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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DRITTES BUCH. KAPITEL IV.
Rekrutirungsbezirk dienen. Schon waren förmliche Verträge
mit den Boiern und Insubrern abgeschlossen, wodurch sie
sich anheischig machten dem karthagischen Heer Wegweiser
entgegenzusenden, ihnen gute Aufnahme bei ihren Stamm-
genossen und Zufuhr unterwegs auszuwirken und gegen die
Römer sich zu erheben, sowie das karthagische Heer auf
italischem Boden stehe. Eben in diese Gegend führten end-
lich die Beziehungen zum Osten. Makedonien, das durch
den Sieg von Sellasia seine Herrschaft im Peloponnes neu
befestigt hatte, stand mit Rom in gespannten Verhältnissen;
Demetrios von Pharos, der das römische Bündniss mit dem
makedonischen vertauscht hatte und von den Römern vertrieben
worden war, lebte als Flüchtling am makedonischen Hof und
dieser hatte den Römern die begehrte Auslieferung verweigert.
Wenn es möglich war die Heere vom Guadalquivir und vom
Karasu irgendwo zu vereinigen gegen den gemeinschaftlichen
Feind, so konnte das nur am Po geschehen. So wies alles
nach Norditalien; und dass schon des Vaters Blick dahin ge-
richtet gewesen, zeigt die karthagische Streifpartei, der die
Römer zu ihrer grossen Verwunderung im Jahre 524 in Ligu-
rien begegnet waren. -- Weniger deutlich ist es, warum Hanni-
bal dem Land- vor dem Seeweg den Vorzug gab; denn dass
weder die Seeherrschaft der Römer noch ihr Bund mit Massalia
einen Landungsversuch in Genua unmöglich machte, leuchtet
ein. In unsrer Ueberlieferung fehlen um diese Frage genügend
zu entscheiden nicht wenige Factoren, auf die es ankommen
würde und die sich nicht durch Vermuthung ergänzen lassen.
Das Wahrscheinliche bleibt, dass Hannibal von den zwei Uebeln,
unter denen er zu wählen hatte, es vorzog, statt den ihm
unbekannten und weniger zu berechnenden Wechselfällen der
Seefahrt und des Seekrieges sich auszusetzen, lieber die un-
zweifelhaft ernstlich gemeinten Zusicherungen der Boier und
Insubrer anzunehmen, um so mehr als auch das bei Genua
gelandete Heer noch die Berge hätte überschreiten müssen;
schwerlich konnte er genau wissen, wie viel geringere Schwie-
rigkeiten der Apennin bei Genua darbietet als die Hauptkette
der Alpen. War doch der Weg, den er einschlug, die uralte
Keltenstrasse, auf der viel grössere Schwärme die Alpen über-
stiegen hatten; der Verbündete und Erretter des Keltenvolkes
durfte ohne Verwegenheit diesen betreten. -- So vereinigte
Hannibal die für die grosse Armee bestimmten Truppen mit
dem Anfang der guten Jahreszeit in Cartagena; es waren ihrer

