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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DRITTES BUCH. KAPITEL V.
und namentlich als Haupturheber der Wahl des Marcus Minu-
cius zum Condictator, und den nichts der Menge empfahl als
seine niedrige Geburt und seine rohe Unverschämtheit. Den
beiden Consuln des vorigen Jahres wurde daneben das Com-
mando verlängert; doch blieb den neu ernannten Consuln die
Oberfeldherrschaft, die nach der alten thörichter Weise bei-
behaltenen Sitte Tag um Tag zwischen ihnen wechselte. Mit
Anfang des Sommers 538 trafen Paullus und Varro mit den
vier neuen Legionen in Apulien ein, wo die beiden Heere sich
seit dem vorigen Herbst gegenüberstanden. Hannibals Vor-
räthe gingen schon auf die Neige und die Erntezeit war noch
fern; unter seinen Soldaten, namentlich den Kelten zeigte
sichtlich sich grosse Verstimmung -- man brauchte nur zuzu-
warten, mit der doppelten Armee den Feind ebenso festzu-
halten wie bisher mit der einfachen und ihn am Abmarsch
und Fouragiren zu verhindern, so stand man am Ziel. Allein
dem Helden von der Gasse missfiel dergleichen militärische
Pedanterie; er befahl die Schlacht zu liefern wo man eben
stand und der Kriegsrath musste sich fügen *. Das römische
Heer hatte bisher auf beiden Ufern des Aufidus eine wohlge-
wählte Stellung inne gehabt. Jetzt ward das linke Ufer ver-
lassen; nur eine Abtheilung von 10000 Mann blieb dort zurück
um das daselbst befindliche karthagische Lager zu überfallen.
Die Massen des römischen und des karthagischen Heeres stell-
ten sich in Schlachtordnung auf dem rechten Ufer in einem
weiten nirgends Schutz bietenden Blachfeld bei dem Städtchen
Cannae. Die römische Reiterei stand auf den Flügeln, die
schwächere der Bürgerwehr auf dem rechten am Fluss, ge-
führt von Paullus, die stärkere bundesgenössische auf dem
linken gegen die Ebene, geführt von Varro. Im Mitteltreffen
stand das Fussvolk in ungewöhnlich tiefer Stellung unter dem
Befehl des Proconsuls Gnaeus Servilius. Diesem gegenüber
ordnete Hannibal sein Fussvolk im Halbmond, so dass die kel-
tischen und iberischen Truppen in ihrer nationalen Rüstung
die vorgeschobene Mitte, die römisch gerüsteten Libyer auf
beiden Seiten die zurückgenommenen Flügel bildeten. An der
Flussseite stellte die gesammte schwere Reiterei unter Has-

* Der Schlachttag ist nach dem unberichtigten Kalender der 2. August;
nach dem berichtigten muss er, wie sowohl die Angaben über die Ernte
lehren als die Vergleichung des Datums der trasimenischen Schlacht, viel
mehr in den Juni fallen.

DRITTES BUCH. KAPITEL V.
und namentlich als Haupturheber der Wahl des Marcus Minu-
cius zum Condictator, und den nichts der Menge empfahl als
seine niedrige Geburt und seine rohe Unverschämtheit. Den
beiden Consuln des vorigen Jahres wurde daneben das Com-
mando verlängert; doch blieb den neu ernannten Consuln die
Oberfeldherrschaft, die nach der alten thörichter Weise bei-
behaltenen Sitte Tag um Tag zwischen ihnen wechselte. Mit
Anfang des Sommers 538 trafen Paullus und Varro mit den
vier neuen Legionen in Apulien ein, wo die beiden Heere sich
seit dem vorigen Herbst gegenüberstanden. Hannibals Vor-
räthe gingen schon auf die Neige und die Erntezeit war noch
fern; unter seinen Soldaten, namentlich den Kelten zeigte
sichtlich sich groſse Verstimmung — man brauchte nur zuzu-
warten, mit der doppelten Armee den Feind ebenso festzu-
halten wie bisher mit der einfachen und ihn am Abmarsch
und Fouragiren zu verhindern, so stand man am Ziel. Allein
dem Helden von der Gasse miſsfiel dergleichen militärische
Pedanterie; er befahl die Schlacht zu liefern wo man eben
stand und der Kriegsrath muſste sich fügen *. Das römische
Heer hatte bisher auf beiden Ufern des Aufidus eine wohlge-
wählte Stellung inne gehabt. Jetzt ward das linke Ufer ver-
lassen; nur eine Abtheilung von 10000 Mann blieb dort zurück
um das daselbst befindliche karthagische Lager zu überfallen.
Die Massen des römischen und des karthagischen Heeres stell-
ten sich in Schlachtordnung auf dem rechten Ufer in einem
weiten nirgends Schutz bietenden Blachfeld bei dem Städtchen
Cannae. Die römische Reiterei stand auf den Flügeln, die
schwächere der Bürgerwehr auf dem rechten am Fluſs, ge-
führt von Paullus, die stärkere bundesgenössische auf dem
linken gegen die Ebene, geführt von Varro. Im Mitteltreffen
stand das Fuſsvolk in ungewöhnlich tiefer Stellung unter dem
Befehl des Proconsuls Gnaeus Servilius. Diesem gegenüber
ordnete Hannibal sein Fuſsvolk im Halbmond, so daſs die kel-
tischen und iberischen Truppen in ihrer nationalen Rüstung
die vorgeschobene Mitte, die römisch gerüsteten Libyer auf
beiden Seiten die zurückgenommenen Flügel bildeten. An der
Fluſsseite stellte die gesammte schwere Reiterei unter Has-

