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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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HANNIBALISCHER KRIEG.
Metapont und Tarent. Kroton und Lokri dagegen wurden von
den vereinigten Brettiern und Puniern theils erstürmt, theils zur
Capitulation gezwungen und die Krotoniaten nach Lokri geführt,
worauf brettische Colonisten jene wichtige Seestation besetzten.
Dass die süditalischen Latiner, wie Brundisium, Venusia, Pae-
stum, Cosa, Cales unerschüttert mit Rom hielten, versteht
sich von selbst. Waren sie doch die Zwingburgen der Er-
oberer im fremden Land, angesiedelt auf dem Acker der
Umwohner, mit ihren Nachbarn verfehdet; traf es doch sie
zunächst, wenn Hannibal sein Wort wahr machte und jeder
italischen Gemeinde die alten Grenzen zurückgab. In gleicher
Weise gilt dies von ganz Mittelitalien, dem ältesten Sitz der
römischen Herrschaft, wo lateinische Sitte und Sprache schon
überall vorwog und man sich als Genossen der Herrscher,
nicht als Unterthanen fühlte. Hannibals Gegner im kartha-
gischen Senat unterliessen nicht daran zu erinnern, dass nicht
ein römischer Bürger, nicht eine latinische Gemeinde sich
Karthago in die Arme geworfen habe. Dieses Grundwerk der
römischen Macht konnte gleich der kyklopischen Mauer nur
Stein um Stein zertrümmert werden.

Das waren die Folgen des Tages von Cannae, an dem
die Blüthe der Soldaten und Offiziere der Eidgenossenschaft,
ein Siebentel der gesammten Zahl der kampffähigen Italiker
zu Grunde ging. Es war eine grausame, aber gerechte Strafe
der schweren politischen Versündigungen, die sich die römi-
sche Bürgerschaft hatte zu Schulden kommen lassen, und nicht
etwa bloss einzelne thörichte oder elende Männer. Die für
die kleine Landstadt zugeschnittene Verfassung passte der
Grossmacht nirgends mehr; es war eben nicht möglich über
die Frage, wer die Heere der Stadt in einem solchen Kriege
führen solle, Jahr für Jahr die Pandorabüchse des Stimm-
kastens entscheiden zu lassen. Da eine gründliche Verfas-
sungsrevision, wenn sie überhaupt ausführbar war, jetzt wenig-
stens nicht begonnen werden durfte, so blieb nichts anderes
übrig als zunächst der einzigen Behörde, die dazu im Stande
war, dem Senat die thatsächliche Oberleitung des Krieges und
namentlich die Uebertragung und Verlängerung des Comman-
dos zu übergeben und den Comitien nur die formelle Be-
stätigung vorzubehalten. Die glänzenden Erfolge der Scipionen
in dem schwierigen spanischen Feldzug zeigten, was auf die-
sem Weg sich erreichen liess. Allein die politische Demagogie,
die bereits nagte an den aristokratischen Elementen der Ver-

HANNIBALISCHER KRIEG.
Metapont und Tarent. Kroton und Lokri dagegen wurden von
den vereinigten Brettiern und Puniern theils erstürmt, theils zur
Capitulation gezwungen und die Krotoniaten nach Lokri geführt,
worauf brettische Colonisten jene wichtige Seestation besetzten.
Daſs die süditalischen Latiner, wie Brundisium, Venusia, Pae-
stum, Cosa, Cales unerschüttert mit Rom hielten, versteht
sich von selbst. Waren sie doch die Zwingburgen der Er-
oberer im fremden Land, angesiedelt auf dem Acker der
Umwohner, mit ihren Nachbarn verfehdet; traf es doch sie
zunächst, wenn Hannibal sein Wort wahr machte und jeder
italischen Gemeinde die alten Grenzen zurückgab. In gleicher
Weise gilt dies von ganz Mittelitalien, dem ältesten Sitz der
römischen Herrschaft, wo lateinische Sitte und Sprache schon
überall vorwog und man sich als Genossen der Herrscher,
nicht als Unterthanen fühlte. Hannibals Gegner im kartha-
gischen Senat unterlieſsen nicht daran zu erinnern, daſs nicht
ein römischer Bürger, nicht eine latinische Gemeinde sich
Karthago in die Arme geworfen habe. Dieses Grundwerk der
römischen Macht konnte gleich der kyklopischen Mauer nur
Stein um Stein zertrümmert werden.

