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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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KARTHAGO.
rührung kamen, war Karthago ebenso entschieden die erste
punische Stadt, wie Rom die erste der latinischen Gemeinden.

Aber die Herrschaft über Libyen war nur die eine Hälfte
der karthagischen Macht; ihre See- und Colonialherrschaft
hatte gleichzeitig nicht minder gewaltig sich entwickelt. --
In Spanien war der Hauptplatz der Phoenikier die uralte
tyrische Ansiedlung in Gades (Cadiz); ausserdem besassen sie
eine Kette von Factoreien westlich und östlich davon und im
Innern das Gebiet der Silbergruben, so dass sie etwa das
heutige Andalusien und Granada oder doch wenigstens die
Küste davon inne hatten. Das Binnenland den einheimischen
kriegerischen Nationen abzugewinnen war man nicht bemüht;
man begnügte sich mit dem Besitz der Bergwerke und der
Stationen für den Handel und für den Fisch- und Muschel-
fang und hatte Mühe auch nur hier sich gegen die anwoh-
nenden Stämme zu behaupten. Es ist wahrscheinlich, dass
diese Besitzungen nicht eigentlich karthagisch waren, sondern
tyrisch, und Gades nicht mitzählte unter den tributpflichtigen
Städten Karthagos; doch stand es wie alle westlichen Phoe-
nikier thatsächlich unter karthagischer Hegemonie, wie die
von Karthago den Gaditanern gegen die Eingebornen gesandte
Hülfe und die Anlegung karthagischer Handelsniederlassungen
westlich von Gades beweist. -- Ebusus und die Balearen
wurden dagegen von den Karthagern selbst in früher Zeit
besetzt, theils der Fischereien wegen, theils als Vorposten
gegen die Massalioten, mit denen von hier aus die heftigsten
Kämpfe geführt wurden. Ebenso setzten die Karthager schon
am Ende des zweiten Jahrhunderts Roms sich fest auf Sar-
dinien, welches ganz in derselben Art wie Libyen von ihnen
ausgebeutet ward. Während die Eingebornen sich in dem
gebirgigen Innern der Insel der Verknechtung zur Feldscla-
verei entzogen wie die Numidier in Africa an dem Saum der
Wüste, wurden nach Caralis (Cagliari) und andern wichtigen
Puncten phoenikische Colonien geführt und die fruchtbaren
Küstenlandschaften durch eingeführte libysche Ackerbauer ver-
werthet. -- In Sicilien endlich war zwar die Strasse von Messana
und die grössere westliche Hälfte der Insel in früher Zeit den
Griechen in die Hände gefallen; allein die Phoenikier behaup-
teten sich mit Hülfe der Karthager theils auf den kleineren In-
seln in der Nähe, den Aegaten, Melite, Gaulos, Kossyra, unter
denen namentlich die Ansiedlung auf Malta reich und blühend
war, auf der sicilischen Ost- und theils Nordostküste, wo sie von

KARTHAGO.
rührung kamen, war Karthago ebenso entschieden die erste
punische Stadt, wie Rom die erste der latinischen Gemeinden.

