Heer unter dem Praetor Marcus Valerius hatte bei Luceria sich aufgestellt, theils um in Gemeinschaft mit der römischen Flotte die Ostküste und die Bewegungen der Makedonier zu beobachten, theils um in Verbindung mit der Armee von Nola die aufständischen Samniten, Lucaner und Hirpiner zu brand- schatzen. Um diesen Luft zu machen wandte Hannibal zu- nächst sich gegen seinen thätigsten Gegner Marcus Marcellus; allein derselbe erfocht unter den Mauern von Nola einen nicht unbedeutenden Sieg über die punische Armee. Nach dem Fehl- schlagen dieser Diversion machte das punische Heer, um den Fortschritten des feindlichen Heeres in Apulien unmittelbar zu steuern, sich von Campanien nach Arpi auf den Weg; ihm folgte Tiberius Gracchus mit seinem Corps, während die beiden andern römischen Heere in Campanien sich anschickten mit dem nächsten Frühjahr zum Angriff auf Capua überzugehen.
Hannibals klaren Blick hatten die Siege nicht geblendet. Es ward immer deutlicher, dass er so nicht zum Ziele kam. Jene raschen Märsche, jenes fast abenteuerliche Hin- und Herwerfen des Krieges, denen Hannibal im Wesentlichen seine Erfolge verdankte, waren zu Ende, der Feind gewitzigt, wei- tere Unternehmungen durch die unumgängliche Vertheidigung des Gewonnenen selbst fast unmöglich gemacht. An die Of- fensive liess sich nicht denken, die Defensive war schwierig und drohte jährlich es mehr zu werden; er konnte es sich nicht verleugnen, dass die zweite Hälfte seines grossen Tag- werks, die Unterwerfung der Latiner und die Eroberung Roms, nicht mit seinen und der italischen Bundesgenossen Kräften allein beendigt werden konnte. Die Vollendung stand bei dem Rath von Karthago, bei dem Hauptquartier in Cartagena, bei den Höfen von Pella und Syrakus. Wenn in Africa, Spanien, Sicilien, Makedonien jetzt alle Kräfte gemeinschaftlich angestrengt wurden gegen den gemeinschaftlichen Feind; wenn Unteritalien der grosse Sammelplatz ward für die Heere und Flotten von Westen, Süden und Osten, so konnte er hoffen glücklich zu Ende zu führen, was die Vorhut unter seiner Leitung so glänzend begonnen hatte. Das Natürlichste und Leichteste wäre gewesen ihm von daheim solche Unterstützung zuzusenden, wie der karthagische Staat, der vom Kriege fast unberührt geblieben und von einer auf eigene Rechnung und Gefahr handelnden kleinen Zahl entschlossener Patrioten aus tiefem Verfall dem vollen Sieg so nahe geführt war, sie auf- zubieten vermochte. Dass es möglich gewesen wäre eine
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HANNIBALISCHER KRIEG.
Heer unter dem Praetor Marcus Valerius hatte bei Luceria sich aufgestellt, theils um in Gemeinschaft mit der römischen Flotte die Ostküste und die Bewegungen der Makedonier zu beobachten, theils um in Verbindung mit der Armee von Nola die aufständischen Samniten, Lucaner und Hirpiner zu brand- schatzen. Um diesen Luft zu machen wandte Hannibal zu- nächst sich gegen seinen thätigsten Gegner Marcus Marcellus; allein derselbe erfocht unter den Mauern von Nola einen nicht unbedeutenden Sieg über die punische Armee. Nach dem Fehl- schlagen dieser Diversion machte das punische Heer, um den Fortschritten des feindlichen Heeres in Apulien unmittelbar zu steuern, sich von Campanien nach Arpi auf den Weg; ihm folgte Tiberius Gracchus mit seinem Corps, während die beiden andern römischen Heere in Campanien sich anschickten mit dem nächsten Frühjahr zum Angriff auf Capua überzugehen.
