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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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STURZ DER ETRUSKISCHEN MACHT. DIE KELTEN.

Diese schweren Bedrängnisse an der Nordgrenze erklären
allein, aber auch vollständig das plötzliche Sinken der eben
noch so gewaltig in Latium und Campanien und auf beiden
Meeren sich entwickelnden etruskischen Macht. Der Verlust
der Seeherrschaft, die Bewältigung der campanischen Etrusker
gehört eben derselben Epoche an, wo die Insubrer und Ce-
nomanen am Po sich niederliessen; und eben in diese Zeit
fällt auch die Wiedererhebung der durch Porsena wenige Jahr-
zehende zuvor aufs tiefste gedemüthigten und fast geknechte-
ten römischen Bürgerschaft. Im Waffenstillstand mit Veii von
280 hatte sie das Verlorene wieder gewonnen und war im We-
sentlichen der Zustand wiederhergestellt, wie er zu der Zeit
der Könige zwischen beiden Nationen bestanden hatte. Als
er ablief im Jahre 309, begannen zwar die Kriege aufs neue;
aber es waren Grenzgefechte und Beutezüge, die für beide
Theile ohne wesentliches Resultat verliefen. Etrurien stand
noch zu mächtig da, als dass Rom einen ernstlichen Angriff
hätte unternehmen können. Erst der Abfall der Fidenaten,
die die römische Besatzung vertrieben, die Gesandten ermor-
deten und sich dem König der Veienter Lars Tolumnius unter-
warfen, veranlasste einen bedeutenderen Krieg, welcher glück-
lich für die Römer ablief: der König Tolumnius fiel im Ge-
fecht von der Hand des römischen Consuls Aulus Cornelius
Cossus (326?), Fidenae ward genommen und 329 ein neuer
Waffenstillstand auf 200 Monate abgeschlossen. Während des-
selben steigerte sich Etruriens Bedrängniss mehr und mehr;
schon bedrohten die Kelten das Gebiet am rechten Ufer des
Po und als nun jener Waffenstillstand Ende 346 abgelaufen
war, entschlossen sich die Römer auch ihrerseits zu einem
Eroberungskrieg gegen Etrurien, der nicht mehr bloss gegen,
sondern um Veii geführt ward. Die Geschichte des Krieges
gegen die Veienter, Capenaten und Falisker und der Belage-
rung Veiis, die gleich der troianischen zehn Jahre gewährt
haben soll, ist wenig beglaubigt. Die Sage und Dichtung hat
sich dieser Ereignisse bemächtigt, und mit Recht; denn ge-
kämpft ward hier mit bis dahin unerhörter Anstrengung um
einen bis dahin unerhörten Kampfpreis. Es war das erste Mal,
dass ein römisches Heer Sommer und Winter, Jahr aus Jahr
ein im Felde blieb, bis das vorgesteckte Ziel erreicht war;
das erste Mal, dass die Gemeinde den Krieg aus Staatsmitteln
zu führen unternahm. Aber es war auch das erste Mal, dass
die Römer es versuchten sich eine stammfremde Nation zu

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STURZ DER ETRUSKISCHEN MACHT. DIE KELTEN.

