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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DRITTES BUCH. KAPITEL IV.
ihn selbst sah man häufig in Verkleidungen und mit falschem
Haar, dies oder jenes auskundschaftend. Von seinem strate-
gischen Genie zeugt jedes Blatt der Geschichte seiner Zeit und
nicht minder von seiner staatsmännischen Begabung, die er
noch nach dem Frieden mit Rom bekundete durch seine Reform
der karthagischen Verfassung und den beispiellosen Einfluss,
den er als landflüchtiger Fremdling in den Kabinetten der
östlichen Mächte ausübte. Welche Macht über die Menschen
er besass, beweist seine unvergleichliche Gewalt über ein
buntgemischtes und vielsprachiges Heer, das in den schlimmsten
Zeiten niemals gegen ihn gemeutert hat. Er war ein grosser
Mann; wohin er kam, ruhten auf ihm die Blicke aller.

Hannibal beschloss sofort nach seiner Ernennung (Frühling
534) den Beginn des Krieges. Er hatte gute Gründe jetzt,
da das Keltenland noch in Gährung war und ein Krieg zwi-
schen Rom und Makedonien vor der Thür schien, ungesäumt
loszuschlagen und den Krieg früher dahin zu tragen wohin es
ihm beliebte als die Römer ihn begannen wie es ihnen bequem
war, mit einer Landung in Africa. Sein Heer war bald
marschfertig, die Kasse durch einige Razzias in grossem Mass-
stab gefüllt; allein die Kriegserklärung blieb aus. Hasdrubals,
des patriotischen Volksführers Platz war in Karthago schwe-
rer zu ersetzen als in Africa; die Partei des Friedens hatte
jetzt daheim die Oberhand und verfolgte die Führer der
Kriegspartei mit politischen Prozessen. Sie, die schon Ha-
milkars Pläne beschnitten und bemängelt hatte, war keines-
wegs gemeint den unbekannten jungen Mann, der jetzt in
Spanien befehligte, auf Staatskosten jugendlichen Patriotismus
treiben zu lassen; und in offener Widersetzlichkeit gegen die
legitimen Behörden den Krieg zu erklären konnte Hannibal
nicht wagen. Er versuchte die Saguntiner zum Friedensbruch
zu reizen; allein sie begnügten sich in Rom Klage zu führen.
Er versuchte, als darauf von Rom eine Commission erschien,
nun diese durch schnöde Antworten zur Kriegserklärung zu
treiben; allein die Commissarien sahen, wie die Dinge standen,
sie schwiegen in Spanien, um in Karthago Beschwerde zu
führen und daheim zu berichten, dass Hannibal schlagfertig
stehe und der Krieg vor der Thür sei. So verfloss die Zeit;
schon traf die Nachricht ein von dem Tode des Antigonos
Doson, der etwa gleichzeitig mit Hasdrubal plötzlich gestorben
war; die Gründung der Festungen im italischen Keltenland
ward mit verdoppelter Schnelligkeit und Energie von den

DRITTES BUCH. KAPITEL IV.
ihn selbst sah man häufig in Verkleidungen und mit falschem
Haar, dies oder jenes auskundschaftend. Von seinem strate-
gischen Genie zeugt jedes Blatt der Geschichte seiner Zeit und
nicht minder von seiner staatsmännischen Begabung, die er
noch nach dem Frieden mit Rom bekundete durch seine Reform
der karthagischen Verfassung und den beispiellosen Einfluſs,
den er als landflüchtiger Fremdling in den Kabinetten der
östlichen Mächte ausübte. Welche Macht über die Menschen
er besaſs, beweist seine unvergleichliche Gewalt über ein
buntgemischtes und vielsprachiges Heer, das in den schlimmsten
Zeiten niemals gegen ihn gemeutert hat. Er war ein groſser
Mann; wohin er kam, ruhten auf ihm die Blicke aller.

