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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DRITTES BUCH. KAPITEL II.
Um Mitternacht fuhr er ab mit dem ganzen Blokadegeschwa-
der, das Freiwillige aus den Legionen an Bord genommen
hatte; in guter Ordnung segelnd, den rechten Flügel am
Lande, den linken in der hohen See, erreichte er glücklich mit
Sonnenaufgang den Hafen von Drepana. Der punische Admi-
ral Atarbas, obwohl überrascht, verlor die Besonnenheit
nicht und liess sich nicht in den Hafen einschliessen, sondern
wie die römischen Schiffe in den nach Süden sichelförmig
sich öffnenden Hafen an der Landseite einfuhren, zog er an
der noch freien Seeseite seine Schiffe aus dem Hafen heraus
und stellte sie ausserhalb desselben in Linie. Dem römischen
Admiral blieb nichts übrig als die vordersten Schiffe möglichst
schnell aus dem Hafen zurückzunehmen und das Gleiche zu
thun, allein über dieser rückgängigen Bewegung verlor er die
freie Wahl seiner Aufstellung und musste die Schlacht anneh-
men in einer Linie, die theils von der feindlichen um fünf
Schiffe überflügelt war, da es an Zeit gebrach die Schiffe
wieder aus dem Hafen vollständig zu entwickeln, theils so
dicht an die Küste gedrängt war, dass seine Fahrzeuge weder
zurückweichen noch hinter der Linie hinsegelnd sich unter
einander zu Hülfe kommen konnten. Die Schlacht war nicht
bloss verloren, ehe sie begann, sondern die römische Flotte
so vollständig umstrickt, dass sie fast ganz den Feinden in
die Hände fiel. Zwar der Consul entkam, indem er zuerst
davon floh; aber 93 römische Schiffe, mehr als drei Viertel
der Blokadeflotte, mit dem Kern der römischen Legionen an
Bord fielen den Puniern in die Hände. Es war der erste
und einzige grosse Seesieg, den die Karthager über die Rö-
mer erfochten haben. Lilybaeon war der That nach von der
Seeseite befreit, denn wenn auch die Trümmer der römischen
Flotte den Hafen wieder erreichten, so war diese doch jetzt
viel zu schwach um den nie ganz geschlossenen Hafen ernst-
lich zu versperren und konnte vor dem Angriff der karthagi-
schen Schiffe sich selbst nur retten durch den Beistand des
Landheers; die mühsamen Erfolge des aufreibenden Festungs-
krieges waren plötzlich vereitelt durch die eine Unvorsichtigkeit
eines unerfahrenen und frevelhaft leichtsinnigen Offiziers. Was
dessen Uebermuth noch an Kriegsschiffen den Römern ge-
lassen hatte, ging kurz darauf zu Grunde durch den Unver-
stand seines Collegen. Der zweite Consul Lucius Iunius Pul-
lus, der den Auftrag erhalten hatte die für das Heer in
Lilybaeon bestimmten Transporte in Syrakus zu verladen und