Diese schweren Bedrängnisse an der Nordgrenze erklären
allein, aber auch vollständig das plötzliche Sinken der eben
noch so gewaltig in Latium und Campanien und auf beiden
Meeren sich entwickelnden etruskischen Macht. Der Verlust
der Seeherrschaft, die Bewältigung der campanischen Etrusker
gehört eben derselben Epoche an, wo die Insubrer und Ce-
nomanen am Po sich niederlieſsen; und eben in diese Zeit
fällt auch die Wiedererhebung der durch Porsena wenige Jahr-
zehende zuvor aufs tiefste gedemüthigten und fast geknechte-
ten römischen Bürgerschaft. Im Waffenstillstand mit Veii von
280 hatte sie das Verlorene wieder gewonnen und war im We-
sentlichen der Zustand wiederhergestellt, wie er zu der Zeit
der Könige zwischen beiden Nationen bestanden hatte. Als
er ablief im Jahre 309, begannen zwar die Kriege aufs neue;
aber es waren Grenzgefechte und Beutezüge, die für beide
Theile ohne wesentliches Resultat verliefen. Etrurien stand
noch zu mächtig da, als daſs Rom einen ernstlichen Angriff
hätte unternehmen können. Erst der Abfall der Fidenaten,
die die römische Besatzung vertrieben, die Gesandten ermor-
deten und sich dem König der Veienter Lars Tolumnius unter-
warfen, veranlaſste einen bedeutenderen Krieg, welcher glück-
lich für die Römer ablief: der König Tolumnius fiel im Ge-
fecht von der Hand des römischen Consuls Aulus Cornelius
Cossus (326?), Fidenae ward genommen und 329 ein neuer
Waffenstillstand auf 200 Monate abgeschlossen. Während des-
selben steigerte sich Etruriens Bedrängniſs mehr und mehr;
schon bedrohten die Kelten das Gebiet am rechten Ufer des
Po und als nun jener Waffenstillstand Ende 346 abgelaufen
war, entschlossen sich die Römer auch ihrerseits zu einem
Eroberungskrieg gegen Etrurien, der nicht mehr bloſs gegen,
sondern um Veii geführt ward. Die Geschichte des Krieges
gegen die Veienter, Capenaten und Falisker und der Belage-
rung Veiis, die gleich der troianischen zehn Jahre gewährt
haben soll, ist wenig beglaubigt. Die Sage und Dichtung hat
sich dieser Ereignisse bemächtigt, und mit Recht; denn ge-
kämpft ward hier mit bis dahin unerhörter Anstrengung um
einen bis dahin unerhörten Kampfpreis. Es war das erste Mal,
daſs ein römisches Heer Sommer und Winter, Jahr aus Jahr
ein im Felde blieb, bis das vorgesteckte Ziel erreicht war;
das erste Mal, daſs die Gemeinde den Krieg aus Staatsmitteln
zu führen unternahm. Aber es war auch das erste Mal, daſs
die Römer es versuchten sich eine stammfremde Nation zu

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[211/0225] STURZ DER ETRUSKISCHEN MACHT. DIE KELTEN. Diese schweren Bedrängnisse an der Nordgrenze erklären allein, aber auch vollständig das plötzliche Sinken der eben noch so gewaltig in Latium und Campanien und auf beiden Meeren sich entwickelnden etruskischen Macht. Der Verlust der Seeherrschaft, die Bewältigung der campanischen Etrusker gehört eben derselben Epoche an, wo die Insubrer und Ce- nomanen am Po sich niederlieſsen; und eben in diese Zeit fällt auch die Wiedererhebung der durch Porsena wenige Jahr- zehende zuvor aufs tiefste gedemüthigten und fast geknechte- ten römischen Bürgerschaft. Im Waffenstillstand mit Veii von 280 hatte sie das Verlorene wieder gewonnen und war im We- sentlichen der Zustand wiederhergestellt, wie er zu der Zeit der Könige zwischen beiden Nationen bestanden hatte. Als er ablief im Jahre 309, begannen zwar die Kriege aufs neue; aber es waren Grenzgefechte und Beutezüge, die für beide Theile ohne wesentliches Resultat verliefen. Etrurien stand noch zu mächtig da, als daſs Rom einen ernstlichen Angriff hätte unternehmen können. Erst der Abfall der Fidenaten, die die römische Besatzung vertrieben, die Gesandten ermor- deten und sich dem König der Veienter Lars Tolumnius unter- warfen, veranlaſste einen bedeutenderen Krieg, welcher glück- lich für die Römer ablief: der König Tolumnius fiel im Ge- fecht von der Hand des römischen Consuls Aulus Cornelius Cossus (326?), Fidenae ward genommen und 329 ein neuer Waffenstillstand auf 200 Monate abgeschlossen. Während des- selben steigerte sich Etruriens Bedrängniſs mehr und mehr; schon bedrohten die Kelten das Gebiet am rechten Ufer des Po und als nun jener Waffenstillstand Ende 346 abgelaufen war, entschlossen sich die Römer auch ihrerseits zu einem Eroberungskrieg gegen Etrurien, der nicht mehr bloſs gegen, sondern um Veii geführt ward. Die Geschichte des Krieges gegen die Veienter, Capenaten und Falisker und der Belage- rung Veiis, die gleich der troianischen zehn Jahre gewährt haben soll, ist wenig beglaubigt. Die Sage und Dichtung hat sich dieser Ereignisse bemächtigt, und mit Recht; denn ge- kämpft ward hier mit bis dahin unerhörter Anstrengung um einen bis dahin unerhörten Kampfpreis. Es war das erste Mal, daſs ein römisches Heer Sommer und Winter, Jahr aus Jahr ein im Felde blieb, bis das vorgesteckte Ziel erreicht war; das erste Mal, daſs die Gemeinde den Krieg aus Staatsmitteln zu führen unternahm. Aber es war auch das erste Mal, daſs die Römer es versuchten sich eine stammfremde Nation zu 14*

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/225>, abgerufen am 21.11.2024.