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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ZWEITES BUCH. KAPITEL IV.
unterwerfen und ihre Waffen hinübertrugen über die alte
Grenze der latinischen Landschaft. Indess die Kräfte waren
nicht gleich. Die Römer fanden Unterstützung bei den Lati-
nern und Hernikern, denen der Sturz des gefürchteten Lan-
desfeindes fast nicht minder Genugthuung und Förderung ge-
währte als den Römern selbst; während Veii von seiner Nation
verlassen dastand und nur die nächsten Städte, Capena, Fa-
lerii, auch Tarquinii ihm Zuzug leisteten -- innere Parteiun-
gen, namentlich die Opposition, auf die das von den Veientern
beibehaltene oder wiederhergestellte Königsregiment bei den
aristokratischen Regierungen der übrigen Städte traf, sollen
nebst den gallischen Angriffen jene Unthätigkeit der übrigen
Etrusker herbeigeführt haben. Trotzdem war die Belage-
rung der grossen und festen Stadt eine Riesenaufgabe, deren
Lösung unmöglich gewesen wäre, wenn die etruskische Nation
ihre Schuldigkeit gethan hätte; vereinzelt und verlassen unter-
lag die Stadt (358) nach tapferer Gegenwehr dem ausharren-
den Heldengeist des Marcus Furius Camillus, welcher zuerst
seinem Volke die glänzende und gefährliche Bahn der aus-
ländischen Eroberungen aufthat. Von dem Jubel, den der
grosse Erfolg in Rom erregte, ist ein Nachklang die bis in
späte Zeit fortgepflanzte Sitte die römischen Festspiele zu
beschliessen mit dem ,Veienterverkauf', wobei der ärgste alte
Krüppel, den man auftreiben konnte, im Purpurmantel und
Goldschmuck den Beschluss machte als ,König der Veienter'.
Die Stadt ward zerstört, der Boden verwünscht zu ewiger Oede.
Falerii und Capena eilten Frieden zu machen; das mächtige
Volsinii, das in bundesmässiger Halbheit während Veiis Agonie
geruht hatte und nach der Einnahme zu den Waffen griff, be-
quemte nach wenigen Jahren (363) sich gleichfalls zum Frieden.
Es mag eine wehmüthige Sage sein, dass die beiden Vormauern
der etruskischen Nation, Melpum und Veii an demselben Tage
jenes den Kelten, dieses den Römern unterlagen; aber es liegt
in ihr auf jeden Fall eine tiefe geschichtliche Wahrheit. Es
war der Fall der beiden Festen unter jenem Doppelangriff
der Anfang des Endes der grossen etruskischen Nation.

Indess einen Augenblick schien es, als sollten die beiden
Völkerschaften, durch deren Zusammenwirken Etrurien sich
in seiner Existenz bedroht sah, vielmehr unter einander sich
aufreiben und als solle auch Roms neu aufblühende Macht von
den fremden Barbaren zertreten werden. Diese Wendung der
Dinge, die dem natürlichen Lauf der Politik widersprach, be-

ZWEITES BUCH. KAPITEL IV.
unterwerfen und ihre Waffen hinübertrugen über die alte
Grenze der latinischen Landschaft. Indeſs die Kräfte waren
nicht gleich. Die Römer fanden Unterstützung bei den Lati-
nern und Hernikern, denen der Sturz des gefürchteten Lan-
desfeindes fast nicht minder Genugthuung und Förderung ge-
währte als den Römern selbst; während Veii von seiner Nation
verlassen dastand und nur die nächsten Städte, Capena, Fa-
lerii, auch Tarquinii ihm Zuzug leisteten — innere Parteiun-
gen, namentlich die Opposition, auf die das von den Veientern
beibehaltene oder wiederhergestellte Königsregiment bei den
aristokratischen Regierungen der übrigen Städte traf, sollen
nebst den gallischen Angriffen jene Unthätigkeit der übrigen
Etrusker herbeigeführt haben. Trotzdem war die Belage-
rung der groſsen und festen Stadt eine Riesenaufgabe, deren
Lösung unmöglich gewesen wäre, wenn die etruskische Nation
ihre Schuldigkeit gethan hätte; vereinzelt und verlassen unter-
lag die Stadt (358) nach tapferer Gegenwehr dem ausharren-
den Heldengeist des Marcus Furius Camillus, welcher zuerst
seinem Volke die glänzende und gefährliche Bahn der aus-
ländischen Eroberungen aufthat. Von dem Jubel, den der
groſse Erfolg in Rom erregte, ist ein Nachklang die bis in
späte Zeit fortgepflanzte Sitte die römischen Festspiele zu
beschlieſsen mit dem ‚Veienterverkauf‘, wobei der ärgste alte
Krüppel, den man auftreiben konnte, im Purpurmantel und
Goldschmuck den Beschluſs machte als ‚König der Veienter‘.
Die Stadt ward zerstört, der Boden verwünscht zu ewiger Oede.
Falerii und Capena eilten Frieden zu machen; das mächtige
Volsinii, das in bundesmäſsiger Halbheit während Veiis Agonie
geruht hatte und nach der Einnahme zu den Waffen griff, be-
quemte nach wenigen Jahren (363) sich gleichfalls zum Frieden.
Es mag eine wehmüthige Sage sein, daſs die beiden Vormauern
der etruskischen Nation, Melpum und Veii an demselben Tage
jenes den Kelten, dieses den Römern unterlagen; aber es liegt
in ihr auf jeden Fall eine tiefe geschichtliche Wahrheit. Es
war der Fall der beiden Festen unter jenem Doppelangriff
der Anfang des Endes der groſsen etruskischen Nation.

