die dem Senat nach der Beseitigung des
ständischen Haders dienstbar gewordene tribunicische Inter-
cession, war der römische Senat der edelste Ausdruck der
Nation und in Consequenz und Staatsklugheit, in Einigkeit und
Vaterlandsliebe, in Machtfülle und sicherem Muth die erste poli-
tische Körperschaft aller Zeiten — eine ‚Versammlung von Kö-
nigen‘, die es verstand mit republikanischer Hingebung despo-
tische Energie zu verbinden. Nie ist ein Staat nach auſsen fester
und würdiger vertreten worden als Rom in seiner guten Zeit
durch seinen Senat. In der inneren Verwaltung ist es aller-
dings nicht zu verkennen, daſs die im Senat vorzugsweise
vertretene Geld- und Grundaristokratie ihre Sonderinteressen
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