Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

ZWEITES BUCH KAPITEL VIII.
hundert unter den vornehmen Römern war, beweisen die Ge-
sandtschaften der Römer nach Tarent, wo der Redner der
Römer wenn auch nicht im reinsten Griechisch doch ohne
Dollmetsch sprach, und des Kineas nach Rom. Die Wahrheit
des Berichts, dass in älteren Zeiten die römischen Vornehmen
ihre Kinder in Etrurien erziehen liessen, mag dahingestellt
bleiben* das aber leidet kaum einen Zweifel, dass seit dem
fünften Jahrhundert die jungen Römer, die sich den Staats-
geschäften widmeten, durchgängig die Kunde der damaligen
Welt- und Diplomatensprache sich erwarben. -- So schritt
auf dem geistigen Gebiet der Hellenismus ebenso unaufhaltsam
vorwärts wie der Römer arbeitete die Erde sich unterthänig
zu machen und die kleineren Nationalitäten, wie die samni-
tische, keltische, etruskische, verloren von zwei Seiten her
bedrängt immer mehr an Ausdehnung wie an innerer Kraft.

Ueber die Entwicklung der Rechtsgrundsätze und der
Rechtspflege in der römischen Gemeinde ist wenig zu sagen,
da die wesentlichen Grundlagen beibehalten wurden, wie sie
in der Königszeit sich festgestellt hatten, die Veränderungen
aber mit der Beschränkung der Beamtengewalt und den Stän-
dekämpfen eng zusammenhängen und in deren Darstellung
schon angedeutet worden sind. Vor allem gehört hierher die
Aufzeichnung des Landrechts und die Verpflichtung der recht-
sprechenden Beamten auf den geschriebenen Buchstaben anstatt
des schwerer zu ermittelnden Herkommens (S. 303. 304). Dass
das wesentlich Neue hiebei eben die Aufzeichnung des Weis-
thums war, ward gleichfalls schon bemerkt (S.183); doch leidet
es keinen Zweifel, dass nicht wenige Bestimmungen neu waren
und den Zweck hatten nützliche Institutionen zu begründen
oder Missstände zu heben. Dahin gehören wohl ohne Zweifel
die Polizeigesetze, welche die Begräbnissgelage und die Klag-
weiber verbieten und der Verschwendung bei Bestattungen
in dem Gebrauch von Purpurtüchern, Flötenbläsern und der-
gleichen eine Grenze setzten -- zugleich merkwürdige Zeugnisse

* Es ist sehr die Frage, ob sie nicht zu den zahlreichen Fabeln ge-
hört, die die etruskisirenden Archäologen in Umlauf setzten. Wenigstens
begreift sich schwer, was die römischen Knaben in Etrurien lernten, denn
dass das Studium der tuskischen Sprache damals in Rom die Rolle wie jetzt
bei uns das der französischen gespielt hätte, werden doch selbst die eifrig-
sten heutigen Bekenner des Tages-Cultus nicht behaupten; und von der etru-
skischen Haruspicin etwas zu verstehen galt noch für weit schimpflicher als
derselben sich zu bedienen.

ZWEITES BUCH KAPITEL VIII.
hundert unter den vornehmen Römern war, beweisen die Ge-
sandtschaften der Römer nach Tarent, wo der Redner der
Römer wenn auch nicht im reinsten Griechisch doch ohne
Dollmetsch sprach, und des Kineas nach Rom. Die Wahrheit
des Berichts, daſs in älteren Zeiten die römischen Vornehmen
ihre Kinder in Etrurien erziehen lieſsen, mag dahingestellt
bleiben* das aber leidet kaum einen Zweifel, daſs seit dem
fünften Jahrhundert die jungen Römer, die sich den Staats-
geschäften widmeten, durchgängig die Kunde der damaligen
Welt- und Diplomatensprache sich erwarben. — So schritt
auf dem geistigen Gebiet der Hellenismus ebenso unaufhaltsam
vorwärts wie der Römer arbeitete die Erde sich unterthänig
zu machen und die kleineren Nationalitäten, wie die samni-
tische, keltische, etruskische, verloren von zwei Seiten her
bedrängt immer mehr an Ausdehnung wie an innerer Kraft.

