Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.INNERE VERHAELTNISSE. für den hohen Culturstand, den die römische Nation damalsschon erreicht hatte. Eben dahin sind verschiedene Bestim- mungen zu rechnen, die den solonischen Gesetzen geradezu nachgebildet sind: die Sicherung des freien Associationsrechts und der Autonomie der so entstandenen Vereine; die Vorschrift über die Grenzstreifen, die das Abpflügen erschwerte; die Mil- derung der Strafe des Diebstahls, indem der nicht auf frischer That ertappte Dieb sich fortan lösen konnte durch Leistung des doppelten Ersatzes. Die furchtbar absolute väterliche Gewalt wurde beschränkt durch die Vorschrift, dass der dreimal vom Vater verkaufte Sohn nicht mehr in dessen Gewalt zurück- fallen, sondern fortan frei sein solle; woran später durch eine streng genommen dem Geist des römischen Rechts zuwider- laufende Rechtsdeduction die Möglichkeit angeknüpft ward, dass sich der Vater freiwillig der Herrschaft über den Sohn begebe durch Emancipation. Das Schuldrecht ward in ähn- lichem Sinn, jedoch erst über ein Jahrhundert nachher, durch das poetelische Gesetz gemildert (S. 195). Die freie Bestim- mung endlich über das Vermögen, die dem Herrn desselben bei Lebzeiten schon nach ältestem römischem Recht zugestanden hatte, aber für den Todesfall bisher geknüpft gewesen war an die Einwilligung der Gemeinde, wurde auch von dieser Schranke befreit, indem das Zwölftafelgesetz den Privattesta- menten dieselbe Kraft beilegte, welche den in den Curien bestätigten zukam; es war dies ein wichtiger Schritt zur Sprengung der Geschlechtsgenossenschaften und zur völligen Durchführung der Individualfreiheit im Vermögensrecht. -- Durchgreifendere Aenderungen als das Recht selbst erlitt die politisch wichtigere und überhaupt veränderlichere Rechts- pflegeordnung. In dem Civilverfahren, welches indess nach den Begriffen dieser Zeit die meisten gegen Mitbürger began- genen Verbrechen einschloss, wurde die wohl schon früher übliche Theilung des Verfahrens in Feststellung der Rechts- frage vor dem Magistrat (ius) und Entscheidung derselben durch einen vom Magistrat ernannten Privatmann (iudicium) mit Abschaffung des Königthums gesetzliche Vorschrift (S.161); und dieser Trennung hat das römische Privatrecht seine logi- sche und praktische Schärfe und Bestimmtheit zu verdanken*. * Man pflegt die Römer als das zur Jurisprudenz privilegirte Volk zu preisen und ihr vortreffliches Recht als eine mystische Gabe des Himmels anzustaunen; vermuthlich besonders um sich die Scham zu ersparen über die Nichtswürdigkeit des eigenen Rechtszustandes. Ein Blick auf das bei- Röm. Gesch. I. 19
INNERE VERHAELTNISSE. für den hohen Culturstand, den die römische Nation damalsschon erreicht hatte. Eben dahin sind verschiedene Bestim- mungen zu rechnen, die den solonischen Gesetzen geradezu nachgebildet sind: die Sicherung des freien Associationsrechts und der Autonomie der so entstandenen Vereine; die Vorschrift über die Grenzstreifen, die das Abpflügen erschwerte; die Mil- derung der Strafe des Diebstahls, indem der nicht auf frischer That ertappte Dieb sich fortan lösen konnte durch Leistung des doppelten Ersatzes. Die furchtbar absolute väterliche Gewalt wurde beschränkt durch die Vorschrift, daſs der dreimal vom Vater verkaufte Sohn nicht mehr in dessen Gewalt zurück- fallen, sondern fortan frei sein solle; woran später durch eine streng genommen dem Geist des römischen Rechts zuwider- laufende Rechtsdeduction die Möglichkeit angeknüpft ward, daſs sich der Vater freiwillig der Herrschaft über den Sohn begebe durch Emancipation. Das Schuldrecht ward in ähn- lichem Sinn, jedoch erst über ein Jahrhundert nachher, durch das poetelische Gesetz gemildert (S. 195). Die freie Bestim- mung endlich über das Vermögen, die dem Herrn desselben bei Lebzeiten schon nach ältestem römischem Recht zugestanden hatte, aber für den Todesfall bisher geknüpft gewesen war an die Einwilligung der Gemeinde, wurde auch von dieser Schranke befreit, indem das Zwölftafelgesetz den Privattesta- menten dieselbe Kraft beilegte, welche den in den Curien bestätigten zukam; es war dies ein wichtiger Schritt zur Sprengung der Geschlechtsgenossenschaften