Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.
DRITTES BUCH. KAPITEL VI. punische Flotte von jeder beliebigen Stärke bei Lokri oderKroton landen zu lassen, zumal so lange als der Hafen von Syrakus karthagisch war und durch Makedonien die brundi- sinische Flotte in Schach gehalten ward, beweist die unge- hinderte Landung von 4000 Africanern, die Bomilkar dem Hannibal um diese Zeit von Karthago zuführte, in Lokri, und mehr noch Hannibals ungestörte Ueberfahrt, als schon jenes alles verloren gegangen war. Allein nachdem der erste Ein- druck des Sieges von Cannae sich verwischt hatte, wies die karthagische Friedenspartei, die zu allen Zeiten bereit war den Sturz der politischen Gegner mit dem des Vaterlandes zu erkaufen und die in der Kurzsichtigkeit und Lässigkeit der Bürgerschaft treue Verbündete fand, die Bitten des Feldherrn um nachdrücklichere Unterstützung ab mit der halb einfälti- gen, halb perfiden Antwort, dass er ja keine Hülfe brauche, wofern er wirklich Sieger sei, und half so nicht viel weniger als der römische Senat Rom erretten. Hannibal, im Lager erzogen und dem städtischen Parteigetreibe fremd, fand keinen Volksführer, auf den er sich hätte stützen können wie sein Vater auf Hasdrubal, und musste zur Rettung der Heimath die Mittel, die diese selbst in reicher Fülle besass, im Ausland suchen. -- Hier durfte er, und wenigstens mit mehr Aussicht auf Erfolg, rechnen auf die Führer des spanischen Patrioten- heers, auf die in Syrakus angeknüpften Verbindungen und auf Philippos Intervention. Es kam alles darauf an von Spanien, Syrakus oder Makedonien neue Streitkräfte gegen Rom auf den italischen Kampfplatz zu führen; und zu diesem Ende sind die Kriege in Spanien, Sicilien und Griechenland geführt worden. Sie sind alle nur Mittel zum Zweck und sehr mit Unrecht hat man oft sie höher angeschlagen. Für die Römer sind es wesentlich Defensivkriege, deren eigentliche Aufgabe ist die Pyrenäenpässe zu behaupten, die makedonische Armee in Griechenland festzuhalten, Messana zu vertheidigen und die Verbindung zwischen Italien und Sicilien zu sperren; es ver- steht sich, dass diese Defensive wo möglich offensiv geführt wird und im günstigen Fall sich entwickelt zur Verdrängung der Punier aus Spanien und Sicilien und zur Sprengung der Bündnisse Hannibals mit Syrakus und mit Philippos. Der ita- lische Krieg an sich zwar tritt zunächst in den Hintergrund und löst sich auf in Festungskämpfe und Razzias, die in der Hauptsache nicht entscheiden. Allein Italien bleibt dennoch, so lange die Punier überhaupt die Offensive festhalten, stets DRITTES BUCH. KAPITEL VI. punische Flotte von jeder beliebigen Stärke bei Lokri oderKroton landen zu lassen, zumal so lange als der Hafen von Syrakus karthagisch war und durch Makedonien die brundi- sinische Flotte in Schach gehalten ward, beweist die unge- hinderte Landung von 4000 Africanern, die Bomilkar dem Hannibal um diese Zeit von Karthago zuführte, in Lokri, und mehr noch Hannibals ungestörte Ueberfahrt, als schon jenes alles verloren gegangen war. Allein nachdem der erste Ein- druck des Sieges von Cannae sich verwischt hatte, wies die karthagische Friedenspartei, die zu allen Zeiten bereit war den Sturz der politischen Gegner mit dem des Vaterlandes zu erkaufen und die in der Kurzsichtigkeit und Lässigkeit der Bürgerschaft treue Verbündete fand, die Bitten des Feldherrn um nachdrücklichere Unterstützung ab mit der halb einfälti- gen, halb perfiden Antwort, daſs er ja keine Hülfe brauche, wofern er wirklich Sieger sei, und half so nicht viel weniger als der römische Senat Rom erretten. Hannibal, im Lager erzogen und dem städtischen Parteigetreibe fremd, fand keinen Volksführer, auf den er sich hätte stützen können wie sein Vater auf Hasdrubal, und muſste zur Rettung der Heimath die Mittel, die diese selbst in reicher Fülle besaſs, im Ausland suchen. — Hier durfte er, und wenigstens mit mehr Aussicht auf Erfolg, rechnen auf die Führer des spanischen Patrioten- heers, auf die in Syrakus angeknüpften