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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DRITTES BUCH. KAPITEL V.
wenn nicht die punische Reiterei unter Mago, die den Zug
beschloss, ihm die Flucht unmöglich gemacht hätte. Die
Pferde, unter denen die Klauenseuche ausbrach, fielen haufen-
weise; andere Seuchen decimirten die Soldaten; Hannibal
selbst verlor in Folge einer Augenentzündung das eine Auge.
Indess das Ziel ward erreicht. Hannibal lagerte bei Fiesole,
während Gaius Flaminius noch bei Arezzo abwartete, dass die
Wege gangbar würden, um sie zu sperren. Nachdem die rö-
mische Defensivstellung somit umgangen war, konnte der
Consul, der vielleicht stark genug gewesen wäre um die
Bergpässe zu vertheidigen, aber sicher nicht im Stande war
Hannibal jetzt im offenen Felde zu stehen, nichts besseres
thun als zu warten, bis das Heer herankam, das bei Arimi-
num nun völlig überflüssig stand. Indess er selber urtheilte
anders. Er war ein politischer Parteiführer, durch seine Be-
mühungen die Macht des Senats zu beschränken in die Höhe
gekommen, durch die gegen ihn während seiner Consulate
gesponnenen aristokratischen Intriguen erbittert zum über-
müthigsten Trotz gegen Sitte und Herkommen, sich berau-
schend zugleich in der blinden Liebe des gemeinen Mannes
und eben so sehr in dem bittern Hass der Herrenpartei, und
über alles dies mit der fixen Idee behaftet, dass er ein mili-
tärisches Genie sei. Sein Feldzug gegen die Insubrer von
531, der für unbefangene Urtheiler nur bewies, dass tüchtige
Soldaten öfters gutmachen was schlechte Generale verderben,
galt ihm und seinen Anhängern als der unumstössliche Be-
weis, dass man nur den Gaius Flaminius an die Spitze des
Heeres zu stellen brauche um dem Hannibal ein schnelles
Ende zu bereiten. Solche Reden hatten ihm das zweite Con-
sulat verschafft und solche Hoffnungen hatten jetzt eine der-
artige Menge von unbewaffneten Beutelustigen in sein Lager
geführt, dass deren Zahl nach der Versicherung nüchterner Ge-
schichtsschreiber die der Legionarier überstieg. Hannibal grün-
dete zum Theil hierauf seinen Plan. Weit entfernt ihn anzu-
greifen marschirte er an ihm vorbei und liess durch die Kelten,
die das Plündern gründlich verstanden, und die zahlreiche
Reiterei die Landschaft rings umher brandschatzen. Die Kla-
gen und die Erbitterung der Menge, die sich musste ausplün-
dern lassen unter den Augen des Helden, der sie zu berei-
chern versprochen; das Bezeigen, dass der Feind ihm weder
die Macht noch den Entschluss zutraue vor der Ankunft seines
Collegen etwas zu unternehmen, mussten einen solchen Mann

DRITTES BUCH. KAPITEL V.
wenn nicht die punische Reiterei unter Mago, die den Zug
beschloſs, ihm die Flucht unmöglich gemacht hätte. Die
Pferde, unter denen die Klauenseuche ausbrach, fielen haufen-
weise; andere Seuchen decimirten die Soldaten; Hannibal
selbst verlor in Folge einer Augenentzündung das eine Auge.
Indeſs das Ziel ward erreicht. Hannibal lagerte bei Fiesole,
während Gaius Flaminius noch bei Arezzo abwartete, daſs die
Wege gangbar würden, um sie zu sperren. Nachdem die rö-
mische Defensivstellung somit umgangen war, konnte der
Consul, der vielleicht stark genug gewesen wäre um die
Bergpässe zu vertheidigen, aber sicher nicht im Stande war
Hannibal jetzt im offenen Felde zu stehen, nichts besseres
thun als zu warten, bis das Heer herankam, das bei Arimi-
num nun völlig überflüssig stand. Indeſs er selber urtheilte
anders. Er war ein politischer Parteiführer, durch seine Be-
mühungen die Macht des Senats zu beschränken in die Höhe
gekommen, durch die gegen ihn während seiner Consulate
gesponnenen aristokratischen Intriguen erbittert zum über-
müthigsten Trotz gegen Sitte und Herkommen, sich berau-
schend zugleich in der blinden Liebe des gemeinen Mannes
und eben so sehr in dem bittern Haſs der Herrenpartei, und
über alles dies mit der fixen Idee behaftet, daſs er ein mili-
tärisches Genie sei. Sein Feldzug gegen die Insubrer von
531, der für unbefangene Urtheiler nur bewies, daſs tüchtige
Soldaten öfters gutmachen was schlechte Generale verderben,
galt ihm und seinen Anhängern als der unumstöſsliche Be-
weis, daſs man nur den Gaius Flaminius an die Spitze des
Heeres zu stellen brauche um dem Hannibal ein schnelles
Ende zu bereiten. Solche Reden hatten ihm das zweite Con-
sulat verschafft und solche Hoffnungen hatten jetzt eine der-
artige Menge von unbewaffneten Beutelustigen in sein Lager
geführt, daſs deren Zahl nach der Versicherung nüchterner Ge-
schichtsschreiber die der Legionarier überstieg. Hannibal grün-
dete zum Theil hierauf seinen Plan. Weit entfernt ihn anzu-
greifen marschirte er an ihm vorbei und lieſs durch die Kelten,
die das Plündern gründlich verstanden, und die zahlreiche
Reiterei die Landschaft rings umher brandschatzen. Die Kla-
gen und die Erbitterung der Menge, die sich muſste ausplün-
dern lassen unter den Augen des Helden, der sie zu berei-
chern versprochen; das Bezeigen, daſs der Feind ihm weder
die Macht noch den Entschluſs zutraue vor der Ankunft seines
Collegen etwas zu unternehmen, muſsten einen solchen Mann

