Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.ZWEITES BUCH. KAPITEL VIII. Epoche zu romanisiren, wovon der fast gänzliche Mangel vonSprachdenkmälern der alten Landesdialecte und das Vorkom- men sehr alter römischer Inschriften in diesen Gegenden Zeugniss ablegt. Die zahlreichen Einzelassignationen und Co- lonialgründungen in ganz Italien sind nicht bloss militärisch, sondern auch sprachlich und national die vorgeschobenen Po- sten des latinischen Stammes. Zwar war die Latinisirung Italiens schwerlich schon damals Ziel der römischen Politik; es ist im Gegentheil viel wahrscheinlicher, dass man den Ge- gensatz gegen die übrigen Nationalitäten absichtlich aufrecht hielt und es scheint zum Beispiel die Einführung des Lateini- schen in den officiellen Sprachgebrauch den von Rom ab- hängigen Gemeinden keineswegs unbedingt gestattet gewesen zu sein. Indess konnte es nicht fehlen, dass nicht mit dem latinischen Volke auch dessen Sprache und Sitte in Italien zunächst das Principat gewann und anfing die übrigen itali- schen Nationalitäten zu untergraben. -- Gleichzeitig wurden dieselben angegriffen von einer anderen Seite und mit einem anders begründeten Uebergewicht durch den Hellenismus. Es war dies die Epoche, wo das Griechenthum seiner geistigen Ueberlegenheit über die übrigen Nationen anfing sich bewusst zu werden und nach allen Seiten hin Propaganda zu machen. Auch Italien blieb davon nicht unberührt. Die merkwürdigste Erscheinung in dieser Art bietet Apulien, das seit dem fünften Jahrhundert Roms allmählich seine barbarische Mundart ab- legte und sich im Stillen hellenisirte. Es erfolgte dies ähn- lich wie in Makedonien und Epeiros nicht durch Colonisirung, sondern durch Civilisirung, die mit dem tarentinischen Land- handel Hand in Hand gegangen zu sein scheint -- wenigstens erklärt es sich bei dieser Annahme, dass die den Tarentinern befreundeten Landschaften der Poediculer und Daunier die Hellenisirung vollständiger durchführten als die Tarent näher wohnenden, aber beständig mit ihm hadernden Sallentiner, und dass die am frühesten graecisirten Städte, zum Beispiel Arpi nicht an der Küste gelegen waren. Dass auf Apulien das griechische Wesen stärkeren Einfluss übte als irgendwo sonst, erklärt sich theils aus seiner Lage, theils aus der ge- ringen Entwicklung einer eigenen nationalen Bildung, theils wohl auch aus seiner dem griechischen Stamm minder fremd als die übrigen italischen gegenüberstehenden Nationalität. Indess einzeln steht diese Erscheinung keineswegs; vielmehr ist schon früher (S. 226) darauf aufmerksam gemacht worden, ZWEITES BUCH. KAPITEL VIII. Epoche zu romanisiren, wovon der fast gänzliche Mangel vonSprachdenkmälern der alten Landesdialecte und das Vorkom- men sehr alter römischer Inschriften in diesen Gegenden Zeugniſs ablegt. Die zahlreichen Einzelassignationen und Co- lonialgründungen in ganz Italien sind nicht bloſs militärisch, sondern auch sprachlich und national die vorgeschobenen Po- sten des latinischen Stammes. Zwar war die Latinisirung Italiens schwerlich schon damals Ziel der römischen Politik; es ist im Gegentheil viel wahrscheinlicher, daſs man den Ge- gensatz gegen die übrigen Nationalitäten absichtlich aufrecht hielt und es scheint zum Beispiel die Einführung des Lateini- schen in den officiellen Sprachgebrauch den von Rom ab- hängigen Gemeinden keineswegs unbedingt gestattet gewesen zu sein. Indeſs konnte es nicht fehlen, daſs nicht mit dem latinischen Volke auch dessen Sprache und Sitte in Italien zunächst das Principat gewann und anfing die übrigen itali- schen Nationalitäten zu untergraben. — Gleichzeitig wurden dieselben angegriffen von einer anderen Seite und mit einem anders begründeten Uebergewicht durch den Hellenismus. Es war dies die Epoche, wo das Griechenthum seiner geistigen Ueberlegenheit über die übrigen Nationen anfing sich bewuſst zu werden und nach allen Seiten hin Propaganda zu machen. Auch Italien blieb davon nicht unberührt. Die merkwürdigste Erscheinung in dieser Art bietet Apulien, das