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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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HAMILKAR UND HANNIBAL.
Nachfolgers ging nicht von den Behörden der Hauptstadt aus,
sondern vom Heere, das heisst von den im Heere als Geru-
siasten oder Offiziere dienenden Karthagern, die auch bei
Verträgen neben dem Feldherrn genannt werden; natürlich
unter Bestätigung der Volksversammlung daheim. Mag dies
Usurpation sein oder nicht, es bezeichnet deutlich, wie die
Kriegspartei das Heer als ihre Domäne ansah und behandelte.
-- Der Form nach war Hamilkars Aufgabe bescheiden. Die
Kriege mit den numidischen Stämmen ruhten an der Grenze
nie; vor kurzem erst war im Binnenland die ,Stadt der
hundert Thore' Theveste (Tebessa) von den Puniern besetzt
worden. Die Fortführung dieser Grenzfehden liess sich als
eine innere nicht sehr bedeutende Massregel betrachten, zu
welcher die karthagische Regierung, da man sie nicht störte
in dem was sie zunächst begehrte, stillschweigen konnte, wäh-
rend die Römer deren Tragweite vielleicht nicht einmal er-
kannten.

So stand an der Spitze des Heeres der eine Mann, der
im sicilischen und im libyschen Kriege es bewährt, dass die
Geschicke ihn zum Retter des Vaterlandes bestimmt hatten oder
keinen. Grossartiger als von ihm ist vielleicht niemals der gross-
artige Kampf des Menschen gegen das Schicksal geführt wor-
den. Das Heer sollte den Staat retten; aber was für ein
Heer? Die karthagische Bürgerwehr hatte unter Hamilkars
Führung im libyschen Krieg sich nicht schlecht geschlagen;
allein er wusste wohl, dass es ein anderes ist die Kaufleute und
Fabrikanten einer Stadt, die in der höchsten Gefahr schwebt,
einmal zum Kampf hinauszuführen und ein anderes, Soldaten
aus ihnen zu bilden. Die karthagische Patriotenpartei lieferte
ihm vortreffliche Offiziere, aber in ihr war natürlich fast aus-
schliesslich die gebildete Klasse vertreten. Bürgermiliz fand sich
gar nicht in Hamilkars Heer; höchstens einige libyphoeniki-
sche Reiterschwadronen. Es galt ein Heer zu schaffen aus
dem libyschen Zwangsrekruten und aus Söldnern; was einem
Feldherrn wie Hamilkar möglich war, allein nur, wenn er
seinen Leuten rechten und reichlichen Sold zu zahlen ver-
mochte. Aber dass die karthagischen Staatseinkünfte in Kar-
thago selbst zu viel nöthigeren Dingen gebraucht wurden als
die gegen den Feind fechtenden Heere zu besolden, hatte er
in Sicilien erfahren. Es musste also dieser Krieg sich selber
ernähren und im Grossen ausgeführt werden, was auf dem
Monte Pellegrino im Kleinen versucht worden war. Aber noch

HAMILKAR UND HANNIBAL.
Nachfolgers ging nicht von den Behörden der Hauptstadt aus,
sondern vom Heere, das heiſst von den im Heere als Geru-
siasten oder Offiziere dienenden Karthagern, die auch bei
Verträgen neben dem Feldherrn genannt werden; natürlich
unter Bestätigung der Volksversammlung daheim. Mag dies
Usurpation sein oder nicht, es bezeichnet deutlich, wie die
Kriegspartei das Heer als ihre Domäne ansah und behandelte.
— Der Form nach war Hamilkars Aufgabe bescheiden. Die
Kriege mit den numidischen Stämmen ruhten an der Grenze
nie; vor kurzem erst war im Binnenland die ‚Stadt der
hundert Thore‘ Theveste (Tebessa) von den Puniern besetzt
worden. Die Fortführung dieser Grenzfehden lieſs sich als
eine innere nicht sehr bedeutende Maſsregel betrachten, zu
welcher die karthagische Regierung, da man sie nicht störte
in dem was sie zunächst begehrte, stillschweigen konnte, wäh-
rend die Römer deren Tragweite vielleicht nicht einmal er-
kannten.