Verbindungen und auf Philippos Intervention. Es kam alles darauf an von Spanien, Syrakus oder Makedonien neue Streitkräfte gegen Rom auf den italischen Kampfplatz zu führen; und zu diesem Ende sind die Kriege in Spanien, Sicilien und Griechenland geführt worden. Sie sind alle nur Mittel zum Zweck und sehr mit Unrecht hat man oft sie höher angeschlagen. Für die Römer sind es wesentlich Defensivkriege, deren eigentliche Aufgabe ist die Pyrenäenpässe zu behaupten, die makedonische Armee in Griechenland festzuhalten, Messana zu vertheidigen und die Verbindung zwischen Italien und Sicilien zu sperren; es ver- steht sich, daſs diese Defensive wo möglich offensiv geführt wird und im günstigen Fall sich entwickelt zur Verdrängung der Punier aus Spanien und Sicilien und zur Sprengung der Bündnisse Hannibals mit Syrakus und mit Philippos. Der ita- lische Krieg an sich zwar tritt zunächst in den Hintergrund und löst sich auf in Festungskämpfe und Razzias, die in der Hauptsache nicht entscheiden. Allein Italien bleibt dennoch, so lange die Punier überhaupt die Offensive festhalten, stets <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0450" n="436"/><fw place="top" type="header">DRITTES BUCH. KAPITEL VI.</fw><lb/> punische Flotte von jeder beliebigen Stärke bei Lokri oder<lb/> Kroton landen zu lassen, zumal so lange als der Hafen von<lb/> Syrakus karthagisch war und durch Makedonien die brundi-<lb/> sinische Flotte in Schach gehalten ward, beweist die unge-<lb/> hinderte Landung von 4000 Africanern, die Bomilkar dem<lb/> Hannibal um diese Zeit von Karthago zuführte, in Lokri, und<lb/> mehr noch Hannibals ungestörte Ueberfahrt, als schon jenes<lb/> alles verloren gegangen war. Allein nachdem der erste Ein-<lb/> druck des Sieges von Cannae sich verwischt hatte, wies die<lb/> karthagische Friedenspartei, die zu allen Zeiten bereit war<lb/> den Sturz der politischen Gegner mit dem des Vaterlandes<lb/> zu erkaufen und die in der Kurzsichtigkeit und Lässigkeit der<lb/> Bürgerschaft treue Verbündete fand, die Bitten des Feldherrn<lb/> um nachdrücklichere Unterstützung ab mit der halb einfälti-<lb/> gen, halb perfiden Antwort, daſs er ja keine Hülfe brauche,<lb/> wofern er wirklich Sieger sei, und half so nicht viel weniger<lb/> als der römische Senat Rom erretten. Hannibal, im Lager<lb/> erzogen und dem städtischen Parteigetreibe fremd, fand keinen<lb/> Volksführer, auf den er sich hätte stützen können wie sein<lb/> Vater auf Hasdrubal, und muſste zur Rettung der Heimath die<lb/> Mittel, die diese selbst in reicher Fülle besaſs, im Ausland<lb/> suchen. — Hier durfte er, und wenigstens mit mehr Aussicht<lb/> auf Erfolg, rechnen auf die Führer des spanischen Patrioten-<lb/> heers, auf die in Syrakus angeknüpften Verbindungen und auf<lb/> Philippos Intervention. Es kam alles darauf an von Spanien,<lb/> Syrakus oder Makedonien neue Streitkräfte gegen Rom auf den<lb/> italischen Kampfplatz zu führen; und zu diesem Ende sind die<lb/> Kriege in Spanien, Sicilien und Griechenland geführt worden.<lb/> Sie sind alle nur Mittel zum Zweck und sehr mit Unrecht hat<lb/> man oft sie höher angeschlagen. Für die Römer sind es<lb/> wesentlich Defensivkriege, deren eigentliche Aufgabe ist die<lb/> Pyrenäenpässe zu behaupten, die makedonische Armee in<lb/> Griechenland festzuhalten, Messana zu vertheidigen und die<lb/> Verbindung zwischen Italien und Sicilien zu sperren; es ver-<lb/> steht sich, daſs diese Defensive wo möglich offensiv geführt<lb/> wird und im günstigen Fall sich entwickelt zur Verdrängung<lb/> der Punier aus Spanien und Sicilien und zur Sprengung der<lb/> Bündnisse Hannibals mit Syrakus und mit Philippos. Der ita-<lb/> lische Krieg an sich zwar tritt zunächst in den Hintergrund<lb/> und löst sich auf in Festungskämpfe und Razzias, die in der<lb/> Hauptsache nicht entscheiden. Allein Italien bleibt dennoch,<lb/> so lange die Punier überhaupt die Offensive festhalten, stets<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [436/0450]
DRITTES BUCH. KAPITEL VI.
