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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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HANNIBALISCHER KRIEG.
bestimmen sein strategisches Genie zu entwickeln und dem
unbesonnenen hochmüthigen Feind eine derbe Lection zu er-
theilen. Nie ist ein Plan vollständiger gelungen. Eilig folgte
der Consul dem Marsch des Feindes, der an Arezzo vorüber
langsam durch das reiche Chianathal gegen Perugia zu mar-
schirte; er erreichte ihn in der Gegend von Cortona, wo
Hannibal, genau unterrichtet von dem Marsch seines Gegners,
volle Zeit gehabt hatte sein Schlachtfeld zu wählen, ein enges
Defile zwischen zwei steilen Bergwänden, das vorn ein hoher
Hügel, hinten der trasimenische See abschloss. Mit dem Kern
seiner Infanterie verlegte er den Ausweg; die leichten Trup-
pen und die Reiterei stellten hinter den Seitenwänden ver-
deckt sich auf. Unbedenklich rückten die römischen Colonnen
in den unbesetzten Pass; der dichte Morgennebel verbarg ih-
nen die Stellung des Feindes. Wie die Spitze des römischen
Zuges sich dem Hügel näherte, gab Hannibal das Zeichen zur
Schlacht; zugleich schloss die Reiterei, hinter den Hügeln vor-
rückend, den Eingang des Passes und auf den Rändern rechts
und links zeigten die verziehenden Nebel überall punische
Waffen. Es war keine Schlacht, sondern nur eine Niederlage.
Was ausserhalb des Defiles geblieben war, wurde von den
Reitern in den See gesprengt; der Hauptzug in dem Passe
selbst fast ohne Gegenwehr vernichtet und die meisten, dar-
unter der Consul selbst, in der Marschordnung niedergehauen.
Die Colonnenspitze selbst, 6000 Mann zu Fuss schlug sich
zwar durch das feindliche Fussvolk durch und bewies wie-
derum die unwiderstehliche Gewalt der Legionen; allein ab-
geschnitten und ohne Kunde von dem übrigen Heer marschir-
ten sie auf Gerathewohl weiter und wurden am folgenden
Tag auf einem Hügel, den sie besetzt hatten, von einem kar-
thagischen Reitercorps umzingelt und da die Capitulation,
die ihnen freien Abzug versprach, von Hannibal verworfen
ward, sämmtlich als kriegsgefangen behandelt. 15000 Römer
waren gefallen, ebenso viele gefangen, das heisst das Heer
war vernichtet; der geringe karthagische Verlust -- 1500
Mann -- traf wieder vorwiegend die Gallier *. Und als wäre

* Das Datum der Schlacht, 23. Juni nach dem unberichtigten Kalender,
muss nach dem berichtigten etwa in den April fallen, da Quintus Fabius
seine Dictatur nach sechs Monaten in der Mitte des Herbstes niederlegte,
also sie etwa Anfang Mai antrat und Hannibal zur Erntezeit (Juli, August)
zum zweiten Mal in Apulien einrückte. Die Kalenderverwirrung (S. 301)
war schon in dieser Zeit in Rom sehr arg.

HANNIBALISCHER KRIEG.
bestimmen sein strategisches Genie zu entwickeln und dem
unbesonnenen hochmüthigen Feind eine derbe Lection zu er-
theilen. Nie ist ein Plan vollständiger gelungen. Eilig folgte
der Consul dem Marsch des Feindes, der an Arezzo vorüber
langsam durch das reiche Chianathal gegen Perugia zu mar-
schirte; er erreichte ihn in der Gegend von Cortona, wo
Hannibal, genau unterrichtet von dem Marsch seines Gegners,
volle Zeit gehabt hatte sein Schlachtfeld zu wählen, ein enges
Defilé zwischen zwei steilen Bergwänden, das vorn ein hoher
Hügel, hinten der trasimenische See abschloſs. Mit dem Kern
seiner Infanterie verlegte er den Ausweg; die leichten Trup-
pen und die Reiterei stellten hinter den Seitenwänden ver-
deckt sich auf. Unbedenklich rückten die römischen Colonnen
in den unbesetzten Paſs; der dichte Morgennebel verbarg ih-
nen die Stellung des Feindes. Wie die Spitze des römischen
Zuges sich dem Hügel näherte, gab Hannibal das Zeichen zur
Schlacht; zugleich schloſs die Reiterei, hinter den Hügeln vor-
rückend, den Eingang des Passes und auf den Rändern rechts
und links zeigten die verziehenden Nebel überall punische
Waffen. Es war keine Schlacht, sondern nur eine Niederlage.
Was auſserhalb des Defilés geblieben war, wurde von den
Reitern in den See gesprengt; der Hauptzug in dem Passe
selbst fast ohne Gegenwehr vernichtet und die meisten, dar-
unter der Consul selbst, in der Marschordnung niedergehauen.
Die Colonnenspitze selbst, 6000 Mann zu Fuſs schlug sich
zwar durch das feindliche Fuſsvolk durch und bewies wie-
derum die unwiderstehliche Gewalt der Legionen; allein ab-
geschnitten und ohne Kunde von dem übrigen Heer marschir-
ten sie auf Gerathewohl weiter und wurden am folgenden
Tag auf einem Hügel, den sie besetzt hatten, von einem kar-
thagischen Reitercorps umzingelt und da die Capitulation,
die ihnen freien Abzug versprach, von Hannibal verworfen
ward, sämmtlich als kriegsgefangen behandelt. 15000 Römer
waren gefallen, ebenso viele gefangen, das heiſst das Heer
war vernichtet; der geringe karthagische Verlust — 1500
Mann — traf wieder vorwiegend die Gallier *. Und als wäre