* Der Schlachttag ist nach dem unberichtigten Kalender der 2. August;
nach dem berichtigten muſs er, wie sowohl die Angaben über die Ernte
lehren als die Vergleichung des Datums der trasimenischen Schlacht, viel
mehr in den Juni fallen.
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[422/0436] DRITTES BUCH. KAPITEL V. und namentlich als Haupturheber der Wahl des Marcus Minu- cius zum Condictator, und den nichts der Menge empfahl als seine niedrige Geburt und seine rohe Unverschämtheit. Den beiden Consuln des vorigen Jahres wurde daneben das Com- mando verlängert; doch blieb den neu ernannten Consuln die Oberfeldherrschaft, die nach der alten thörichter Weise bei- behaltenen Sitte Tag um Tag zwischen ihnen wechselte. Mit Anfang des Sommers 538 trafen Paullus und Varro mit den vier neuen Legionen in Apulien ein, wo die beiden Heere sich seit dem vorigen Herbst gegenüberstanden. Hannibals Vor- räthe gingen schon auf die Neige und die Erntezeit war noch fern; unter seinen Soldaten, namentlich den Kelten zeigte sichtlich sich groſse Verstimmung — man brauchte nur zuzu- warten, mit der doppelten Armee den Feind ebenso festzu- halten wie bisher mit der einfachen und ihn am Abmarsch und Fouragiren zu verhindern, so stand man am Ziel. Allein dem Helden von der Gasse miſsfiel dergleichen militärische Pedanterie; er befahl die Schlacht zu liefern wo man eben stand und der Kriegsrath muſste sich fügen *. Das römische Heer hatte bisher auf beiden Ufern des Aufidus eine wohlge- wählte Stellung inne gehabt. Jetzt ward das linke Ufer ver- lassen; nur eine Abtheilung von 10000 Mann blieb dort zurück um das daselbst befindliche karthagische Lager zu überfallen. Die Massen des römischen und des karthagischen Heeres stell- ten sich in Schlachtordnung auf dem rechten Ufer in einem weiten nirgends Schutz bietenden Blachfeld bei dem Städtchen Cannae. Die römische Reiterei stand auf den Flügeln, die schwächere der Bürgerwehr auf dem rechten am Fluſs, ge- führt von Paullus, die stärkere bundesgenössische auf dem linken gegen die Ebene, geführt von Varro. Im Mitteltreffen stand das Fuſsvolk in ungewöhnlich tiefer Stellung unter dem Befehl des Proconsuls Gnaeus Servilius. Diesem gegenüber ordnete Hannibal sein Fuſsvolk im Halbmond, so daſs die kel- tischen und iberischen Truppen in ihrer nationalen Rüstung die vorgeschobene Mitte, die römisch gerüsteten Libyer auf beiden Seiten die zurückgenommenen Flügel bildeten. An der Fluſsseite stellte die gesammte schwere Reiterei unter Has- * Der Schlachttag ist nach dem unberichtigten Kalender der 2. August; nach dem berichtigten muſs er, wie sowohl die Angaben über die Ernte lehren als die Vergleichung des Datums der trasimenischen Schlacht, viel mehr in den Juni fallen.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/436>, abgerufen am 24.11.2024.