und zur völligen Durchführung der Individualfreiheit im Vermögensrecht. — Durchgreifendere Aenderungen als das Recht selbst erlitt die politisch wichtigere und überhaupt veränderlichere Rechts- pflegeordnung. In dem Civilverfahren, welches indeſs nach den Begriffen dieser Zeit die meisten gegen Mitbürger began- genen Verbrechen einschloſs, wurde die wohl schon früher übliche Theilung des Verfahrens in Feststellung der Rechts- frage vor dem Magistrat (ius) und Entscheidung derselben durch einen vom Magistrat ernannten Privatmann (iudicium) mit Abschaffung des Königthums gesetzliche Vorschrift (S.161); und dieser Trennung hat das römische Privatrecht seine logi- sche und praktische Schärfe und Bestimmtheit zu verdanken*. * Man pflegt die Römer als das zur Jurisprudenz privilegirte Volk zu preisen und ihr vortreffliches Recht als eine mystische Gabe des Himmels anzustaunen; vermuthlich besonders um sich die Scham zu ersparen über die Nichtswürdigkeit des eigenen Rechtszustandes. Ein Blick auf das bei- Röm. Gesch. I. 19
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0303" n="289"/><fw place="top" type="header">INNERE VERHAELTNISSE.</fw><lb/> für den hohen Culturstand, den die römische Nation damals<lb/> schon erreicht hatte. Eben dahin sind verschiedene Bestim-<lb/> mungen zu rechnen, die den solonischen Gesetzen geradezu<lb/> nachgebildet sind: die Sicherung des freien Associationsrechts<lb/> und der Autonomie der so entstandenen Vereine; die Vorschrift<lb/> über die Grenzstreifen, die das Abpflügen erschwerte; die Mil-<lb/> derung der Strafe des Diebstahls, indem der nicht auf frischer<lb/> That ertappte Dieb sich fortan lösen konnte durch Leistung des<lb/> doppelten Ersatzes. Die furchtbar absolute väterliche Gewalt<lb/> wurde beschränkt durch die Vorschrift, daſs der dreimal vom<lb/> Vater verkaufte Sohn nicht mehr in dessen Gewalt zurück-<lb/> fallen, sondern fortan frei sein solle; woran später durch eine<lb/> streng genommen dem Geist des römischen Rechts zuwider-<lb/> laufende Rechtsdeduction die Möglichkeit angeknüpft ward,<lb/> daſs sich der Vater freiwillig der Herrschaft über den Sohn<lb/> begebe durch Emancipation. Das Schuldrecht ward in ähn-<lb/> lichem Sinn, jedoch erst über ein Jahrhundert nachher, durch<lb/> das poetelische Gesetz gemildert (S. 195). Die freie Bestim-<lb/> mung endlich über das Vermögen, die dem Herrn desselben bei<lb/> Lebzeiten schon nach ältestem römischem Recht zugestanden<lb/> hatte, aber für den Todesfall bisher geknüpft gewesen war<lb/> an die Einwilligung der Gemeinde, wurde auch von dieser<lb/> Schranke befreit, indem das Zwölftafelgesetz den Privattesta-<lb/> menten dieselbe Kraft beilegte, welche den in den Curien<lb/> bestätigten zukam; es war dies ein wichtiger Schritt zur<lb/> Sprengung der Geschlechtsgenossenschaften und zur völligen<lb/> Durchführung der Individualfreiheit im Vermögensrecht. —<lb/> Durchgreifendere Aenderungen als das Recht selbst erlitt die<lb/> politisch wichtigere und überhaupt veränderlichere Rechts-<lb/> pflegeordnung. In dem Civilverfahren, welches indeſs nach<lb/> den Begriffen dieser Zeit die meisten gegen Mitbürger began-<lb/> genen Verbrechen einschloſs, wurde die wohl schon früher<lb/> übliche Theilung des Verfahrens in Feststellung der Rechts-<lb/> frage vor dem Magistrat (<hi rendition="#i">ius</hi>) und Entscheidung derselben<lb/> durch einen vom Magistrat ernannten Privatmann (<hi rendition="#i">iudicium</hi>)<lb/> mit Abschaffung des Königthums gesetzliche Vorschrift (S.161);<lb/> und dieser Trennung hat das römische Privatrecht seine logi-<lb/> sche und praktische Schärfe und Bestimmtheit zu verdanken<note xml:id="seg2pn_4_1" next="#seg2pn_4_2" place="foot" n="*"><lb/> Man pflegt die Römer als das zur Jurisprudenz privilegirte Volk zu<lb/> preisen und ihr vortreffliches Recht als eine mystische Gabe des Himmels<lb/> anzustaunen; vermuthlich besonders um sich die Scham zu ersparen über<lb/> die Nichtswürdigkeit des eigenen Rechtszustandes. Ein Blick auf das bei-</note>.<lb/> <fw place="bottom" type="sig">Röm. Gesch. I. 19</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [289/0303]
INNERE VERHAELTNISSE.