* Das Datum der Schlacht, 23. Juni nach dem unberichtigten Kalender,
muſs nach dem berichtigten etwa in den April fallen, da Quintus Fabius
seine Dictatur nach sechs Monaten in der Mitte des Herbstes niederlegte,
also sie etwa Anfang Mai antrat und Hannibal zur Erntezeit (Juli, August)
zum zweiten Mal in Apulien einrückte. Die Kalenderverwirrung (S. 301)
war schon in dieser Zeit in Rom sehr arg.
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[415/0429] HANNIBALISCHER KRIEG. bestimmen sein strategisches Genie zu entwickeln und dem unbesonnenen hochmüthigen Feind eine derbe Lection zu er- theilen. Nie ist ein Plan vollständiger gelungen. Eilig folgte der Consul dem Marsch des Feindes, der an Arezzo vorüber langsam durch das reiche Chianathal gegen Perugia zu mar- schirte; er erreichte ihn in der Gegend von Cortona, wo Hannibal, genau unterrichtet von dem Marsch seines Gegners, volle Zeit gehabt hatte sein Schlachtfeld zu wählen, ein enges Defilé zwischen zwei steilen Bergwänden, das vorn ein hoher Hügel, hinten der trasimenische See abschloſs. Mit dem Kern seiner Infanterie verlegte er den Ausweg; die leichten Trup- pen und die Reiterei stellten hinter den Seitenwänden ver- deckt sich auf. Unbedenklich rückten die römischen Colonnen in den unbesetzten Paſs; der dichte Morgennebel verbarg ih- nen die Stellung des Feindes. Wie die Spitze des römischen Zuges sich dem Hügel näherte, gab Hannibal das Zeichen zur Schlacht; zugleich schloſs die Reiterei, hinter den Hügeln vor- rückend, den Eingang des Passes und auf den Rändern rechts und links zeigten die verziehenden Nebel überall punische Waffen. Es war keine Schlacht, sondern nur eine Niederlage. Was auſserhalb des Defilés geblieben war, wurde von den Reitern in den See gesprengt; der Hauptzug in dem Passe selbst fast ohne Gegenwehr vernichtet und die meisten, dar- unter der Consul selbst, in der Marschordnung niedergehauen. Die Colonnenspitze selbst, 6000 Mann zu Fuſs schlug sich zwar durch das feindliche Fuſsvolk durch und bewies wie- derum die unwiderstehliche Gewalt der Legionen; allein ab- geschnitten und ohne Kunde von dem übrigen Heer marschir- ten sie auf Gerathewohl weiter und wurden am folgenden Tag auf einem Hügel, den sie besetzt hatten, von einem kar- thagischen Reitercorps umzingelt und da die Capitulation, die ihnen freien Abzug versprach, von Hannibal verworfen ward, sämmtlich als kriegsgefangen behandelt. 15000 Römer waren gefallen, ebenso viele gefangen, das heiſst das Heer war vernichtet; der geringe karthagische Verlust — 1500 Mann — traf wieder vorwiegend die Gallier *. Und als wäre * Das Datum der Schlacht, 23. Juni nach dem unberichtigten Kalender, muſs nach dem berichtigten etwa in den April fallen, da Quintus Fabius seine Dictatur nach sechs Monaten in der Mitte des Herbstes niederlegte, also sie etwa Anfang Mai antrat und Hannibal zur Erntezeit (Juli, August) zum zweiten Mal in Apulien einrückte. Die Kalenderverwirrung (S. 301) war schon in dieser Zeit in Rom sehr arg.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/429>, abgerufen am 24.11.2024.