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[414/0428] DRITTES BUCH. KAPITEL V. wenn nicht die punische Reiterei unter Mago, die den Zug beschloſs, ihm die Flucht unmöglich gemacht hätte. Die Pferde, unter denen die Klauenseuche ausbrach, fielen haufen- weise; andere Seuchen decimirten die Soldaten; Hannibal selbst verlor in Folge einer Augenentzündung das eine Auge. Indeſs das Ziel ward erreicht. Hannibal lagerte bei Fiesole, während Gaius Flaminius noch bei Arezzo abwartete, daſs die Wege gangbar würden, um sie zu sperren. Nachdem die rö- mische Defensivstellung somit umgangen war, konnte der Consul, der vielleicht stark genug gewesen wäre um die Bergpässe zu vertheidigen, aber sicher nicht im Stande war Hannibal jetzt im offenen Felde zu stehen, nichts besseres thun als zu warten, bis das Heer herankam, das bei Arimi- num nun völlig überflüssig stand. Indeſs er selber urtheilte anders. Er war ein politischer Parteiführer, durch seine Be- mühungen die Macht des Senats zu beschränken in die Höhe gekommen, durch die gegen ihn während seiner Consulate gesponnenen aristokratischen Intriguen erbittert zum über- müthigsten Trotz gegen Sitte und Herkommen, sich berau- schend zugleich in der blinden Liebe des gemeinen Mannes und eben so sehr in dem bittern Haſs der Herrenpartei, und über alles dies mit der fixen Idee behaftet, daſs er ein mili- tärisches Genie sei. Sein Feldzug gegen die Insubrer von 531, der für unbefangene Urtheiler nur bewies, daſs tüchtige Soldaten öfters gutmachen was schlechte Generale verderben, galt ihm und seinen Anhängern als der unumstöſsliche Be- weis, daſs man nur den Gaius Flaminius an die Spitze des Heeres zu stellen brauche um dem Hannibal ein schnelles Ende zu bereiten. Solche Reden hatten ihm das zweite Con- sulat verschafft und solche Hoffnungen hatten jetzt eine der- artige Menge von unbewaffneten Beutelustigen in sein Lager geführt, daſs deren Zahl nach der Versicherung nüchterner Ge- schichtsschreiber die der Legionarier überstieg. Hannibal grün- dete zum Theil hierauf seinen Plan. Weit entfernt ihn anzu- greifen marschirte er an ihm vorbei und lieſs durch die Kelten, die das Plündern gründlich verstanden, und die zahlreiche Reiterei die Landschaft rings umher brandschatzen. Die Kla- gen und die Erbitterung der Menge, die sich muſste ausplün- dern lassen unter den Augen des Helden, der sie zu berei- chern versprochen; das Bezeigen, daſs der Feind ihm weder die Macht noch den Entschluſs zutraue vor der Ankunft seines Collegen etwas zu unternehmen, muſsten einen solchen Mann

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/428>, abgerufen am 24.11.2024.