Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.KARTHAGO. auch nur dem Namen nach anerkannt zu haben, um sich dieHandelsverbindungen mit Tyros und dem Osten zu sichern. -- Aber bei allem guten Willen sich zu fügen und zu schmie- gen traten doch Verhältnisse ein, die diese Phoenikier in eine energischere Politik drängten. Vor dem Strom der hellenischen Wanderung, der sich unaufhaltsam gegen Westen ergoss, der die Phoenikier schon aus dem eigentlichen Griechenland und von Italien verdrängt hatte und eben sich anschickte in Sici- lien, in Spanien, ja in Libyen selbst das Gleiche zu thun, mussten die Phoenikier doch irgendwo Stand halten, wenn sie nicht gänzlich sich wollten vernichten lassen; hier, wo sie mit griechischen Kaufleuten und nicht mit dem Grosskönig zu thun hatten, genügte es nicht sich zu unterwerfen um gegen Schoss und Zins Handel und Industrie in alter Weise fortzuführen. Schon waren Massalia und Kyrene gegründet; schon das ganze östliche Sicilien in den Händen der Grie- chen; es war für die Phoenikier die höchste Zeit zu ernst- l[i]cher Gegenwehr. Die Karthager nahmen sie auf; in langen und hartnäckigen Kriegen setzten sie dem Vordrängen der Kyenaeer eine Grenze und der Hellenismus vermochte nicht sich jenseit der Wüste von Tripolis festzusetzen. Mit kartha- gisch[e]r Hülfe erwehrten ferner die phoenikischen Ansiedler auf de[r] westlichen Spitze Siciliens sich der Griechen und be- gaben [s]ich gern und freiwillig in die Clientel der mächtigsten punisch[en] Stadt des Westens. Diese wichtigen Erfolge, die ins zweit[e] Jahrhundert der Stadt fallen und die den südwest- lichen Th[eil] des Mittelmeers den Phoenikiern retteten, gaben der Stadt, [d]ie sie erfochten hatte, von selbst die Hegemonie der Nation [u]nd zugleich eine veränderte politische Stellung. Karthago wa[r] nicht mehr eine blosse Kaufstadt; sie zielte nach der Her[s]chaft über Libyen und über einen Theil des Mittelmeers, w[eil] sie es musste. Wesentlich trug wahrschein- lich bei zu die[sen] Erfolgen das Aufkommen der Söldnerei, die in Griechenla[nd] etwa um die Mitte des vierten Jahrhun- derts der Stadt [in] Uebung kam, bei den Orientalen aber, namentlich bei de[n] Karern weit älter ist und vielleicht eben bei den Phoenikiern [b]egann. Durch das ausländische Werb- system ward der Kri[eg] zu einer grossartigen Geldspeculation, die eben recht im Sin[ne] des phoenikischen Wesens ist. Fassen wir zuerst [die] neue Stellung ins Auge, die Kar- KARTHAGO. auch nur dem Namen nach anerkannt zu haben, um sich dieHandelsverbindungen mit Tyros und dem Osten zu sichern. — Aber bei allem guten Willen sich zu fügen und zu schmie- gen traten doch Verhältnisse ein, die diese Phoenikier in eine energischere Politik drängten. Vor dem Strom der hellenischen Wanderung, der sich unaufhaltsam gegen Westen ergoſs, der die Phoenikier schon aus dem eigentlichen Griechenland und von Italien verdrängt hatte und eben sich anschickte in Sici- lien, in Spanien, ja in Libyen selbst das Gleiche zu thun, muſsten die Phoenikier doch irgendwo Stand halten, wenn sie nicht gänzlich sich wollten vernichten lassen; hier, wo sie mit griechischen Kaufleuten und nicht mit dem Groſskönig zu thun hatten, genügte es nicht sich zu unterwerfen um gegen Schoſs und Zins Handel und Industrie in alter Weise fortzuführen. Schon waren Massalia und Kyrene gegründet; schon das ganze östliche Sicilien in den Händen der Grie- chen; es war für die Phoenikier die höchste Zeit zu ernst- l[i]cher Gegenwehr. Die Karthager nahmen sie auf; in langen und hartnäckigen Kriegen setzten sie dem Vordrängen der Kyenaeer eine Grenze und der Hellenismus vermochte nicht sich jenseit der Wüste von Tripolis festzusetzen. Mit kartha- gisch[e]r Hülfe erwehrten ferner die phoenikischen Ansiedler auf de[r] westlichen Spitze Siciliens sich der Griechen und be- gaben [s]ich gern und freiwillig in die Clientel der mächtigsten punisch[en] Stadt des Westens. Diese