Ueber die Entwicklung der Rechtsgrundsätze und der
Rechtspflege in der römischen Gemeinde ist wenig zu sagen,
da die wesentlichen Grundlagen beibehalten wurden, wie sie
in der Königszeit sich festgestellt hatten, die Veränderungen
aber mit der Beschränkung der Beamtengewalt und den Stän-
dekämpfen eng zusammenhängen und in deren Darstellung
schon angedeutet worden sind. Vor allem gehört hierher die
Aufzeichnung des Landrechts und die Verpflichtung der recht-
sprechenden Beamten auf den geschriebenen Buchstaben anstatt
des schwerer zu ermittelnden Herkommens (S. 303. 304). Daſs
das wesentlich Neue hiebei eben die Aufzeichnung des Weis-
thums war, ward gleichfalls schon bemerkt (S.183); doch leidet
es keinen Zweifel, daſs nicht wenige Bestimmungen neu waren
und den Zweck hatten nützliche Institutionen zu begründen
oder Miſsstände zu heben. Dahin gehören wohl ohne Zweifel
die Polizeigesetze, welche die Begräbniſsgelage und die Klag-
weiber verbieten und der Verschwendung bei Bestattungen
in dem Gebrauch von Purpurtüchern, Flötenbläsern und der-
gleichen eine Grenze setzten — zugleich merkwürdige Zeugnisse