für den hohen Culturstand, den die römische Nation damals
schon erreicht hatte. Eben dahin sind verschiedene Bestim-
mungen zu rechnen, die den solonischen Gesetzen geradezu
nachgebildet sind: die Sicherung des freien Associationsrechts
und der Autonomie der so entstandenen Vereine; die Vorschrift
über die Grenzstreifen, die das Abpflügen erschwerte; die Mil-
derung der Strafe des Diebstahls, indem der nicht auf frischer
That ertappte Dieb sich fortan lösen konnte durch Leistung des
doppelten Ersatzes. Die furchtbar absolute väterliche Gewalt
wurde beschränkt durch die Vorschrift, daſs der dreimal vom
Vater verkaufte Sohn nicht mehr in dessen Gewalt zurück-
fallen, sondern fortan frei sein solle; woran später durch eine
streng genommen dem Geist des römischen Rechts zuwider-
laufende Rechtsdeduction die Möglichkeit angeknüpft ward,
daſs sich der Vater freiwillig der Herrschaft über den Sohn
begebe durch Emancipation. Das Schuldrecht ward in ähn-
lichem Sinn, jedoch erst über ein Jahrhundert nachher, durch
das poetelische Gesetz gemildert (S. 195). Die freie Bestim-
mung endlich über das Vermögen, die dem Herrn desselben bei
Lebzeiten schon nach ältestem römischem Recht zugestanden
hatte, aber für den Todesfall bisher geknüpft gewesen war
an die Einwilligung der Gemeinde, wurde auch von dieser
Schranke befreit, indem das Zwölftafelgesetz den Privattesta-
menten dieselbe Kraft beilegte, welche den in den Curien
bestätigten zukam; es war dies ein wichtiger Schritt zur
Sprengung der Geschlechtsgenossenschaften und zur völligen
Durchführung der Individualfreiheit im Vermögensrecht. —
Durchgreifendere Aenderungen als das Recht selbst erlitt die
politisch wichtigere und überhaupt veränderlichere Rechts-
pflegeordnung. In dem Civilverfahren, welches indeſs nach
den Begriffen dieser Zeit die meisten gegen Mitbürger began-
genen Verbrechen einschloſs, wurde die wohl schon früher
übliche Theilung des Verfahrens in Feststellung der Rechts-
frage vor dem Magistrat (ius) und Entscheidung derselben
durch einen vom Magistrat ernannten Privatmann (iudicium)
mit Abschaffung des Königthums gesetzliche Vorschrift (S.161);
und dieser Trennung hat das römische Privatrecht seine logi-
sche und praktische Schärfe und Bestimmtheit zu verdanken *.
*
Man pflegt die Römer als das zur Jurisprudenz privilegirte Volk zu
preisen und ihr vortreffliches Recht als eine mystische Gabe des Himmels
anzustaunen; vermuthlich besonders um sich die Scham zu ersparen über
die Nichtswürdigkeit des eigenen Rechtszustandes. Ein Blick auf das bei-
Röm. Gesch. I. 19
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |