Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.ERSTER PUNISCHER KRIEG. waren von Campanien gekommen, wo bei den dort angesie-delten Sabellern ein wüstes Wesen eingerissen war, das aus Campanien im vierten und fünften Jahrhundert machte, was später Aetolien, Kreta, Lakonien waren: den allgemeinen Werbeplatz für die söldnersuchenden Fürsten und Städte. Die von den campanischen Griechen dort ins Leben gerufene Halbcultur, die barbarische Ueppigkeit des Lebens in Capua und den übrigen campanischen Städten, wo man keinen statt- lichen Schmaus mehr hielt, ohne dass die Gäste durch Fechter- spiele auf Leben und Tod während des Mahles ergötzt wur- den, die politische Ohnmacht, zu der die römische Herrschaft sie verurtheilte, ohne ihnen doch durch ein straffes Regiment die Verfügung über sich selbst vollständig zu entziehen -- alles dies trieb die campanische Jugend schaarenweise unter die Fahnen der Werbeoffiziere; und es versteht sich, dass der leichtsinnige und gewissenlose Selbstverkauf hier wie überall die Entfremdung von der Heimath, die Gewöhnung an Gewalt- thätigkeit und Soldatenunfug und die Gleichgültigkeit gegen den Treubruch im Gefolge hatte. Warum eine Söldnerschaar sich der ihrer Hut anvertrauten Stadt nicht für sich selbst bemächtigen solle, vorausgesetzt nur dass sie dieselbe zu be- haupten im Stande war, leuchtete den Campanern nicht ein -- hatten doch die Samniten in Capua selbst, die Lucaner in einer Reihe griechischer Städte ihre Herrschaft in nicht viel ehrenhafterer Weise begründet. Nirgends luden die politi- schen Verhältnisse mehr zu solchen Unternehmungen ein als in Sicilien; schon die während des peloponnesischen Krieges nach Sicilien gelangten campanischen Hauptleute hatten in Entella und Aetna in solcher Art sich eingenistet. Etwa um das Jahr 470 setzte ein campanischer Trupp, der früher unter Agathokles gedient hatte und nach dessen Tode (465) das Räuberhandwerk auf eigene Rechnung trieb, sich fest in Messa- na, der zweiten Stadt des griechischen Siciliens und dem Haupt- sitz der antisyrakusanischen Partei in dem noch von Griechen beherrschten Theile der Insel. Die Bürger wurden erschlagen oder vertrieben, die Frauen und Kinder und die Häuser der- selben unter die Soldaten vertheilt und die neuen Herren der Stadt oder wie sie sich nannten, die Mamertiner wurden bald die dritte Macht der Insel, deren nordöstlichen Theil sie in den wüsten Zeiten nach Agathokles Tode sich unterwarfen. Die Karthager sahen nicht ungern diese Ereignisse, durch welche die Syrakusier die wichtigste unterthänige Stadt ver- ERSTER PUNISCHER KRIEG. waren von Campanien gekommen, wo bei den dort angesie-delten Sabellern ein wüstes Wesen eingerissen war, das aus Campanien im vierten und fünften Jahrhundert machte, was später Aetolien, Kreta, Lakonien waren: den allgemeinen Werbeplatz für die söldnersuchenden Fürsten und Städte. Die von den campanischen Griechen dort ins Leben gerufene Halbcultur, die barbarische Ueppigkeit des Lebens in Capua und den übrigen campanischen Städten, wo man keinen statt- lichen Schmaus mehr hielt, ohne daſs die Gäste durch Fechter- spiele auf Leben und Tod während des Mahles ergötzt wur- den, die politische Ohnmacht, zu der die römische Herrschaft sie verurtheilte, ohne ihnen doch durch ein straffes Regiment die Verfügung über sich selbst vollständig zu entziehen — alles dies trieb die campanische Jugend schaarenweise unter die Fahnen der Werbeoffiziere; und es versteht sich, dass der leichtsinnige und gewissenlose Selbstverkauf hier wie überall die Entfremdung von der Heimath, die Gewöhnung an Gewalt- thätigkeit und Soldatenunfug und die Gleichgültigkeit gegen den Treubruch im Gefolge hatte. Warum eine Söldnerschaar sich der ihrer Hut anvertrauten Stadt nicht für sich selbst bemächtigen