Aber die Herrschaft über Libyen war nur die eine Hälfte
der karthagischen Macht; ihre See- und Colonialherrschaft
hatte gleichzeitig nicht minder gewaltig sich entwickelt. —
In Spanien war der Hauptplatz der Phoenikier die uralte
tyrische Ansiedlung in Gades (Cadiz); auſserdem besaſsen sie
eine Kette von Factoreien westlich und östlich davon und im
Innern das Gebiet der Silbergruben, so daſs sie etwa das
heutige Andalusien und Granada oder doch wenigstens die
Küste davon inne hatten. Das Binnenland den einheimischen
kriegerischen Nationen abzugewinnen war man nicht bemüht;
man begnügte sich mit dem Besitz der Bergwerke und der
Stationen für den Handel und für den Fisch- und Muschel-
fang und hatte Mühe auch nur hier sich gegen die anwoh-
nenden Stämme zu behaupten. Es ist wahrscheinlich, daſs
diese Besitzungen nicht eigentlich karthagisch waren, sondern
tyrisch, und Gades nicht mitzählte unter den tributpflichtigen
Städten Karthagos; doch stand es wie alle westlichen Phoe-
nikier thatsächlich unter karthagischer Hegemonie, wie die
von Karthago den Gaditanern gegen die Eingebornen gesandte
Hülfe und die Anlegung karthagischer Handelsniederlassungen
westlich von Gades beweist. — Ebusus und die Balearen
wurden dagegen von den Karthagern selbst in früher Zeit
besetzt, theils der Fischereien wegen, theils als Vorposten
gegen die Massalioten, mit denen von hier aus die heftigsten
Kämpfe geführt wurden. Ebenso setzten die Karthager schon
am Ende des zweiten Jahrhunderts Roms sich fest auf Sar-
dinien, welches ganz in derselben Art wie Libyen von ihnen
ausgebeutet ward. Während die Eingebornen sich in dem
gebirgigen Innern der Insel der Verknechtung zur Feldscla-
verei entzogen wie die Numidier in Africa an dem Saum der
Wüste, wurden nach Caralis (Cagliari) und andern wichtigen
Puncten phoenikische Colonien geführt und die fruchtbaren
Küstenlandschaften durch eingeführte libysche Ackerbauer ver-
werthet. — In Sicilien endlich war zwar die Straſse von Messana
und die gröſsere westliche Hälfte der Insel in früher Zeit den
Griechen in die Hände gefallen; allein die Phoenikier behaup-
teten sich mit Hülfe der Karthager theils auf den kleineren In-
seln in der Nähe, den Aegaten, Melite, Gaulos, Kossyra, unter
denen namentlich die Ansiedlung auf Malta reich und blühend
war, auf der sicilischen Ost- und theils Nordostküste, wo sie von

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[317/0331] KARTHAGO. rührung kamen, war Karthago ebenso entschieden die erste punische Stadt, wie Rom die erste der latinischen Gemeinden. Aber die Herrschaft über Libyen war nur die eine Hälfte der karthagischen Macht; ihre See- und Colonialherrschaft hatte gleichzeitig nicht minder gewaltig sich entwickelt. — In Spanien war der Hauptplatz der Phoenikier die uralte tyrische Ansiedlung in Gades (Cadiz); auſserdem besaſsen sie eine Kette von Factoreien westlich und östlich davon und im Innern das Gebiet der Silbergruben, so daſs sie etwa das heutige Andalusien und Granada oder doch wenigstens die Küste davon inne hatten. Das Binnenland den einheimischen kriegerischen Nationen abzugewinnen war man nicht bemüht; man begnügte sich mit dem Besitz der Bergwerke und der Stationen für den Handel und für den Fisch- und Muschel- fang und hatte Mühe auch nur hier sich gegen die anwoh- nenden Stämme zu behaupten. Es ist wahrscheinlich, daſs diese Besitzungen nicht eigentlich karthagisch waren, sondern tyrisch, und Gades nicht mitzählte unter den tributpflichtigen Städten Karthagos; doch stand es wie alle westlichen Phoe- nikier thatsächlich unter karthagischer Hegemonie, wie die von Karthago den Gaditanern gegen die Eingebornen gesandte Hülfe und die Anlegung karthagischer Handelsniederlassungen westlich von Gades beweist. — Ebusus und die Balearen wurden dagegen von den Karthagern selbst in früher Zeit besetzt, theils der Fischereien wegen, theils als Vorposten gegen die Massalioten, mit denen von hier aus die heftigsten Kämpfe geführt wurden. Ebenso setzten die Karthager schon am Ende des zweiten Jahrhunderts Roms sich fest auf Sar- dinien, welches ganz in derselben Art wie Libyen von ihnen ausgebeutet ward. Während die Eingebornen sich in dem gebirgigen Innern der Insel der Verknechtung zur Feldscla- verei entzogen wie die Numidier in Africa an dem Saum der Wüste, wurden nach Caralis (Cagliari) und andern wichtigen Puncten phoenikische Colonien geführt und die fruchtbaren Küstenlandschaften durch eingeführte libysche Ackerbauer ver- werthet. — In Sicilien endlich war zwar die Straſse von Messana und die gröſsere westliche Hälfte der Insel in früher Zeit den Griechen in die Hände gefallen; allein die Phoenikier behaup- teten sich mit Hülfe der Karthager theils auf den kleineren In- seln in der Nähe, den Aegaten, Melite, Gaulos, Kossyra, unter denen namentlich die Ansiedlung auf Malta reich und blühend war, auf der sicilischen Ost- und theils Nordostküste, wo sie von

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/331>, abgerufen am 22.11.2024.