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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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HAMILKAR UND HANNIBAL.
Landwehr vorwiegend nach Spanien, die spanische nach West-
africa, die westafricanische nach Karthago kamen. So war
für die Vertheidigung hinreichend gesorgt. Was den Angriff
anlangt, so sollte von Karthago aus ein Geschwader von 20
Fünfdeckern mit 1000 Soldaten an Bord nach der italischen
Westküste segeln und diese verheeren, ein zweites von 25
Segeln wo möglich sich wieder auf Lilybaeon festsetzen; dieses
bescheidene Mass von Anstrengungen glaubte Hannibal der
Regierung zumuthen zu können. Mit der Hauptarmee beschloss
er selbst in Italien einzurücken, wie das ohne Zweifel schon in
Hamilkars ursprünglichem Plan lag. Ein entscheidender An-
griff auf Rom war nur in Italien wie auf Karthago nur
in Libyen möglich; so gewiss Rom seinen nächsten Feldzug
mit dem letzteren begann, so gewiss durfte auch Karthago
sich nicht von vorn herein entweder auf ein secundäres
Operationsobject, wie zum Beispiel Sicilien, oder gar auf die
Vertheidigung beschränken -- die Niederlagen brachten in all
diesen Fällen das gleiche Verderben, nicht aber der Sieg die
gleiche Frucht. -- Aber wie konnte Italien angegriffen werden?
Es mochte gelingen die Halbinsel zu Wasser oder zu Lande
zu erreichen; aber sollte der Zug nicht ein verzweifeltes
Abenteuer sein, sondern eine militärische Expedition mit stra-
tegischem Ziel, so bedurfte man dort einer näheren Operations-
basis, als Spanien oder Africa waren. Auf eine Flotte und
eine Hafenfestung konnte Hannibal sich nicht stützen, da Rom
das Meer beherrschte. Aber ebensowenig bot sich in dem
Gebiet der italischen Eidgenossenschaft irgend ein haltbarer
Stützpunct. Hatte sie zu ganz anderen Zeiten und trotz der
hellenischen Sympathien dem Stoss des Pyrrhos gestanden, so
war nicht zu erwarten, dass sie jetzt auf das Erscheinen des
phoenikischen Feldherrn hin zusammenbrechen werde; zwischen
dem römischen Festungsnetz und der festgeketteten Bundes-
genossenschaft ward das Invasionsheer ohne Zweifel erdrückt.
Einzig das Ligurer- und Keltenland konnte für Hannibal sein,
was für Napoleon in seinen sehr ähnlichen russischen Feld-
zügen Polen gewesen ist; diese noch von dem kaum beendeten
Unabhängigkeitskampf gährenden Nationen, den Italikern stamm-
fremd und in ihrer Existenz bedroht, um die eben erst die
ersten Ringe der römischen Festungs- und Chausseenkette
gelegt wurden, mussten in dem punischen Heere, das zahl-
reiche spanische Kelten in seinen Reihen zählte, ihre Retter
erkennen und ihm als erster Rückhalt, als Verpflegungs- und