punische Flotte von jeder beliebigen Stärke bei Lokri oder
Kroton landen zu lassen, zumal so lange als der Hafen von
Syrakus karthagisch war und durch Makedonien die brundi-
sinische Flotte in Schach gehalten ward, beweist die unge-
hinderte Landung von 4000 Africanern, die Bomilkar dem
Hannibal um diese Zeit von Karthago zuführte, in Lokri, und
mehr noch Hannibals ungestörte Ueberfahrt, als schon jenes
alles verloren gegangen war. Allein nachdem der erste Ein-
druck des Sieges von Cannae sich verwischt hatte, wies die
karthagische Friedenspartei, die zu allen Zeiten bereit war
den Sturz der politischen Gegner mit dem des Vaterlandes
zu erkaufen und die in der Kurzsichtigkeit und Lässigkeit der
Bürgerschaft treue Verbündete fand, die Bitten des Feldherrn
um nachdrücklichere Unterstützung ab mit der halb einfälti-
gen, halb perfiden Antwort, daſs er ja keine Hülfe brauche,
wofern er wirklich Sieger sei, und half so nicht viel weniger
als der römische Senat Rom erretten. Hannibal, im Lager
erzogen und dem städtischen Parteigetreibe fremd, fand keinen
Volksführer, auf den er sich hätte stützen können wie sein
Vater auf Hasdrubal, und muſste zur Rettung der Heimath die
Mittel, die diese selbst in reicher Fülle besaſs, im Ausland
suchen. — Hier durfte er, und wenigstens mit mehr Aussicht
auf Erfolg, rechnen auf die Führer des spanischen Patrioten-
heers, auf die in Syrakus angeknüpften Verbindungen und auf
Philippos Intervention. Es kam alles darauf an von Spanien,
Syrakus oder Makedonien neue Streitkräfte gegen Rom auf den
italischen Kampfplatz zu führen; und zu diesem Ende sind die
Kriege in Spanien, Sicilien und Griechenland geführt worden.
Sie sind alle nur Mittel zum Zweck und sehr mit Unrecht hat
man oft sie höher angeschlagen. Für die Römer sind es
wesentlich Defensivkriege, deren eigentliche Aufgabe ist die
Pyrenäenpässe zu behaupten, die makedonische Armee in
Griechenland festzuhalten, Messana zu vertheidigen und die
Verbindung zwischen Italien und Sicilien zu sperren; es ver-
steht sich, daſs diese Defensive wo möglich offensiv geführt
wird und im günstigen Fall sich entwickelt zur Verdrängung
der Punier aus Spanien und Sicilien und zur Sprengung der
Bündnisse Hannibals mit Syrakus und mit Philippos. Der ita-
lische Krieg an sich zwar tritt zunächst in den Hintergrund
und löst sich auf in Festungskämpfe und Razzias, die in der
Hauptsache nicht entscheiden. Allein Italien bleibt dennoch,
so lange die Punier überhaupt die Offensive festhalten, stets
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
| URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854 |
| URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/450 |
| Zitationshilfe: | Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/450>, abgerufen am 24.11.2024. |
