Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.DRITTES BUCH. KAPITEL II. von Karthago ausgehenden Systeme des Seekrieges fast aus-schliesslich in der Linie verwendet wurden, hatte man in Ita- lien noch nicht gebaut. Die Massregel der Römer war also ungefähr der Art, wie wenn jetzt ein Seestaat von Fregatten und Kuttern übergehen wollte zum Bau von Linien- schiffen; und eben wie man heute in solchem Fall wo möglich ein fremdes Linienschiff zum Muster nehmen würde, überwiesen auch die Römer ihren Schiffsbaumeistern eine ge- strandete karthagische Pentere als Modell. Ohne Zweifel hät- ten die Römer, wenn sie gewollt hätten, mit Hülfe der Syra- kusaner und Massalioten schneller zum Ziele gelangen können; allein ihre Staatsmänner waren zu einsichtig um Italien durch eine nichtitalische Flotte vertheidigen zu wollen. Dagegen wurden die italischen Bundesgenossen stark angezogen sowohl für die Schiffsoffiziere, die man grösstentheils aus der ita- lischen Handelsmarine genommen haben wird, als für die Ma- trosen, deren Name (socii navales) beweist, dass sie eine Zeitlang ausschliesslich von den Bundesgenossen gestellt wurden; daneben wurden später Sclaven verwandt, die der Staat und die reicheren Familien stellten, bald auch die ärmere Klasse der Bürger. Unter solchen Verhältnissen und wenn man theils den damaligen verhältnissmässig niedrigen Stand des Schiff- baus, theils die römische Energie wie billig in Anschlag bringt, wird es begreiflich, dass die Römer die Aufgabe, an der Na- poleon gescheitert ist, eine Continental- in eine Seemacht um- zuwandeln, innerhalb eines Jahres lösten und ihre Flotte von hundert und zwanzig Segeln in der That im Frühjahr 494 von Stapel lief. Freilich konnte weder Geld noch Energie bewirken, dass dieselbe der karthagischen an Zahl und Segel- tüchtigkeit gleichkam; und es musste dies um so bedenklicher erscheinen, als die Seetaktik dieser Zeit vorwiegend im Ma- növriren bestand. Es kam zwar im Seegefecht auch häufig vor, dass Schwergerüstete und Bogenschützen vom Verdeck herab fochten, oder dass Wurfmaschinen von demselben aus arbeiteten, allein der gewöhnliche und eigentlich entscheidende Kampf bestand im Uebersegeln der feindlichen Schiffe, zu welchem Zwecke die Vordertheile mit schweren Eisenschnäbeln versehen waren; die kämpfenden Schiffe pflegten einander zu umkreisen, bis dem einen oder dem andern der Stoss ge- lang, der gewöhnlich entschied. Desshalb befanden sich unter der Bemannung eines gewöhnlichen griechischen Dreideckers von etwa 200 Mann nur etwa 10 Soldaten, dagegen 170 DRITTES BUCH. KAPITEL II. von Karthago ausgehenden Systeme des Seekrieges fast aus-schlieſslich in der Linie verwendet wurden, hatte man in Ita- lien noch nicht gebaut. Die Maſsregel der Römer war also ungefähr der Art, wie wenn jetzt ein Seestaat von Fregatten und Kuttern übergehen wollte zum Bau von Linien- schiffen; und eben wie man heute in solchem Fall wo möglich ein fremdes Linienschiff zum Muster nehmen würde, überwiesen auch die Römer ihren Schiffsbaumeistern eine ge- strandete karthagische Pentere als Modell. Ohne Zweifel hät- ten die Römer, wenn sie gewollt hätten, mit Hülfe der Syra- kusaner und Massalioten schneller zum Ziele gelangen können; allein ihre Staatsmänner waren zu einsichtig um Italien durch eine nichtitalische Flotte vertheidigen zu wollen. Dagegen wurden die italischen Bundesgenossen stark angezogen sowohl für die Schiffsoffiziere, die man gröſstentheils aus der ita- lischen Handelsmarine genommen haben wird, als für die Ma- trosen, deren Name (socii navales) beweist, daſs sie eine Zeitlang ausschlieſslich von den Bundesgenossen gestellt wurden; daneben wurden später Sclaven verwandt, die der Staat und die reicheren Familien stellten, bald auch die ärmere Klasse der Bürger. Unter solchen Verhältnissen und wenn man theils den damaligen verhältniſsmäſsig niedrigen Stand des Schiff- baus, theils