So stand an der Spitze des Heeres der eine Mann, der
im sicilischen und im libyschen Kriege es bewährt, daſs die
Geschicke ihn zum Retter des Vaterlandes bestimmt hatten oder
keinen. Groſsartiger als von ihm ist vielleicht niemals der groſs-
artige Kampf des Menschen gegen das Schicksal geführt wor-
den. Das Heer sollte den Staat retten; aber was für ein
Heer? Die karthagische Bürgerwehr hatte unter Hamilkars
Führung im libyschen Krieg sich nicht schlecht geschlagen;
allein er wuſste wohl, daſs es ein anderes ist die Kaufleute und
Fabrikanten einer Stadt, die in der höchsten Gefahr schwebt,
einmal zum Kampf hinauszuführen und ein anderes, Soldaten
aus ihnen zu bilden. Die karthagische Patriotenpartei lieferte
ihm vortreffliche Offiziere, aber in ihr war natürlich fast aus-
schlieſslich die gebildete Klasse vertreten. Bürgermiliz fand sich
gar nicht in Hamilkars Heer; höchstens einige libyphoeniki-
sche Reiterschwadronen. Es galt ein Heer zu schaffen aus
dem libyschen Zwangsrekruten und aus Söldnern; was einem
Feldherrn wie Hamilkar möglich war, allein nur, wenn er
seinen Leuten rechten und reichlichen Sold zu zahlen ver-
mochte. Aber daſs die karthagischen Staatseinkünfte in Kar-
thago selbst zu viel nöthigeren Dingen gebraucht wurden als
die gegen den Feind fechtenden Heere zu besolden, hatte er
in Sicilien erfahren. Es muſste also dieser Krieg sich selber
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Monte Pellegrino im Kleinen versucht worden war. Aber noch

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[383/0397] HAMILKAR UND HANNIBAL. Nachfolgers ging nicht von den Behörden der Hauptstadt aus, sondern vom Heere, das heiſst von den im Heere als Geru- siasten oder Offiziere dienenden Karthagern, die auch bei Verträgen neben dem Feldherrn genannt werden; natürlich unter Bestätigung der Volksversammlung daheim. Mag dies Usurpation sein oder nicht, es bezeichnet deutlich, wie die Kriegspartei das Heer als ihre Domäne ansah und behandelte. — Der Form nach war Hamilkars Aufgabe bescheiden. Die Kriege mit den numidischen Stämmen ruhten an der Grenze nie; vor kurzem erst war im Binnenland die ‚Stadt der hundert Thore‘ Theveste (Tebessa) von den Puniern besetzt worden. Die Fortführung dieser Grenzfehden lieſs sich als eine innere nicht sehr bedeutende Maſsregel betrachten, zu welcher die karthagische Regierung, da man sie nicht störte in dem was sie zunächst begehrte, stillschweigen konnte, wäh- rend die Römer deren Tragweite vielleicht nicht einmal er- kannten. So stand an der Spitze des Heeres der eine Mann, der im sicilischen und im libyschen Kriege es bewährt, daſs die Geschicke ihn zum Retter des Vaterlandes bestimmt hatten oder keinen. Groſsartiger als von ihm ist vielleicht niemals der groſs- artige Kampf des Menschen gegen das Schicksal geführt wor- den. Das Heer sollte den Staat retten; aber was für ein Heer? Die karthagische Bürgerwehr hatte unter Hamilkars Führung im libyschen Krieg sich nicht schlecht geschlagen; allein er wuſste wohl, daſs es ein anderes ist die Kaufleute und Fabrikanten einer Stadt, die in der höchsten Gefahr schwebt, einmal zum Kampf hinauszuführen und ein anderes, Soldaten aus ihnen zu bilden. Die karthagische Patriotenpartei lieferte ihm vortreffliche Offiziere, aber in ihr war natürlich fast aus- schlieſslich die gebildete Klasse vertreten. Bürgermiliz fand sich gar nicht in Hamilkars Heer; höchstens einige libyphoeniki- sche Reiterschwadronen. Es galt ein Heer zu schaffen aus dem libyschen Zwangsrekruten und aus Söldnern; was einem Feldherrn wie Hamilkar möglich war, allein nur, wenn er seinen Leuten rechten und reichlichen Sold zu zahlen ver- mochte. Aber daſs die karthagischen Staatseinkünfte in Kar- thago selbst zu viel nöthigeren Dingen gebraucht wurden als die gegen den Feind fechtenden Heere zu besolden, hatte er in Sicilien erfahren. Es muſste also dieser Krieg sich selber ernähren und im Groſsen ausgeführt werden, was auf dem Monte Pellegrino im Kleinen versucht worden war. Aber noch

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/397>, abgerufen am 25.11.2024.