seit dem fünften Jahrhundert Roms allmählich seine barbarische Mundart ab- legte und sich im Stillen hellenisirte. Es erfolgte dies ähn- lich wie in Makedonien und Epeiros nicht durch Colonisirung, sondern durch Civilisirung, die mit dem tarentinischen Land- handel Hand in Hand gegangen zu sein scheint — wenigstens erklärt es sich bei dieser Annahme, daſs die den Tarentinern befreundeten Landschaften der Poediculer und Daunier die Hellenisirung vollständiger durchführten als die Tarent näher wohnenden, aber beständig mit ihm hadernden Sallentiner, und daſs die am frühesten graecisirten Städte, zum Beispiel Arpi nicht an der Küste gelegen waren. Daſs auf Apulien das griechische Wesen stärkeren Einfluſs übte als irgendwo sonst, erklärt sich theils aus seiner Lage, theils aus der ge- ringen Entwicklung einer eigenen nationalen Bildung, theils wohl auch aus seiner dem griechischen Stamm minder fremd als die übrigen italischen gegenüberstehenden Nationalität. Indeſs einzeln steht diese Erscheinung keineswegs; vielmehr ist schon früher (S. 226) darauf aufmerksam gemacht worden, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0300" n="286"/><fw place="top" type="header">ZWEITES BUCH. KAPITEL VIII.</fw><lb/> Epoche zu romanisiren, wovon der fast gänzliche Mangel von<lb/> Sprachdenkmälern der alten Landesdialecte und das Vorkom-<lb/> men sehr alter römischer Inschriften in diesen Gegenden<lb/> Zeugniſs ablegt. Die zahlreichen Einzelassignationen und Co-<lb/> lonialgründungen in ganz Italien sind nicht bloſs militärisch,<lb/> sondern auch sprachlich und national die vorgeschobenen Po-<lb/> sten des latinischen Stammes. Zwar war die Latinisirung<lb/> Italiens schwerlich schon damals Ziel der römischen Politik;<lb/> es ist im Gegentheil viel wahrscheinlicher, daſs man den Ge-<lb/> gensatz gegen die übrigen Nationalitäten absichtlich aufrecht<lb/> hielt und es scheint zum Beispiel die Einführung des Lateini-<lb/> schen in den officiellen Sprachgebrauch den von Rom ab-<lb/> hängigen Gemeinden keineswegs unbedingt gestattet gewesen<lb/> zu sein. Indeſs konnte es nicht fehlen, daſs nicht mit dem<lb/> latinischen Volke auch dessen Sprache und Sitte in Italien<lb/> zunächst das Principat gewann und anfing die übrigen itali-<lb/> schen Nationalitäten zu untergraben. — Gleichzeitig wurden<lb/> dieselben angegriffen von einer anderen Seite und mit einem<lb/> anders begründeten Uebergewicht durch den Hellenismus. Es<lb/> war dies die Epoche, wo das Griechenthum seiner geistigen<lb/> Ueberlegenheit über die übrigen Nationen anfing sich bewuſst<lb/> zu werden und nach allen Seiten hin Propaganda zu machen.<lb/> Auch Italien blieb davon nicht unberührt. Die merkwürdigste<lb/> Erscheinung in dieser Art bietet Apulien, das seit dem fünften<lb/> Jahrhundert Roms allmählich seine barbarische Mundart ab-<lb/> legte und sich im Stillen hellenisirte. Es erfolgte dies ähn-<lb/> lich wie in Makedonien und Epeiros nicht durch Colonisirung,<lb/> sondern durch Civilisirung, die mit dem tarentinischen Land-<lb/> handel Hand in Hand gegangen zu sein scheint — wenigstens<lb/> erklärt es sich bei dieser Annahme, daſs die den Tarentinern<lb/> befreundeten Landschaften der Poediculer und Daunier die<lb/> Hellenisirung vollständiger durchführten als die Tarent näher<lb/> wohnenden, aber beständig mit ihm hadernden Sallentiner,<lb/> und daſs die am frühesten graecisirten Städte, zum Beispiel<lb/> Arpi nicht an der Küste gelegen waren. Daſs auf Apulien<lb/> das griechische Wesen stärkeren Einfluſs übte als irgendwo<lb/> sonst, erklärt sich theils aus seiner Lage, theils aus der ge-<lb/> ringen Entwicklung einer eigenen nationalen Bildung, theils<lb/> wohl auch aus seiner dem griechischen Stamm minder fremd<lb/> als die übrigen italischen gegenüberstehenden Nationalität.<lb/> Indeſs einzeln steht diese Erscheinung keineswegs; vielmehr ist<lb/> schon früher (S. 226) darauf aufmerksam gemacht worden,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [286/0300]
ZWEITES BUCH. KAPITEL VIII.
