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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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HAMILKAR UND HANNIBAL.
Noch ein Knabe war er dem Vater ins Lager gefolgt; bald
zeichnete er sich aus. Sein leichter und festgebauter Körper
machte aus ihm einen vortrefflichen Läufer und Fechter und
einen verwegenen Galoppreiter; Schlaflosigkeit griff ihn nicht
an und Speise wusste er nach Soldatenart zu geniessen und
zu entbehren. Trotz seiner im Lager verflossenen Jugend
besass er die Bildung der vornehmen Phoenikier jener Zeit;
im Griechischen brachte er, wie es scheint erst als Feldherr,
unter der Leitung seines Vertrauten Sosilos von Sparta es weit
genug um Staatsschriften in dieser Sprache selber abfassen
zu können. Wie er heranwuchs trat er in das Heer seines
Vaters ein, um unter dessen Augen seinen ersten Waffendienst
zu thun, um ihn neben sich fallen zu sehen in der Schlacht.
Nachher hatte er unter seiner Schwester Gemahl Hasdrubal
die Reiterei befehligt und durch glänzende persönliche Tapfer-
keit wie durch sein Führertalent sich ausgezeichnet. Jetzt
rief ihn, den erprobten jugendlichen General, die Stimme
seiner Kameraden an ihre Spitze und er konnte jetzt aus-
führen, wofür sein Vater und sein Schwager gelebt und ge-
storben. Er trat die Erbschaft an, und er durfte es. Seine
Zeitgenossen haben auf seinen Charakter Makel mancherlei
Art zu werfen versucht: den Römern hiess er grausam, den
Karthagern habsüchtig; freilich hasste er, wie nur orientalische
Naturen zu hassen verstehen, und ein Feldherr, dem niemals
Geld und Vorräthe ausgegangen sind, musste wohl suchen zu
haben. Indess, wenn auch Zorn, Neid und Gemeinheit seine
Geschichte geschrieben haben, sie haben das reine und grosse
Bild nicht zu trüben vermocht. Von schlechten Erfindungen,
die sich selber richten, und von dem abgesehen, was durch
Schuld seiner Unterfeldherren, namentlich des Hannibal Mo-
nomachos und Mago des Samniten, in seinem Namen ge-
schehen ist, liegt nichts vor, was nicht unter den damaligen
Verhältnissen und nach dem damaligen Völkerrecht zu ver-
antworten wäre. Hannibal wusste wie kaum ein anderer
Besonnenheit und Begeisterung, Vorsicht und Thatkraft mit
einander zu vereinigen. Eigenthümlich ist ihm die erfinderi-
sche Verschmitztheit, die einen der Grundzüge des punischen
Charakters bildet; er ging gern eigenthümliche und ungeahnte
Wege, Hinterhalte und Kriegslisten aller Art waren ihm ge-
läufig, und den Charakter der Gegner studirte er mit bei-
spielloser Sorgfalt. Durch die sorgfältigste Spionage beobachtete
er den Feind und hatte stehende Kundschafter in Rom selbst;