wichtigen Erfolge, die ins zweit[e] Jahrhundert der Stadt fallen und die den südwest- lichen Th[eil] des Mittelmeers den Phoenikiern retteten, gaben der Stadt, [d]ie sie erfochten hatte, von selbst die Hegemonie der Nation [u]nd zugleich eine veränderte politische Stellung. Karthago wa[r] nicht mehr eine bloſse Kaufstadt; sie zielte nach der Her[s]chaft über Libyen und über einen Theil des Mittelmeers, w[eil] sie es muſste. Wesentlich trug wahrschein- lich bei zu die[sen] Erfolgen das Aufkommen der Söldnerei, die in Griechenla[nd] etwa um die Mitte des vierten Jahrhun- derts der Stadt [in] Uebung kam, bei den Orientalen aber, namentlich bei de[n] Karern weit älter ist und vielleicht eben bei den Phoenikiern [b]egann. Durch das ausländische Werb- system ward der Kri[eg] zu einer groſsartigen Geldspeculation, die eben recht im Sin[ne] des phoenikischen Wesens ist. Fassen wir zuerst [die] neue Stellung ins Auge, die Kar- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0327" n="313"/><fw place="top" type="header">KARTHAGO.</fw><lb/> auch nur dem Namen nach anerkannt zu haben, um sich die<lb/> Handelsverbindungen mit Tyros und dem Osten zu sichern.<lb/> — Aber bei allem guten Willen sich zu fügen und zu schmie-<lb/> gen traten doch Verhältnisse ein, die diese Phoenikier in eine<lb/> energischere Politik drängten. 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KARTHAGO.
auch nur dem Namen nach anerkannt zu haben, um sich die
Handelsverbindungen mit Tyros und dem Osten zu sichern.
— Aber bei allem guten Willen sich zu fügen und zu schmie-
gen traten doch Verhältnisse ein, die diese Phoenikier in eine
energischere Politik drängten. Vor dem Strom der hellenischen
Wanderung, der sich unaufhaltsam gegen Westen ergoſs, der
die Phoenikier schon aus dem eigentlichen Griechenland und
von Italien verdrängt hatte und eben sich anschickte in Sici-
lien, in Spanien, ja in Libyen selbst das Gleiche zu thun,
muſsten die Phoenikier doch irgendwo Stand halten, wenn
sie nicht gänzlich sich wollten vernichten lassen; hier, wo sie
mit griechischen Kaufleuten und nicht mit dem Groſskönig
zu thun hatten, genügte es nicht sich zu unterwerfen um
gegen Schoſs und Zins Handel und Industrie in alter Weise
fortzuführen. Schon waren Massalia und Kyrene gegründet;
schon das ganze östliche Sicilien in den Händen der Grie-
chen; es war für die Phoenikier die höchste Zeit zu ernst-
licher Gegenwehr. Die Karthager nahmen sie auf; in langen
und hartnäckigen Kriegen setzten sie dem Vordrängen der
Kyenaeer eine Grenze und der Hellenismus vermochte nicht
sich jenseit der Wüste von Tripolis festzusetzen. Mit kartha-
gischer Hülfe erwehrten ferner die phoenikischen Ansiedler
auf der westlichen Spitze Siciliens sich der Griechen und be-
gaben sich gern und freiwillig in die Clientel der mächtigsten
punischen Stadt des Westens. Diese wichtigen Erfolge, die
ins zweite Jahrhundert der Stadt fallen und die den südwest-
lichen Theil des Mittelmeers den Phoenikiern retteten, gaben
der Stadt, die sie erfochten hatte, von selbst die Hegemonie
der Nation und zugleich eine veränderte politische Stellung.
Karthago war nicht mehr eine bloſse Kaufstadt; sie zielte
nach der Herschaft über Libyen und über einen Theil des
Mittelmeers, weil sie es muſste. Wesentlich trug wahrschein-
lich bei zu diesen Erfolgen das Aufkommen der Söldnerei,
die in Griechenland etwa um die Mitte des vierten Jahrhun-
derts der Stadt in Uebung kam, bei den Orientalen aber,
namentlich bei den Karern weit älter ist und vielleicht eben
bei den Phoenikiern begann. Durch das ausländische Werb-
system ward der Krieg zu einer groſsartigen Geldspeculation,
die eben recht im Sinne des phoenikischen Wesens ist.
Fassen wir zuerst die neue Stellung ins Auge, die Kar-
thago in Africa einzunehmen sich anschickte, indem man an-
fing auszugehen auf Grundbesitz und Herrschaft. Die kartha-
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