Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.ZWEITES BUCH. KAPITEL VII. des Lagiden und des Agathokles von Syrakus, der hochgebil-dete Strategiker, der Memoiren und wissenschaftliche Abhand- lungen über die Kriegskunst schrieb, konnte unmöglich sein Leben darüber beschliessen, dass er die Rechnungen des kö- niglichen Viehverwalters durchsah und jährlich von seinen braven Epeiroten die landüblichen Geschenke an Rindern und Schafen entgegennahm, um sich alsdann am Altar des Zeus von ihnen den Eid der Treue erneuern zu lassen und selbst den Eid auf die Gesetze zu wiederholen und dem allen zu mehrerer Bekräftigung mit ihnen die Nacht hindurch zu zechen. War kein Platz für ihn auf dem makedonischen Thron, so war überhaupt in der Heimath seines Bleibens nicht; er konnte der erste sein und also nicht der zweite. So wandten sich seine Blicke in die Weite. Die Könige, die um Makedoniens Besitz haderten, obwohl sonst in nichts einig, waren gern bereit gemeinschaftlich zu helfen, dass der gefährliche Nebenbuhler freiwillig ausscheide; und dass die treuen Epeiroten ihm fol- gen würden, wohin er sie führte, dessen war er gewiss. Eben damals stellten die italischen Verhältnisse sich so, dass jetzt wiederum als ausführbar erscheinen konnte, was vierzig Jahre früher Pyrrhos Verwandter, seines Vaters Vetter Alexander von Epeiros und eben erst sein Schwiegervater Agathokles beabsichtigt hatten; und so entschloss sich Pyrrhos auf seine makedonischen Pläne zu verzichten und im Westen eine neue Herrschaft für sich und für die hellenische Nation zu be- gründen. Die Waffenruhe, die der Friede mit Samnium 464 für ZWEITES BUCH. KAPITEL VII. des Lagiden und des Agathokles von Syrakus, der hochgebil-dete Strategiker, der Memoiren und wissenschaftliche Abhand- lungen über die Kriegskunst schrieb, konnte unmöglich sein Leben darüber beschlieſsen, daſs er die Rechnungen des kö- niglichen Viehverwalters durchsah und jährlich von seinen braven Epeiroten die landüblichen Geschenke an Rindern und Schafen entgegennahm, um sich alsdann am Altar des Zeus von ihnen den Eid der Treue erneuern zu lassen und selbst den Eid auf die Gesetze zu wiederholen und dem allen zu mehrerer Bekräftigung mit ihnen die Nacht hindurch zu zechen. War kein Platz für ihn auf dem makedonischen Thron, so war überhaupt in der Heimath seines Bleibens nicht; er konnte der erste sein und also nicht der zweite. So wandten sich seine Blicke in die Weite. Die Könige, die um Makedoniens Besitz haderten, obwohl sonst in nichts einig, waren gern bereit gemeinschaftlich zu helfen, daſs der gefährliche Nebenbuhler freiwillig ausscheide; und daſs die treuen Epeiroten ihm fol- gen würden, wohin er sie führte, dessen war er gewiſs. Eben damals stellten die italischen Verhältnisse sich so, daſs jetzt wiederum als ausführbar erscheinen konnte, was vierzig Jahre früher Pyrrhos Verwandter, seines Vaters Vetter Alexander von Epeiros und eben erst sein Schwiegervater Agathokles beabsichtigt hatten; und so entschloſs sich Pyrrhos auf seine makedonischen Pläne zu verzichten und im Westen eine neue Herrschaft für sich und für die hellenische Nation zu be- gründen. Die Waffenruhe, die der Friede mit Samnium 464 für <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0272" n="258"/><fw place="top" type="header">ZWEITES BUCH. 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ZWEITES BUCH. KAPITEL VII.
des Lagiden und des Agathokles von Syrakus, der hochgebil-
dete Strategiker, der Memoiren und wissenschaftliche Abhand-
lungen über die Kriegskunst schrieb, konnte unmöglich sein
Leben darüber beschlieſsen, daſs er die Rechnungen des kö-
niglichen Viehverwalters durchsah und jährlich von seinen
braven Epeiroten die landüblichen Geschenke an Rindern und
Schafen entgegennahm, um sich alsdann am Altar des Zeus von
ihnen den Eid der Treue erneuern zu lassen und selbst den
Eid auf die Gesetze zu wiederholen und dem allen zu mehrerer
Bekräftigung mit ihnen die Nacht hindurch zu zechen. War
kein Platz für ihn auf dem makedonischen Thron, so war
überhaupt in der Heimath seines Bleibens nicht; er konnte der
erste sein und also nicht der zweite. So wandten sich seine
Blicke in die Weite. Die Könige, die um Makedoniens Besitz
haderten, obwohl sonst in nichts einig, waren gern bereit
gemeinschaftlich zu helfen, daſs der gefährliche Nebenbuhler
freiwillig ausscheide; und daſs die treuen Epeiroten ihm fol-
gen würden, wohin er sie führte, dessen war er gewiſs. Eben
damals stellten die italischen Verhältnisse sich so, daſs jetzt
wiederum als ausführbar erscheinen konnte, was vierzig Jahre
früher Pyrrhos Verwandter, seines Vaters Vetter Alexander
von Epeiros und eben erst sein Schwiegervater Agathokles
beabsichtigt hatten; und so entschloſs sich Pyrrhos auf seine
makedonischen Pläne zu verzichten und im Westen eine neue
Herrschaft für sich und für die hellenische Nation zu be-
gründen.
Die Waffenruhe, die der Friede mit Samnium 464 für
Italien herbeigeführt hatte, war von kurzer Dauer; der Anstoſs
zur Bildung einer neuen Ligue gegen die römische Uebermacht
kam diesmal von den Lucanern. Dieser Völkerschaft, deren
Parteinahme für Rom die Tarentiner während der samniti-
schen Kriege gelähmt und zu deren Entscheidung wesentlich
beigetragen hatte, waren dafür von den Römern die Griechen-
städte in ihrem Gebiet preisgegeben worden und sie waren
nach dem Frieden beschäftigt in Gemeinschaft mit den Bret-
tiern eine nach der andern zu bezwingen. Die Thuriner,
wiederholt angegriffen von dem Feldherrn der Lucaner Ste-
nius Statilius und aufs Aeuſserste bedrängt, wandten sich um
Hülfe nach Rom, ganz wie einst die Campaner gegen die
Samniten und ohne Zweifel um den gleichen Preis ihrer Frei-
heit und Selbstständigkeit. Da durch Venusias Anlage für
Rom die Unterstützung der Lucaner entbehrlich geworden
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