die römische Energie wie billig in Anschlag bringt, wird es begreiflich, daſs die Römer die Aufgabe, an der Na- poleon gescheitert ist, eine Continental- in eine Seemacht um- zuwandeln, innerhalb eines Jahres lösten und ihre Flotte von hundert und zwanzig Segeln in der That im Frühjahr 494 von Stapel lief. Freilich konnte weder Geld noch Energie bewirken, daſs dieselbe der karthagischen an Zahl und Segel- tüchtigkeit gleichkam; und es muſste dies um so bedenklicher erscheinen, als die Seetaktik dieser Zeit vorwiegend im Ma- növriren bestand. Es kam zwar im Seegefecht auch häufig vor, daſs Schwergerüstete und Bogenschützen vom Verdeck herab fochten, oder daſs Wurfmaschinen von demselben aus arbeiteten, allein der gewöhnliche und eigentlich entscheidende Kampf bestand im Uebersegeln der feindlichen Schiffe, zu welchem Zwecke die Vordertheile mit schweren Eisenschnäbeln versehen waren; die kämpfenden Schiffe pflegten einander zu umkreisen, bis dem einen oder dem andern der Stoſs ge- lang, der gewöhnlich entschied. Deſshalb befanden sich unter der Bemannung eines gewöhnlichen griechischen Dreideckers von etwa 200 Mann nur etwa 10 Soldaten, dagegen 170 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0354" n="340"/><fw place="top" type="header">DRITTES BUCH. 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DRITTES BUCH. KAPITEL II.
von Karthago ausgehenden Systeme des Seekrieges fast aus-
schlieſslich in der Linie verwendet wurden, hatte man in Ita-
lien noch nicht gebaut. Die Maſsregel der Römer war also
ungefähr der Art, wie wenn jetzt ein Seestaat von Fregatten
und Kuttern übergehen wollte zum Bau von Linien-
schiffen; und eben wie man heute in solchem Fall wo
möglich ein fremdes Linienschiff zum Muster nehmen würde,
überwiesen auch die Römer ihren Schiffsbaumeistern eine ge-
strandete karthagische Pentere als Modell. Ohne Zweifel hät-
ten die Römer, wenn sie gewollt hätten, mit Hülfe der Syra-
kusaner und Massalioten schneller zum Ziele gelangen können;
allein ihre Staatsmänner waren zu einsichtig um Italien durch
eine nichtitalische Flotte vertheidigen zu wollen. Dagegen
wurden die italischen Bundesgenossen stark angezogen sowohl
für die Schiffsoffiziere, die man gröſstentheils aus der ita-
lischen Handelsmarine genommen haben wird, als für die Ma-
trosen, deren Name (socii navales) beweist, daſs sie eine
Zeitlang ausschlieſslich von den Bundesgenossen gestellt wurden;
daneben wurden später Sclaven verwandt, die der Staat und
die reicheren Familien stellten, bald auch die ärmere Klasse
der Bürger. Unter solchen Verhältnissen und wenn man theils
den damaligen verhältniſsmäſsig niedrigen Stand des Schiff-
baus, theils die römische Energie wie billig in Anschlag bringt,
wird es begreiflich, daſs die Römer die Aufgabe, an der Na-
poleon gescheitert ist, eine Continental- in eine Seemacht um-
zuwandeln, innerhalb eines Jahres lösten und ihre Flotte von
hundert und zwanzig Segeln in der That im Frühjahr 494
von Stapel lief. Freilich konnte weder Geld noch Energie
bewirken, daſs dieselbe der karthagischen an Zahl und Segel-
tüchtigkeit gleichkam; und es muſste dies um so bedenklicher
erscheinen, als die Seetaktik dieser Zeit vorwiegend im Ma-
növriren bestand. Es kam zwar im Seegefecht auch häufig
vor, daſs Schwergerüstete und Bogenschützen vom Verdeck
herab fochten, oder daſs Wurfmaschinen von demselben aus
arbeiteten, allein der gewöhnliche und eigentlich entscheidende
Kampf bestand im Uebersegeln der feindlichen Schiffe, zu
welchem Zwecke die Vordertheile mit schweren Eisenschnäbeln
versehen waren; die kämpfenden Schiffe pflegten einander
zu umkreisen, bis dem einen oder dem andern der Stoſs ge-
lang, der gewöhnlich entschied. Deſshalb befanden sich unter
der Bemannung eines gewöhnlichen griechischen Dreideckers
von etwa 200 Mann nur etwa 10 Soldaten, dagegen 170
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