Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.KOENIG PYRRHOS. lieh (458). Zurückgekehrt in sein väterliches Reich fiel ihmbald alles zu; die tapfern Epeiroten, die Albanesen des Al- terthums, hingen mit angestammter Treue und frischer Begei- sterung an dem muthigen Jüngling, dem ,Adler', wie sie ihn hiessen. In den Wirren, die nach Kassanders Tod (457) um die makedonische Thronfolge geführt wurden, erweiterte der Epeirote sein Gebiet; nach und nach gewann er das Küsten- land mit den wichtigen Handelsstädten Apollonia und Epidam- nos, die Inseln Lissos und Kerkyra, ja selbst einen Theil des makedonischen Gebiets, und widerstand mit weit geringeren Streitkräften dem König Demetrios zur Bewunderung der Make- donier selbst. Ja als Demetrios durch seine eigene Thorheit in Makedonien vom Thron gestürzt war, trug man dort dem ritterlichen Gegner, dem Verwandten der Alexandriden den- selben freiwillig an (467). In der That, keiner war würdiger als Pyrrhos das königliche Diadem Philipps und Alexanders zu tragen. In einer tief versunkenen Zeit, in der Fürstlich- keit und Niederträchtigkeit gleichbedeutend zu werden began- nen, leuchtete hell Pyrrhos persönlich unbefleckter und sitten- reiner Charakter. Wie die freien Bauern des makedonischen Stammlandes, obwohl gemindert und verarmt, sich doch fern hielten von dem Verfall der Sitten und der Tapferkeit, den das Diadochenregiment in Griechenland und Asien herbei- führte, schien eben Pyrrhos recht eigentlich zu ihrem König gemacht, er der gleich Alexander in seinem Haus, im Freun- deskreise allen menschlichen Beziehungen sein Herz offen hielt und das in Makedonien so verhasste orientalische Sultanwesen stets von sich abwehrte; er der gleich Alexander anerkannt der erste Taktiker seiner Zeit war. Aber jenes seltsam überspannte makedonische Nationalgefühl, das den elendesten makedonischen Herrn dem tüchtigsten Fremden vorzog, jene Widerspenstig- keit gegen jeden nicht makedonischen Führer, welcher der grösste Feldherr aus Alexanders Schule, der Kardianer Eume- nes erlegen war, bereitete auch der Herrschaft des epeiroti- schen Fürsten ein schnelles Ende. Pyrrhos, der die Herr- schaft über Makedonien mit dem Willen der Makedonier nicht führen konnte und zu schwach, vielleicht auch zu hochherzig war sich dem Volke gegen seinen Willen aufzudringen, über- liess schon nach siebenmonatlicher Herrschaft das Land seiner einheimischen Missregierung und ging heim zu seinen treuen Epeiroten (467). Aber der Mann, der Alexanders Krone ge- tragen hatte, der Schwager des Demetrios, der Schwiegersohn Röm. Gesch. I. 17
KOENIG PYRRHOS. lieh (458). Zurückgekehrt in sein väterliches Reich fiel ihmbald alles zu; die tapfern Epeiroten, die Albanesen des Al- terthums, hingen mit angestammter Treue und frischer Begei- sterung an dem muthigen Jüngling, dem ‚Adler‘, wie sie ihn hieſsen. In den Wirren, die nach Kassanders Tod (457) um die makedonische Thronfolge geführt wurden, erweiterte der Epeirote sein Gebiet; nach und nach gewann er das Küsten- land mit den wichtigen Handelsstädten Apollonia und Epidam- nos, die Inseln Lissos und Kerkyra, ja selbst einen Theil des makedonischen Gebiets, und widerstand mit weit geringeren Streitkräften dem König Demetrios zur Bewunderung der Make- donier selbst. Ja als Demetrios durch seine eigene Thorheit in Makedonien vom Thron gestürzt war, trug man dort dem ritterlichen Gegner, dem Verwandten der Alexandriden den- selben freiwillig an (467). In der That, keiner war würdiger als Pyrrhos das königliche Diadem Philipps und Alexanders zu tragen. In einer tief versunkenen Zeit, in der Fürstlich- keit und Niederträchtigkeit gleichbedeutend zu werden began- nen, leuchtete hell Pyrrhos persönlich unbefleckter und sitten- reiner Charakter. Wie die freien Bauern des makedonischen Stammlandes, obwohl gemindert und verarmt, sich doch fern hielten von dem Verfall