* Es ist sehr die Frage, ob sie nicht zu den zahlreichen Fabeln ge-
hört, die die etruskisirenden Archäologen in Umlauf setzten. Wenigstens
begreift sich schwer, was die römischen Knaben in Etrurien lernten, denn
daſs das Studium der tuskischen Sprache damals in Rom die Rolle wie jetzt
bei uns das der französischen gespielt hätte, werden doch selbst die eifrig-
sten heutigen Bekenner des Tages-Cultus nicht behaupten; und von der etru-
skischen Haruspicin etwas zu verstehen galt noch für weit schimpflicher als
derselben sich zu bedienen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0302" n="288"/><fw place="top" type="header">ZWEITES BUCH KAPITEL VIII.</fw><lb/>
hundert unter den vornehmen Römern war, beweisen die Ge-<lb/>
sandtschaften der Römer nach Tarent, wo der Redner der<lb/>
Römer wenn auch nicht im reinsten Griechisch doch ohne<lb/>
Dollmetsch sprach, und des Kineas nach Rom. Die Wahrheit<lb/>
des Berichts, da&#x017F;s in älteren Zeiten die römischen Vornehmen<lb/>
ihre Kinder in Etrurien erziehen lie&#x017F;sen, mag dahingestellt<lb/>
bleiben<note place="foot" n="*">Es ist sehr die Frage, ob sie nicht zu den zahlreichen Fabeln ge-<lb/>
hört, die die etruskisirenden Archäologen in Umlauf setzten. Wenigstens<lb/>
begreift sich schwer, was die römischen Knaben in Etrurien lernten, denn<lb/>
da&#x017F;s das Studium der tuskischen Sprache damals in Rom die Rolle wie jetzt<lb/>
bei uns das der französischen gespielt hätte, werden doch selbst die eifrig-<lb/>
sten heutigen Bekenner des Tages-Cultus nicht behaupten; und von der etru-<lb/>
skischen Haruspicin etwas zu verstehen galt noch für weit schimpflicher als<lb/>
derselben sich zu bedienen.</note> das aber leidet kaum einen Zweifel, da&#x017F;s seit dem<lb/>
fünften Jahrhundert die jungen Römer, die sich den Staats-<lb/>
geschäften widmeten, durchgängig die Kunde der damaligen<lb/>
Welt- und Diplomatensprache sich erwarben. &#x2014; So schritt<lb/>
auf dem geistigen Gebiet der Hellenismus ebenso unaufhaltsam<lb/>
vorwärts wie der Römer arbeitete die Erde sich unterthänig<lb/>
zu machen und die kleineren Nationalitäten, wie die samni-<lb/>
tische, keltische, etruskische, verloren von zwei Seiten her<lb/>
bedrängt immer mehr an Ausdehnung wie an innerer Kraft.</p><lb/>
          <p>Ueber die Entwicklung der Rechtsgrundsätze und der<lb/>
Rechtspflege in der römischen Gemeinde ist wenig zu sagen,<lb/>
da die wesentlichen Grundlagen beibehalten wurden, wie sie<lb/>
in der Königszeit sich festgestellt hatten, die Veränderungen<lb/>
aber mit der Beschränkung der Beamtengewalt und den Stän-<lb/>
dekämpfen eng zusammenhängen und in deren Darstellung<lb/>
schon angedeutet worden sind. Vor allem gehört hierher die<lb/>
Aufzeichnung des Landrechts und die Verpflichtung der recht-<lb/>
sprechenden Beamten auf den geschriebenen Buchstaben anstatt<lb/>
des schwerer zu ermittelnden Herkommens (S. 303. 304). Da&#x017F;s<lb/>
das wesentlich Neue hiebei eben die Aufzeichnung des Weis-<lb/>
thums war, ward gleichfalls schon bemerkt (S.183); doch leidet<lb/>
es keinen Zweifel, da&#x017F;s nicht wenige Bestimmungen neu waren<lb/>
und den Zweck hatten nützliche Institutionen zu begründen<lb/>
oder Mi&#x017F;sstände zu heben. Dahin gehören wohl ohne Zweifel<lb/>
die Polizeigesetze, welche die Begräbni&#x017F;sgelage und die Klag-<lb/>
weiber verbieten und der Verschwendung bei Bestattungen<lb/>
in dem Gebrauch von Purpurtüchern, Flötenbläsern und der-<lb/>
gleichen eine Grenze setzten &#x2014; zugleich merkwürdige Zeugnisse<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[288/0302] ZWEITES BUCH KAPITEL VIII. hundert unter den vornehmen Römern war, beweisen die Ge- sandtschaften der Römer nach Tarent, wo der Redner der Römer wenn auch nicht im reinsten Griechisch doch ohne Dollmetsch sprach, und des Kineas nach Rom. Die Wahrheit des Berichts, daſs in älteren Zeiten die römischen Vornehmen ihre Kinder in Etrurien erziehen lieſsen, mag dahingestellt bleiben * das aber leidet kaum einen Zweifel, daſs seit dem fünften Jahrhundert die jungen Römer, die sich den Staats- geschäften widmeten, durchgängig die Kunde der damaligen Welt- und Diplomatensprache sich erwarben. — So schritt auf dem geistigen Gebiet der Hellenismus ebenso unaufhaltsam vorwärts wie der Römer arbeitete die Erde sich unterthänig zu machen und die kleineren Nationalitäten, wie die samni- tische, keltische, etruskische, verloren von zwei Seiten her bedrängt immer mehr an Ausdehnung wie an innerer Kraft. Ueber die Entwicklung der Rechtsgrundsätze und der Rechtspflege in der römischen Gemeinde ist wenig zu sagen, da die wesentlichen Grundlagen beibehalten wurden, wie sie in der Königszeit sich festgestellt hatten, die Veränderungen aber mit der Beschränkung der Beamtengewalt und den Stän- dekämpfen eng zusammenhängen und in deren Darstellung schon angedeutet worden sind. Vor allem gehört hierher die Aufzeichnung des Landrechts und die Verpflichtung der recht- sprechenden Beamten auf den geschriebenen Buchstaben anstatt des schwerer zu ermittelnden Herkommens (S. 303. 304). Daſs das wesentlich Neue hiebei eben die Aufzeichnung des Weis- thums war, ward gleichfalls schon bemerkt (S.183); doch leidet es keinen Zweifel, daſs nicht wenige Bestimmungen neu waren und den Zweck hatten nützliche Institutionen zu begründen oder Miſsstände zu heben. Dahin gehören wohl ohne Zweifel die Polizeigesetze, welche die Begräbniſsgelage und die Klag- weiber verbieten und der Verschwendung bei Bestattungen in dem Gebrauch von Purpurtüchern, Flötenbläsern und der- gleichen eine Grenze setzten — zugleich merkwürdige Zeugnisse * Es ist sehr die Frage, ob sie nicht zu den zahlreichen Fabeln ge- hört, die die etruskisirenden Archäologen in Umlauf setzten. Wenigstens begreift sich schwer, was die römischen Knaben in Etrurien lernten, denn daſs das Studium der tuskischen Sprache damals in Rom die Rolle wie jetzt bei uns das der französischen gespielt hätte, werden doch selbst die eifrig- sten heutigen Bekenner des Tages-Cultus nicht behaupten; und von der etru- skischen Haruspicin etwas zu verstehen galt noch für weit schimpflicher als derselben sich zu bedienen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/302
Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/302>, abgerufen am 22.11.2024.