Hannibals klaren Blick hatten die Siege nicht geblendet. Es ward immer deutlicher, daſs er so nicht zum Ziele kam. Jene raschen Märsche, jenes fast abenteuerliche Hin- und Herwerfen des Krieges, denen Hannibal im Wesentlichen seine Erfolge verdankte, waren zu Ende, der Feind gewitzigt, wei- tere Unternehmungen durch die unumgängliche Vertheidigung des Gewonnenen selbst fast unmöglich gemacht. An die Of- fensive lieſs sich nicht denken, die Defensive war schwierig und drohte jährlich es mehr zu werden; er konnte es sich nicht verleugnen, daſs die zweite Hälfte seines groſsen Tag- werks, die Unterwerfung der Latiner und die Eroberung Roms, nicht mit seinen und der italischen Bundesgenossen Kräften allein beendigt werden konnte. Die Vollendung stand bei dem Rath von Karthago, bei dem Hauptquartier in Cartagena, bei den Höfen von Pella und Syrakus. Wenn in Africa, Spanien, Sicilien, Makedonien jetzt alle Kräfte gemeinschaftlich angestrengt wurden gegen den gemeinschaftlichen Feind; wenn Unteritalien der groſse Sammelplatz ward für die Heere und Flotten von Westen, Süden und Osten, so konnte er hoffen glücklich zu Ende zu führen, was die Vorhut unter seiner Leitung so glänzend begonnen hatte. Das Natürlichste und Leichteste wäre gewesen ihm von daheim solche Unterstützung zuzusenden, wie der karthagische Staat, der vom Kriege fast unberührt geblieben und von einer auf eigene Rechnung und Gefahr handelnden kleinen Zahl entschlossener Patrioten aus tiefem Verfall dem vollen Sieg so nahe geführt war, sie auf- zubieten vermochte. Daſs es möglich gewesen wäre eine
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HANNIBALISCHER KRIEG.
Heer unter dem Praetor Marcus Valerius hatte bei Luceria
sich aufgestellt, theils um in Gemeinschaft mit der römischen
Flotte die Ostküste und die Bewegungen der Makedonier zu
beobachten, theils um in Verbindung mit der Armee von Nola
die aufständischen Samniten, Lucaner und Hirpiner zu brand-
schatzen. Um diesen Luft zu machen wandte Hannibal zu-
nächst sich gegen seinen thätigsten Gegner Marcus Marcellus;
allein derselbe erfocht unter den Mauern von Nola einen nicht
unbedeutenden Sieg über die punische Armee. Nach dem Fehl-
schlagen dieser Diversion machte das punische Heer, um den
Fortschritten des feindlichen Heeres in Apulien unmittelbar
zu steuern, sich von Campanien nach Arpi auf den Weg; ihm
folgte Tiberius Gracchus mit seinem Corps, während die beiden
andern römischen Heere in Campanien sich anschickten mit
dem nächsten Frühjahr zum Angriff auf Capua überzugehen.
Hannibals klaren Blick hatten die Siege nicht geblendet.
Es ward immer deutlicher, daſs er so nicht zum Ziele kam.
Jene raschen Märsche, jenes fast abenteuerliche Hin- und
Herwerfen des Krieges, denen Hannibal im Wesentlichen seine
Erfolge verdankte, waren zu Ende, der Feind gewitzigt, wei-
tere Unternehmungen durch die unumgängliche Vertheidigung
des Gewonnenen selbst fast unmöglich gemacht. An die Of-
fensive lieſs sich nicht denken, die Defensive war schwierig
und drohte jährlich es mehr zu werden; er konnte es sich
nicht verleugnen, daſs die zweite Hälfte seines groſsen Tag-
werks, die Unterwerfung der Latiner und die Eroberung Roms,
nicht mit seinen und der italischen Bundesgenossen Kräften
allein beendigt werden konnte. Die Vollendung stand bei
dem Rath von Karthago, bei dem Hauptquartier in Cartagena,
bei den Höfen von Pella und Syrakus. Wenn in Africa,
Spanien, Sicilien, Makedonien jetzt alle Kräfte gemeinschaftlich
angestrengt wurden gegen den gemeinschaftlichen Feind; wenn
Unteritalien der groſse Sammelplatz ward für die Heere und
Flotten von Westen, Süden und Osten, so konnte er hoffen
glücklich zu Ende zu führen, was die Vorhut unter seiner
Leitung so glänzend begonnen hatte. Das Natürlichste und
Leichteste wäre gewesen ihm von daheim solche Unterstützung
zuzusenden, wie der karthagische Staat, der vom Kriege fast
unberührt geblieben und von einer auf eigene Rechnung und
Gefahr handelnden kleinen Zahl entschlossener Patrioten aus
tiefem Verfall dem vollen Sieg so nahe geführt war, sie auf-
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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/449>, abgerufen am 24.11.2024.
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