HAMILKAR UND HANNIBAL.
Landwehr vorwiegend nach Spanien, die spanische nach West-
africa, die westafricanische nach Karthago kamen. So war
für die Vertheidigung hinreichend gesorgt. Was den Angriff
anlangt, so sollte von Karthago aus ein Geschwader von 20
Fünfdeckern mit 1000 Soldaten an Bord nach der italischen
Westküste segeln und diese verheeren, ein zweites von 25
Segeln wo möglich sich wieder auf Lilybaeon festsetzen; dieses
bescheidene Maſs von Anstrengungen glaubte Hannibal der
Regierung zumuthen zu können. Mit der Hauptarmee beschloſs
er selbst in Italien einzurücken, wie das ohne Zweifel schon in
Hamilkars ursprünglichem Plan lag. Ein entscheidender An-
griff auf Rom war nur in Italien wie auf Karthago nur
in Libyen möglich; so gewiſs Rom seinen nächsten Feldzug
mit dem letzteren begann, so gewiſs durfte auch Karthago
sich nicht von vorn herein entweder auf ein secundäres
Operationsobject, wie zum Beispiel Sicilien, oder gar auf die
Vertheidigung beschränken — die Niederlagen brachten in all
diesen Fällen das gleiche Verderben, nicht aber der Sieg die
gleiche Frucht. — Aber wie konnte Italien angegriffen werden?
Es mochte gelingen die Halbinsel zu Wasser oder zu Lande
zu erreichen; aber sollte der Zug nicht ein verzweifeltes
Abenteuer sein, sondern eine militärische Expedition mit stra-
tegischem Ziel, so bedurfte man dort einer näheren Operations-
basis, als Spanien oder Africa waren. Auf eine Flotte und
eine Hafenfestung konnte Hannibal sich nicht stützen, da Rom
das Meer beherrschte. Aber ebensowenig bot sich in dem
Gebiet der italischen Eidgenossenschaft irgend ein haltbarer
Stützpunct. Hatte sie zu ganz anderen Zeiten und trotz der
hellenischen Sympathien dem Stoſs des Pyrrhos gestanden, so
war nicht zu erwarten, daſs sie jetzt auf das Erscheinen des
phoenikischen Feldherrn hin zusammenbrechen werde; zwischen
dem römischen Festungsnetz und der festgeketteten Bundes-
genossenschaft ward das Invasionsheer ohne Zweifel erdrückt.
Einzig das Ligurer- und Keltenland konnte für Hannibal sein,
was für Napoleon in seinen sehr ähnlichen russischen Feld-
zügen Polen gewesen ist; diese noch von dem kaum beendeten
Unabhängigkeitskampf gährenden Nationen, den Italikern stamm-
fremd und in ihrer Existenz bedroht, um die eben erst die
ersten Ringe der römischen Festungs- und Chausseenkette
gelegt wurden, muſsten in dem punischen Heere, das zahl-
reiche spanische Kelten in seinen Reihen zählte, ihre Retter
erkennen und ihm als erster Rückhalt, als Verpflegungs- und

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[393/0407] HAMILKAR UND HANNIBAL. Landwehr vorwiegend nach Spanien, die spanische nach West- africa, die westafricanische nach Karthago kamen. So war für die Vertheidigung hinreichend gesorgt. Was den Angriff anlangt, so sollte von Karthago aus ein Geschwader von 20 Fünfdeckern mit 1000 Soldaten an Bord nach der italischen Westküste segeln und diese verheeren, ein zweites von 25 Segeln wo möglich sich wieder auf Lilybaeon festsetzen; dieses bescheidene Maſs von Anstrengungen glaubte Hannibal der Regierung zumuthen zu können. Mit der Hauptarmee beschloſs er selbst in Italien einzurücken, wie das ohne Zweifel schon in Hamilkars ursprünglichem Plan lag. Ein entscheidender An- griff auf Rom war nur in Italien wie auf Karthago nur in Libyen möglich; so gewiſs Rom seinen nächsten Feldzug mit dem letzteren begann, so gewiſs durfte auch Karthago sich nicht von vorn herein entweder auf ein secundäres Operationsobject, wie zum Beispiel Sicilien, oder gar auf die Vertheidigung beschränken — die Niederlagen brachten in all diesen Fällen das gleiche Verderben, nicht aber der Sieg die gleiche Frucht. — Aber wie konnte Italien angegriffen werden? Es mochte gelingen die Halbinsel zu Wasser oder zu Lande zu erreichen; aber sollte der Zug nicht ein verzweifeltes Abenteuer sein, sondern eine militärische Expedition mit stra- tegischem Ziel, so bedurfte man dort einer näheren Operations- basis, als Spanien oder Africa waren. Auf eine Flotte und eine Hafenfestung konnte Hannibal sich nicht stützen, da Rom das Meer beherrschte. Aber ebensowenig bot sich in dem Gebiet der italischen Eidgenossenschaft irgend ein haltbarer Stützpunct. Hatte sie zu ganz anderen Zeiten und trotz der hellenischen Sympathien dem Stoſs des Pyrrhos gestanden, so war nicht zu erwarten, daſs sie jetzt auf das Erscheinen des phoenikischen Feldherrn hin zusammenbrechen werde; zwischen dem römischen Festungsnetz und der festgeketteten Bundes- genossenschaft ward das Invasionsheer ohne Zweifel erdrückt. Einzig das Ligurer- und Keltenland konnte für Hannibal sein, was für Napoleon in seinen sehr ähnlichen russischen Feld- zügen Polen gewesen ist; diese noch von dem kaum beendeten Unabhängigkeitskampf gährenden Nationen, den Italikern stamm- fremd und in ihrer Existenz bedroht, um die eben erst die ersten Ringe der römischen Festungs- und Chausseenkette gelegt wurden, muſsten in dem punischen Heere, das zahl- reiche spanische Kelten in seinen Reihen zählte, ihre Retter erkennen und ihm als erster Rückhalt, als Verpflegungs- und

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/407>, abgerufen am 24.11.2024.