Indeſs einen Augenblick schien es, als sollten die beiden
Völkerschaften, durch deren Zusammenwirken Etrurien sich
in seiner Existenz bedroht sah, vielmehr unter einander sich
aufreiben und als solle auch Roms neu aufblühende Macht von
den fremden Barbaren zertreten werden. Diese Wendung der
Dinge, die dem natürlichen Lauf der Politik widersprach, be-

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[212/0226] ZWEITES BUCH. KAPITEL IV. unterwerfen und ihre Waffen hinübertrugen über die alte Grenze der latinischen Landschaft. Indeſs die Kräfte waren nicht gleich. Die Römer fanden Unterstützung bei den Lati- nern und Hernikern, denen der Sturz des gefürchteten Lan- desfeindes fast nicht minder Genugthuung und Förderung ge- währte als den Römern selbst; während Veii von seiner Nation verlassen dastand und nur die nächsten Städte, Capena, Fa- lerii, auch Tarquinii ihm Zuzug leisteten — innere Parteiun- gen, namentlich die Opposition, auf die das von den Veientern beibehaltene oder wiederhergestellte Königsregiment bei den aristokratischen Regierungen der übrigen Städte traf, sollen nebst den gallischen Angriffen jene Unthätigkeit der übrigen Etrusker herbeigeführt haben. Trotzdem war die Belage- rung der groſsen und festen Stadt eine Riesenaufgabe, deren Lösung unmöglich gewesen wäre, wenn die etruskische Nation ihre Schuldigkeit gethan hätte; vereinzelt und verlassen unter- lag die Stadt (358) nach tapferer Gegenwehr dem ausharren- den Heldengeist des Marcus Furius Camillus, welcher zuerst seinem Volke die glänzende und gefährliche Bahn der aus- ländischen Eroberungen aufthat. Von dem Jubel, den der groſse Erfolg in Rom erregte, ist ein Nachklang die bis in späte Zeit fortgepflanzte Sitte die römischen Festspiele zu beschlieſsen mit dem ‚Veienterverkauf‘, wobei der ärgste alte Krüppel, den man auftreiben konnte, im Purpurmantel und Goldschmuck den Beschluſs machte als ‚König der Veienter‘. Die Stadt ward zerstört, der Boden verwünscht zu ewiger Oede. Falerii und Capena eilten Frieden zu machen; das mächtige Volsinii, das in bundesmäſsiger Halbheit während Veiis Agonie geruht hatte und nach der Einnahme zu den Waffen griff, be- quemte nach wenigen Jahren (363) sich gleichfalls zum Frieden. Es mag eine wehmüthige Sage sein, daſs die beiden Vormauern der etruskischen Nation, Melpum und Veii an demselben Tage jenes den Kelten, dieses den Römern unterlagen; aber es liegt in ihr auf jeden Fall eine tiefe geschichtliche Wahrheit. Es war der Fall der beiden Festen unter jenem Doppelangriff der Anfang des Endes der groſsen etruskischen Nation. Indeſs einen Augenblick schien es, als sollten die beiden Völkerschaften, durch deren Zusammenwirken Etrurien sich in seiner Existenz bedroht sah, vielmehr unter einander sich aufreiben und als solle auch Roms neu aufblühende Macht von den fremden Barbaren zertreten werden. Diese Wendung der Dinge, die dem natürlichen Lauf der Politik widersprach, be-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/226>, abgerufen am 24.11.2024.