Das waren die Folgen des Tages von Cannae, an dem
die Blüthe der Soldaten und Offiziere der Eidgenossenschaft,
ein Siebentel der gesammten Zahl der kampffähigen Italiker
zu Grunde ging. Es war eine grausame, aber gerechte Strafe
der schweren politischen Versündigungen, die sich die römi-
sche Bürgerschaft hatte zu Schulden kommen lassen, und nicht
etwa bloſs einzelne thörichte oder elende Männer. Die für
die kleine Landstadt zugeschnittene Verfassung paſste der
Groſsmacht nirgends mehr; es war eben nicht möglich über
die Frage, wer die Heere der Stadt in einem solchen Kriege
führen solle, Jahr für Jahr die Pandorabüchse des Stimm-
kastens entscheiden zu lassen. Da eine gründliche Verfas-
sungsrevision, wenn sie überhaupt ausführbar war, jetzt wenig-
stens nicht begonnen werden durfte, so blieb nichts anderes
übrig als zunächst der einzigen Behörde, die dazu im Stande
war, dem Senat die thatsächliche Oberleitung des Krieges und
namentlich die Uebertragung und Verlängerung des Comman-
dos zu übergeben und den Comitien nur die formelle Be-
stätigung vorzubehalten. Die glänzenden Erfolge der Scipionen
in dem schwierigen spanischen Feldzug zeigten, was auf die-
sem Weg sich erreichen lieſs. Allein die politische Demagogie,
die bereits nagte an den aristokratischen Elementen der Ver-

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[427/0441] HANNIBALISCHER KRIEG. Metapont und Tarent. Kroton und Lokri dagegen wurden von den vereinigten Brettiern und Puniern theils erstürmt, theils zur Capitulation gezwungen und die Krotoniaten nach Lokri geführt, worauf brettische Colonisten jene wichtige Seestation besetzten. Daſs die süditalischen Latiner, wie Brundisium, Venusia, Pae- stum, Cosa, Cales unerschüttert mit Rom hielten, versteht sich von selbst. Waren sie doch die Zwingburgen der Er- oberer im fremden Land, angesiedelt auf dem Acker der Umwohner, mit ihren Nachbarn verfehdet; traf es doch sie zunächst, wenn Hannibal sein Wort wahr machte und jeder italischen Gemeinde die alten Grenzen zurückgab. In gleicher Weise gilt dies von ganz Mittelitalien, dem ältesten Sitz der römischen Herrschaft, wo lateinische Sitte und Sprache schon überall vorwog und man sich als Genossen der Herrscher, nicht als Unterthanen fühlte. Hannibals Gegner im kartha- gischen Senat unterlieſsen nicht daran zu erinnern, daſs nicht ein römischer Bürger, nicht eine latinische Gemeinde sich Karthago in die Arme geworfen habe. Dieses Grundwerk der römischen Macht konnte gleich der kyklopischen Mauer nur Stein um Stein zertrümmert werden. Das waren die Folgen des Tages von Cannae, an dem die Blüthe der Soldaten und Offiziere der Eidgenossenschaft, ein Siebentel der gesammten Zahl der kampffähigen Italiker zu Grunde ging. Es war eine grausame, aber gerechte Strafe der schweren politischen Versündigungen, die sich die römi- sche Bürgerschaft hatte zu Schulden kommen lassen, und nicht etwa bloſs einzelne thörichte oder elende Männer. Die für die kleine Landstadt zugeschnittene Verfassung paſste der Groſsmacht nirgends mehr; es war eben nicht möglich über die Frage, wer die Heere der Stadt in einem solchen Kriege führen solle, Jahr für Jahr die Pandorabüchse des Stimm- kastens entscheiden zu lassen. Da eine gründliche Verfas- sungsrevision, wenn sie überhaupt ausführbar war, jetzt wenig- stens nicht begonnen werden durfte, so blieb nichts anderes übrig als zunächst der einzigen Behörde, die dazu im Stande war, dem Senat die thatsächliche Oberleitung des Krieges und namentlich die Uebertragung und Verlängerung des Comman- dos zu übergeben und den Comitien nur die formelle Be- stätigung vorzubehalten. Die glänzenden Erfolge der Scipionen in dem schwierigen spanischen Feldzug zeigten, was auf die- sem Weg sich erreichen lieſs. Allein die politische Demagogie, die bereits nagte an den aristokratischen Elementen der Ver-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/441>, abgerufen am 24.11.2024.