solle, vorausgesetzt nur daſs sie dieselbe zu be- haupten im Stande war, leuchtete den Campanern nicht ein — hatten doch die Samniten in Capua selbst, die Lucaner in einer Reihe griechischer Städte ihre Herrschaft in nicht viel ehrenhafterer Weise begründet. Nirgends luden die politi- schen Verhältnisse mehr zu solchen Unternehmungen ein als in Sicilien; schon die während des peloponnesischen Krieges nach Sicilien gelangten campanischen Hauptleute hatten in Entella und Aetna in solcher Art sich eingenistet. Etwa um das Jahr 470 setzte ein campanischer Trupp, der früher unter Agathokles gedient hatte und nach dessen Tode (465) das Räuberhandwerk auf eigene Rechnung trieb, sich fest in Messa- na, der zweiten Stadt des griechischen Siciliens und dem Haupt- sitz der antisyrakusanischen Partei in dem noch von Griechen beherrschten Theile der Insel. Die Bürger wurden erschlagen oder vertrieben, die Frauen und Kinder und die Häuser der- selben unter die Soldaten vertheilt und die neuen Herren der Stadt oder wie sie sich nannten, die Mamertiner wurden bald die dritte Macht der Insel, deren nordöstlichen Theil sie in den wüsten Zeiten nach Agathokles Tode sich unterwarfen. 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ERSTER PUNISCHER KRIEG.
waren von Campanien gekommen, wo bei den dort angesie-
delten Sabellern ein wüstes Wesen eingerissen war, das aus
Campanien im vierten und fünften Jahrhundert machte, was
später Aetolien, Kreta, Lakonien waren: den allgemeinen
Werbeplatz für die söldnersuchenden Fürsten und Städte.
Die von den campanischen Griechen dort ins Leben gerufene
Halbcultur, die barbarische Ueppigkeit des Lebens in Capua
und den übrigen campanischen Städten, wo man keinen statt-
lichen Schmaus mehr hielt, ohne daſs die Gäste durch Fechter-
spiele auf Leben und Tod während des Mahles ergötzt wur-
den, die politische Ohnmacht, zu der die römische Herrschaft
sie verurtheilte, ohne ihnen doch durch ein straffes Regiment
die Verfügung über sich selbst vollständig zu entziehen —
alles dies trieb die campanische Jugend schaarenweise unter
die Fahnen der Werbeoffiziere; und es versteht sich, dass der
leichtsinnige und gewissenlose Selbstverkauf hier wie überall
die Entfremdung von der Heimath, die Gewöhnung an Gewalt-
thätigkeit und Soldatenunfug und die Gleichgültigkeit gegen
den Treubruch im Gefolge hatte. Warum eine Söldnerschaar
sich der ihrer Hut anvertrauten Stadt nicht für sich selbst
bemächtigen solle, vorausgesetzt nur daſs sie dieselbe zu be-
haupten im Stande war, leuchtete den Campanern nicht ein
— hatten doch die Samniten in Capua selbst, die Lucaner in
einer Reihe griechischer Städte ihre Herrschaft in nicht viel
ehrenhafterer Weise begründet. Nirgends luden die politi-
schen Verhältnisse mehr zu solchen Unternehmungen ein als
in Sicilien; schon die während des peloponnesischen Krieges
nach Sicilien gelangten campanischen Hauptleute hatten in
Entella und Aetna in solcher Art sich eingenistet. Etwa um
das Jahr 470 setzte ein campanischer Trupp, der früher unter
Agathokles gedient hatte und nach dessen Tode (465) das
Räuberhandwerk auf eigene Rechnung trieb, sich fest in Messa-
na, der zweiten Stadt des griechischen Siciliens und dem Haupt-
sitz der antisyrakusanischen Partei in dem noch von Griechen
beherrschten Theile der Insel. Die Bürger wurden erschlagen
oder vertrieben, die Frauen und Kinder und die Häuser der-
selben unter die Soldaten vertheilt und die neuen Herren der
Stadt oder wie sie sich nannten, die Mamertiner wurden bald
die dritte Macht der Insel, deren nordöstlichen Theil sie
in den wüsten Zeiten nach Agathokles Tode sich unterwarfen.
Die Karthager sahen nicht ungern diese Ereignisse, durch
welche die Syrakusier die wichtigste unterthänige Stadt ver-
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