DRITTES BUCH. KAPITEL IV.
Rekrutirungsbezirk dienen. Schon waren förmliche Verträge
mit den Boiern und Insubrern abgeschlossen, wodurch sie
sich anheischig machten dem karthagischen Heer Wegweiser
entgegenzusenden, ihnen gute Aufnahme bei ihren Stamm-
genossen und Zufuhr unterwegs auszuwirken und gegen die
Römer sich zu erheben, sowie das karthagische Heer auf
italischem Boden stehe. Eben in diese Gegend führten end-
lich die Beziehungen zum Osten. Makedonien, das durch
den Sieg von Sellasia seine Herrschaft im Peloponnes neu
befestigt hatte, stand mit Rom in gespannten Verhältnissen;
Demetrios von Pharos, der das römische Bündniſs mit dem
makedonischen vertauscht hatte und von den Römern vertrieben
worden war, lebte als Flüchtling am makedonischen Hof und
dieser hatte den Römern die begehrte Auslieferung verweigert.
Wenn es möglich war die Heere vom Guadalquivir und vom
Karasu irgendwo zu vereinigen gegen den gemeinschaftlichen
Feind, so konnte das nur am Po geschehen. So wies alles
nach Norditalien; und daſs schon des Vaters Blick dahin ge-
richtet gewesen, zeigt die karthagische Streifpartei, der die
Römer zu ihrer groſsen Verwunderung im Jahre 524 in Ligu-
rien begegnet waren. — Weniger deutlich ist es, warum Hanni-
bal dem Land- vor dem Seeweg den Vorzug gab; denn daſs
weder die Seeherrschaft der Römer noch ihr Bund mit Massalia
einen Landungsversuch in Genua unmöglich machte, leuchtet
ein. In unsrer Ueberlieferung fehlen um diese Frage genügend
zu entscheiden nicht wenige Factoren, auf die es ankommen
würde und die sich nicht durch Vermuthung ergänzen lassen.
Das Wahrscheinliche bleibt, daſs Hannibal von den zwei Uebeln,
unter denen er zu wählen hatte, es vorzog, statt den ihm
unbekannten und weniger zu berechnenden Wechselfällen der
Seefahrt und des Seekrieges sich auszusetzen, lieber die un-
zweifelhaft ernstlich gemeinten Zusicherungen der Boier und
Insubrer anzunehmen, um so mehr als auch das bei Genua
gelandete Heer noch die Berge hätte überschreiten müssen;
schwerlich konnte er genau wissen, wie viel geringere Schwie-
rigkeiten der Apennin bei Genua darbietet als die Hauptkette
der Alpen. War doch der Weg, den er einschlug, die uralte
Keltenstraſse, auf der viel gröſsere Schwärme die Alpen über-
stiegen hatten; der Verbündete und Erretter des Keltenvolkes
durfte ohne Verwegenheit diesen betreten. — So vereinigte
Hannibal die für die groſse Armee bestimmten Truppen mit
dem Anfang der guten Jahreszeit in Cartagena; es waren ihrer

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[394/0408] DRITTES BUCH. KAPITEL IV. Rekrutirungsbezirk dienen. Schon waren förmliche Verträge mit den Boiern und Insubrern abgeschlossen, wodurch sie sich anheischig machten dem karthagischen Heer Wegweiser entgegenzusenden, ihnen gute Aufnahme bei ihren Stamm- genossen und Zufuhr unterwegs auszuwirken und gegen die Römer sich zu erheben, sowie das karthagische Heer auf italischem Boden stehe. Eben in diese Gegend führten end- lich die Beziehungen zum Osten. Makedonien, das durch den Sieg von Sellasia seine Herrschaft im Peloponnes neu befestigt hatte, stand mit Rom in gespannten Verhältnissen; Demetrios von Pharos, der das römische Bündniſs mit dem makedonischen vertauscht hatte und von den Römern vertrieben worden war, lebte als Flüchtling am makedonischen Hof und dieser hatte den Römern die begehrte Auslieferung verweigert. Wenn es möglich war die Heere vom Guadalquivir und vom Karasu irgendwo zu vereinigen gegen den gemeinschaftlichen Feind, so konnte das nur am Po geschehen. So wies alles nach Norditalien; und daſs schon des Vaters Blick dahin ge- richtet gewesen, zeigt die karthagische Streifpartei, der die Römer zu ihrer groſsen Verwunderung im Jahre 524 in Ligu- rien begegnet waren. — Weniger deutlich ist es, warum Hanni- bal dem Land- vor dem Seeweg den Vorzug gab; denn daſs weder die Seeherrschaft der Römer noch ihr Bund mit Massalia einen Landungsversuch in Genua unmöglich machte, leuchtet ein. In unsrer Ueberlieferung fehlen um diese Frage genügend zu entscheiden nicht wenige Factoren, auf die es ankommen würde und die sich nicht durch Vermuthung ergänzen lassen. Das Wahrscheinliche bleibt, daſs Hannibal von den zwei Uebeln, unter denen er zu wählen hatte, es vorzog, statt den ihm unbekannten und weniger zu berechnenden Wechselfällen der Seefahrt und des Seekrieges sich auszusetzen, lieber die un- zweifelhaft ernstlich gemeinten Zusicherungen der Boier und Insubrer anzunehmen, um so mehr als auch das bei Genua gelandete Heer noch die Berge hätte überschreiten müssen; schwerlich konnte er genau wissen, wie viel geringere Schwie- rigkeiten der Apennin bei Genua darbietet als die Hauptkette der Alpen. War doch der Weg, den er einschlug, die uralte Keltenstraſse, auf der viel gröſsere Schwärme die Alpen über- stiegen hatten; der Verbündete und Erretter des Keltenvolkes durfte ohne Verwegenheit diesen betreten. — So vereinigte Hannibal die für die groſse Armee bestimmten Truppen mit dem Anfang der guten Jahreszeit in Cartagena; es waren ihrer

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/408>, abgerufen am 24.11.2024.