DRITTES BUCH. KAPITEL II.
Um Mitternacht fuhr er ab mit dem ganzen Blokadegeschwa-
der, das Freiwillige aus den Legionen an Bord genommen
hatte; in guter Ordnung segelnd, den rechten Flügel am
Lande, den linken in der hohen See, erreichte er glücklich mit
Sonnenaufgang den Hafen von Drepana. Der punische Admi-
ral Atarbas, obwohl überrascht, verlor die Besonnenheit
nicht und lieſs sich nicht in den Hafen einschlieſsen, sondern
wie die römischen Schiffe in den nach Süden sichelförmig
sich öffnenden Hafen an der Landseite einfuhren, zog er an
der noch freien Seeseite seine Schiffe aus dem Hafen heraus
und stellte sie auſserhalb desselben in Linie. Dem römischen
Admiral blieb nichts übrig als die vordersten Schiffe möglichst
schnell aus dem Hafen zurückzunehmen und das Gleiche zu
thun, allein über dieser rückgängigen Bewegung verlor er die
freie Wahl seiner Aufstellung und muſste die Schlacht anneh-
men in einer Linie, die theils von der feindlichen um fünf
Schiffe überflügelt war, da es an Zeit gebrach die Schiffe
wieder aus dem Hafen vollständig zu entwickeln, theils so
dicht an die Küste gedrängt war, daſs seine Fahrzeuge weder
zurückweichen noch hinter der Linie hinsegelnd sich unter
einander zu Hülfe kommen konnten. Die Schlacht war nicht
bloſs verloren, ehe sie begann, sondern die römische Flotte
so vollständig umstrickt, daſs sie fast ganz den Feinden in
die Hände fiel. Zwar der Consul entkam, indem er zuerst
davon floh; aber 93 römische Schiffe, mehr als drei Viertel
der Blokadeflotte, mit dem Kern der römischen Legionen an
Bord fielen den Puniern in die Hände. Es war der erste
und einzige groſse Seesieg, den die Karthager über die Rö-
mer erfochten haben. Lilybaeon war der That nach von der
Seeseite befreit, denn wenn auch die Trümmer der römischen
Flotte den Hafen wieder erreichten, so war diese doch jetzt
viel zu schwach um den nie ganz geschlossenen Hafen ernst-
lich zu versperren und konnte vor dem Angriff der karthagi-
schen Schiffe sich selbst nur retten durch den Beistand des
Landheers; die mühsamen Erfolge des aufreibenden Festungs-
krieges waren plötzlich vereitelt durch die eine Unvorsichtigkeit
eines unerfahrenen und frevelhaft leichtsinnigen Offiziers. Was
dessen Uebermuth noch an Kriegsschiffen den Römern ge-
lassen hatte, ging kurz darauf zu Grunde durch den Unver-
stand seines Collegen. Der zweite Consul Lucius Iunius Pul-
lus, der den Auftrag erhalten hatte die für das Heer in
Lilybaeon bestimmten Transporte in Syrakus zu verladen und

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[352/0366] DRITTES BUCH. KAPITEL II. Um Mitternacht fuhr er ab mit dem ganzen Blokadegeschwa- der, das Freiwillige aus den Legionen an Bord genommen hatte; in guter Ordnung segelnd, den rechten Flügel am Lande, den linken in der hohen See, erreichte er glücklich mit Sonnenaufgang den Hafen von Drepana. Der punische Admi- ral Atarbas, obwohl überrascht, verlor die Besonnenheit nicht und lieſs sich nicht in den Hafen einschlieſsen, sondern wie die römischen Schiffe in den nach Süden sichelförmig sich öffnenden Hafen an der Landseite einfuhren, zog er an der noch freien Seeseite seine Schiffe aus dem Hafen heraus und stellte sie auſserhalb desselben in Linie. Dem römischen Admiral blieb nichts übrig als die vordersten Schiffe möglichst schnell aus dem Hafen zurückzunehmen und das Gleiche zu thun, allein über dieser rückgängigen Bewegung verlor er die freie Wahl seiner Aufstellung und muſste die Schlacht anneh- men in einer Linie, die theils von der feindlichen um fünf Schiffe überflügelt war, da es an Zeit gebrach die Schiffe wieder aus dem Hafen vollständig zu entwickeln, theils so dicht an die Küste gedrängt war, daſs seine Fahrzeuge weder zurückweichen noch hinter der Linie hinsegelnd sich unter einander zu Hülfe kommen konnten. Die Schlacht war nicht bloſs verloren, ehe sie begann, sondern die römische Flotte so vollständig umstrickt, daſs sie fast ganz den Feinden in die Hände fiel. Zwar der Consul entkam, indem er zuerst davon floh; aber 93 römische Schiffe, mehr als drei Viertel der Blokadeflotte, mit dem Kern der römischen Legionen an Bord fielen den Puniern in die Hände. Es war der erste und einzige groſse Seesieg, den die Karthager über die Rö- mer erfochten haben. Lilybaeon war der That nach von der Seeseite befreit, denn wenn auch die Trümmer der römischen Flotte den Hafen wieder erreichten, so war diese doch jetzt viel zu schwach um den nie ganz geschlossenen Hafen ernst- lich zu versperren und konnte vor dem Angriff der karthagi- schen Schiffe sich selbst nur retten durch den Beistand des Landheers; die mühsamen Erfolge des aufreibenden Festungs- krieges waren plötzlich vereitelt durch die eine Unvorsichtigkeit eines unerfahrenen und frevelhaft leichtsinnigen Offiziers. Was dessen Uebermuth noch an Kriegsschiffen den Römern ge- lassen hatte, ging kurz darauf zu Grunde durch den Unver- stand seines Collegen. Der zweite Consul Lucius Iunius Pul- lus, der den Auftrag erhalten hatte die für das Heer in Lilybaeon bestimmten Transporte in Syrakus zu verladen und

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/366>, abgerufen am 24.11.2024.