Hannibal beschloſs sofort nach seiner Ernennung (Frühling
534) den Beginn des Krieges. Er hatte gute Gründe jetzt,
da das Keltenland noch in Gährung war und ein Krieg zwi-
schen Rom und Makedonien vor der Thür schien, ungesäumt
loszuschlagen und den Krieg früher dahin zu tragen wohin es
ihm beliebte als die Römer ihn begannen wie es ihnen bequem
war, mit einer Landung in Africa. Sein Heer war bald
marschfertig, die Kasse durch einige Razzias in groſsem Maſs-
stab gefüllt; allein die Kriegserklärung blieb aus. Hasdrubals,
des patriotischen Volksführers Platz war in Karthago schwe-
rer zu ersetzen als in Africa; die Partei des Friedens hatte
jetzt daheim die Oberhand und verfolgte die Führer der
Kriegspartei mit politischen Prozessen. Sie, die schon Ha-
milkars Pläne beschnitten und bemängelt hatte, war keines-
wegs gemeint den unbekannten jungen Mann, der jetzt in
Spanien befehligte, auf Staatskosten jugendlichen Patriotismus
treiben zu lassen; und in offener Widersetzlichkeit gegen die
legitimen Behörden den Krieg zu erklären konnte Hannibal
nicht wagen. Er versuchte die Saguntiner zum Friedensbruch
zu reizen; allein sie begnügten sich in Rom Klage zu führen.
Er versuchte, als darauf von Rom eine Commission erschien,
nun diese durch schnöde Antworten zur Kriegserklärung zu
treiben; allein die Commissarien sahen, wie die Dinge standen,
sie schwiegen in Spanien, um in Karthago Beschwerde zu
führen und daheim zu berichten, daſs Hannibal schlagfertig
stehe und der Krieg vor der Thür sei. So verfloſs die Zeit;
schon traf die Nachricht ein von dem Tode des Antigonos
Doson, der etwa gleichzeitig mit Hasdrubal plötzlich gestorben
war; die Gründung der Festungen im italischen Keltenland
ward mit verdoppelter Schnelligkeit und Energie von den

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[390/0404] DRITTES BUCH. KAPITEL IV. ihn selbst sah man häufig in Verkleidungen und mit falschem Haar, dies oder jenes auskundschaftend. Von seinem strate- gischen Genie zeugt jedes Blatt der Geschichte seiner Zeit und nicht minder von seiner staatsmännischen Begabung, die er noch nach dem Frieden mit Rom bekundete durch seine Reform der karthagischen Verfassung und den beispiellosen Einfluſs, den er als landflüchtiger Fremdling in den Kabinetten der östlichen Mächte ausübte. Welche Macht über die Menschen er besaſs, beweist seine unvergleichliche Gewalt über ein buntgemischtes und vielsprachiges Heer, das in den schlimmsten Zeiten niemals gegen ihn gemeutert hat. Er war ein groſser Mann; wohin er kam, ruhten auf ihm die Blicke aller. Hannibal beschloſs sofort nach seiner Ernennung (Frühling 534) den Beginn des Krieges. Er hatte gute Gründe jetzt, da das Keltenland noch in Gährung war und ein Krieg zwi- schen Rom und Makedonien vor der Thür schien, ungesäumt loszuschlagen und den Krieg früher dahin zu tragen wohin es ihm beliebte als die Römer ihn begannen wie es ihnen bequem war, mit einer Landung in Africa. Sein Heer war bald marschfertig, die Kasse durch einige Razzias in groſsem Maſs- stab gefüllt; allein die Kriegserklärung blieb aus. Hasdrubals, des patriotischen Volksführers Platz war in Karthago schwe- rer zu ersetzen als in Africa; die Partei des Friedens hatte jetzt daheim die Oberhand und verfolgte die Führer der Kriegspartei mit politischen Prozessen. Sie, die schon Ha- milkars Pläne beschnitten und bemängelt hatte, war keines- wegs gemeint den unbekannten jungen Mann, der jetzt in Spanien befehligte, auf Staatskosten jugendlichen Patriotismus treiben zu lassen; und in offener Widersetzlichkeit gegen die legitimen Behörden den Krieg zu erklären konnte Hannibal nicht wagen. Er versuchte die Saguntiner zum Friedensbruch zu reizen; allein sie begnügten sich in Rom Klage zu führen. Er versuchte, als darauf von Rom eine Commission erschien, nun diese durch schnöde Antworten zur Kriegserklärung zu treiben; allein die Commissarien sahen, wie die Dinge standen, sie schwiegen in Spanien, um in Karthago Beschwerde zu führen und daheim zu berichten, daſs Hannibal schlagfertig stehe und der Krieg vor der Thür sei. So verfloſs die Zeit; schon traf die Nachricht ein von dem Tode des Antigonos Doson, der etwa gleichzeitig mit Hasdrubal plötzlich gestorben war; die Gründung der Festungen im italischen Keltenland ward mit verdoppelter Schnelligkeit und Energie von den

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/404>, abgerufen am 24.11.2024.