HAMILKAR UND HANNIBAL.
Noch ein Knabe war er dem Vater ins Lager gefolgt; bald
zeichnete er sich aus. Sein leichter und festgebauter Körper
machte aus ihm einen vortrefflichen Läufer und Fechter und
einen verwegenen Galoppreiter; Schlaflosigkeit griff ihn nicht
an und Speise wuſste er nach Soldatenart zu genieſsen und
zu entbehren. Trotz seiner im Lager verflossenen Jugend
besaſs er die Bildung der vornehmen Phoenikier jener Zeit;
im Griechischen brachte er, wie es scheint erst als Feldherr,
unter der Leitung seines Vertrauten Sosilos von Sparta es weit
genug um Staatsschriften in dieser Sprache selber abfassen
zu können. Wie er heranwuchs trat er in das Heer seines
Vaters ein, um unter dessen Augen seinen ersten Waffendienst
zu thun, um ihn neben sich fallen zu sehen in der Schlacht.
Nachher hatte er unter seiner Schwester Gemahl Hasdrubal
die Reiterei befehligt und durch glänzende persönliche Tapfer-
keit wie durch sein Führertalent sich ausgezeichnet. Jetzt
rief ihn, den erprobten jugendlichen General, die Stimme
seiner Kameraden an ihre Spitze und er konnte jetzt aus-
führen, wofür sein Vater und sein Schwager gelebt und ge-
storben. Er trat die Erbschaft an, und er durfte es. Seine
Zeitgenossen haben auf seinen Charakter Makel mancherlei
Art zu werfen versucht: den Römern hieſs er grausam, den
Karthagern habsüchtig; freilich haſste er, wie nur orientalische
Naturen zu hassen verstehen, und ein Feldherr, dem niemals
Geld und Vorräthe ausgegangen sind, muſste wohl suchen zu
haben. Indeſs, wenn auch Zorn, Neid und Gemeinheit seine
Geschichte geschrieben haben, sie haben das reine und groſse
Bild nicht zu trüben vermocht. Von schlechten Erfindungen,
die sich selber richten, und von dem abgesehen, was durch
Schuld seiner Unterfeldherren, namentlich des Hannibal Mo-
nomachos und Mago des Samniten, in seinem Namen ge-
schehen ist, liegt nichts vor, was nicht unter den damaligen
Verhältnissen und nach dem damaligen Völkerrecht zu ver-
antworten wäre. Hannibal wuſste wie kaum ein anderer
Besonnenheit und Begeisterung, Vorsicht und Thatkraft mit
einander zu vereinigen. Eigenthümlich ist ihm die erfinderi-
sche Verschmitztheit, die einen der Grundzüge des punischen
Charakters bildet; er ging gern eigenthümliche und ungeahnte
Wege, Hinterhalte und Kriegslisten aller Art waren ihm ge-
läufig, und den Charakter der Gegner studirte er mit bei-
spielloser Sorgfalt. Durch die sorgfältigste Spionage beobachtete
er den Feind und hatte stehende Kundschafter in Rom selbst;

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[389/0403] HAMILKAR UND HANNIBAL. Noch ein Knabe war er dem Vater ins Lager gefolgt; bald zeichnete er sich aus. Sein leichter und festgebauter Körper machte aus ihm einen vortrefflichen Läufer und Fechter und einen verwegenen Galoppreiter; Schlaflosigkeit griff ihn nicht an und Speise wuſste er nach Soldatenart zu genieſsen und zu entbehren. Trotz seiner im Lager verflossenen Jugend besaſs er die Bildung der vornehmen Phoenikier jener Zeit; im Griechischen brachte er, wie es scheint erst als Feldherr, unter der Leitung seines Vertrauten Sosilos von Sparta es weit genug um Staatsschriften in dieser Sprache selber abfassen zu können. Wie er heranwuchs trat er in das Heer seines Vaters ein, um unter dessen Augen seinen ersten Waffendienst zu thun, um ihn neben sich fallen zu sehen in der Schlacht. Nachher hatte er unter seiner Schwester Gemahl Hasdrubal die Reiterei befehligt und durch glänzende persönliche Tapfer- keit wie durch sein Führertalent sich ausgezeichnet. Jetzt rief ihn, den erprobten jugendlichen General, die Stimme seiner Kameraden an ihre Spitze und er konnte jetzt aus- führen, wofür sein Vater und sein Schwager gelebt und ge- storben. Er trat die Erbschaft an, und er durfte es. Seine Zeitgenossen haben auf seinen Charakter Makel mancherlei Art zu werfen versucht: den Römern hieſs er grausam, den Karthagern habsüchtig; freilich haſste er, wie nur orientalische Naturen zu hassen verstehen, und ein Feldherr, dem niemals Geld und Vorräthe ausgegangen sind, muſste wohl suchen zu haben. Indeſs, wenn auch Zorn, Neid und Gemeinheit seine Geschichte geschrieben haben, sie haben das reine und groſse Bild nicht zu trüben vermocht. Von schlechten Erfindungen, die sich selber richten, und von dem abgesehen, was durch Schuld seiner Unterfeldherren, namentlich des Hannibal Mo- nomachos und Mago des Samniten, in seinem Namen ge- schehen ist, liegt nichts vor, was nicht unter den damaligen Verhältnissen und nach dem damaligen Völkerrecht zu ver- antworten wäre. Hannibal wuſste wie kaum ein anderer Besonnenheit und Begeisterung, Vorsicht und Thatkraft mit einander zu vereinigen. Eigenthümlich ist ihm die erfinderi- sche Verschmitztheit, die einen der Grundzüge des punischen Charakters bildet; er ging gern eigenthümliche und ungeahnte Wege, Hinterhalte und Kriegslisten aller Art waren ihm ge- läufig, und den Charakter der Gegner studirte er mit bei- spielloser Sorgfalt. Durch die sorgfältigste Spionage beobachtete er den Feind und hatte stehende Kundschafter in Rom selbst;

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/403>, abgerufen am 24.11.2024.