der Sitten und der Tapferkeit, den das Diadochenregiment in Griechenland und Asien herbei- führte, schien eben Pyrrhos recht eigentlich zu ihrem König gemacht, er der gleich Alexander in seinem Haus, im Freun- deskreise allen menschlichen Beziehungen sein Herz offen hielt und das in Makedonien so verhaſste orientalische Sultanwesen stets von sich abwehrte; er der gleich Alexander anerkannt der erste Taktiker seiner Zeit war. Aber jenes seltsam überspannte makedonische Nationalgefühl, das den elendesten makedonischen Herrn dem tüchtigsten Fremden vorzog, jene Widerspenstig- keit gegen jeden nicht makedonischen Führer, welcher der gröſste Feldherr aus Alexanders Schule, der Kardianer Eume- nes erlegen war, bereitete auch der Herrschaft des epeiroti- schen Fürsten ein schnelles Ende. Pyrrhos, der die Herr- schaft über Makedonien mit dem Willen der Makedonier nicht führen konnte und zu schwach, vielleicht auch zu hochherzig war sich dem Volke gegen seinen Willen aufzudringen, über- lieſs schon nach siebenmonatlicher Herrschaft das Land seiner einheimischen Miſsregierung und ging heim zu seinen treuen Epeiroten (467). Aber der Mann, der Alexanders Krone ge- tragen hatte, der Schwager des Demetrios, der Schwiegersohn Röm. Gesch. I. 17
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KOENIG PYRRHOS.
lieh (458). Zurückgekehrt in sein väterliches Reich fiel ihm
bald alles zu; die tapfern Epeiroten, die Albanesen des Al-
terthums, hingen mit angestammter Treue und frischer Begei-
sterung an dem muthigen Jüngling, dem ‚Adler‘, wie sie ihn
hieſsen. In den Wirren, die nach Kassanders Tod (457) um
die makedonische Thronfolge geführt wurden, erweiterte der
Epeirote sein Gebiet; nach und nach gewann er das Küsten-
land mit den wichtigen Handelsstädten Apollonia und Epidam-
nos, die Inseln Lissos und Kerkyra, ja selbst einen Theil des
makedonischen Gebiets, und widerstand mit weit geringeren
Streitkräften dem König Demetrios zur Bewunderung der Make-
donier selbst. Ja als Demetrios durch seine eigene Thorheit
in Makedonien vom Thron gestürzt war, trug man dort dem
ritterlichen Gegner, dem Verwandten der Alexandriden den-
selben freiwillig an (467). In der That, keiner war würdiger
als Pyrrhos das königliche Diadem Philipps und Alexanders
zu tragen. In einer tief versunkenen Zeit, in der Fürstlich-
keit und Niederträchtigkeit gleichbedeutend zu werden began-
nen, leuchtete hell Pyrrhos persönlich unbefleckter und sitten-
reiner Charakter. Wie die freien Bauern des makedonischen
Stammlandes, obwohl gemindert und verarmt, sich doch fern
hielten von dem Verfall der Sitten und der Tapferkeit, den
das Diadochenregiment in Griechenland und Asien herbei-
führte, schien eben Pyrrhos recht eigentlich zu ihrem König
gemacht, er der gleich Alexander in seinem Haus, im Freun-
deskreise allen menschlichen Beziehungen sein Herz offen hielt
und das in Makedonien so verhaſste orientalische Sultanwesen
stets von sich abwehrte; er der gleich Alexander anerkannt der
erste Taktiker seiner Zeit war. Aber jenes seltsam überspannte
makedonische Nationalgefühl, das den elendesten makedonischen
Herrn dem tüchtigsten Fremden vorzog, jene Widerspenstig-
keit gegen jeden nicht makedonischen Führer, welcher der
gröſste Feldherr aus Alexanders Schule, der Kardianer Eume-
nes erlegen war, bereitete auch der Herrschaft des epeiroti-
schen Fürsten ein schnelles Ende. Pyrrhos, der die Herr-
schaft über Makedonien mit dem Willen der Makedonier nicht
führen konnte und zu schwach, vielleicht auch zu hochherzig
war sich dem Volke gegen seinen Willen aufzudringen, über-
lieſs schon nach siebenmonatlicher Herrschaft das Land seiner
einheimischen Miſsregierung und ging heim zu seinen treuen
Epeiroten (467). Aber der Mann, der Alexanders Krone ge-
tragen hatte, der Schwager des Demetrios, der Schwiegersohn
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