Epoche zu romanisiren, wovon der fast gänzliche Mangel von
Sprachdenkmälern der alten Landesdialecte und das Vorkom-
men sehr alter römischer Inschriften in diesen Gegenden
Zeugniſs ablegt. Die zahlreichen Einzelassignationen und Co-
lonialgründungen in ganz Italien sind nicht bloſs militärisch,
sondern auch sprachlich und national die vorgeschobenen Po-
sten des latinischen Stammes. Zwar war die Latinisirung
Italiens schwerlich schon damals Ziel der römischen Politik;
es ist im Gegentheil viel wahrscheinlicher, daſs man den Ge-
gensatz gegen die übrigen Nationalitäten absichtlich aufrecht
hielt und es scheint zum Beispiel die Einführung des Lateini-
schen in den officiellen Sprachgebrauch den von Rom ab-
hängigen Gemeinden keineswegs unbedingt gestattet gewesen
zu sein. Indeſs konnte es nicht fehlen, daſs nicht mit dem
latinischen Volke auch dessen Sprache und Sitte in Italien
zunächst das Principat gewann und anfing die übrigen itali-
schen Nationalitäten zu untergraben. — Gleichzeitig wurden
dieselben angegriffen von einer anderen Seite und mit einem
anders begründeten Uebergewicht durch den Hellenismus. Es
war dies die Epoche, wo das Griechenthum seiner geistigen
Ueberlegenheit über die übrigen Nationen anfing sich bewuſst
zu werden und nach allen Seiten hin Propaganda zu machen.
Auch Italien blieb davon nicht unberührt. Die merkwürdigste
Erscheinung in dieser Art bietet Apulien, das seit dem fünften
Jahrhundert Roms allmählich seine barbarische Mundart ab-
legte und sich im Stillen hellenisirte. Es erfolgte dies ähn-
lich wie in Makedonien und Epeiros nicht durch Colonisirung,
sondern durch Civilisirung, die mit dem tarentinischen Land-
handel Hand in Hand gegangen zu sein scheint — wenigstens
erklärt es sich bei dieser Annahme, daſs die den Tarentinern
befreundeten Landschaften der Poediculer und Daunier die
Hellenisirung vollständiger durchführten als die Tarent näher
wohnenden, aber beständig mit ihm hadernden Sallentiner,
und daſs die am frühesten graecisirten Städte, zum Beispiel
Arpi nicht an der Küste gelegen waren. Daſs auf Apulien
das griechische Wesen stärkeren Einfluſs übte als irgendwo
sonst, erklärt sich theils aus seiner Lage, theils aus der ge-
ringen Entwicklung einer eigenen nationalen Bildung, theils
wohl auch aus seiner dem griechischen Stamm minder fremd
als die übrigen italischen gegenüberstehenden Nationalität.
Indeſs einzeln steht diese Erscheinung keineswegs; vielmehr ist
schon früher (S. 226) darauf aufmerksam gemacht worden,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |