Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.ROMS HEGEMONIE IN LATIUM. Sagenzeit der Satz des römischen Staatsrechts, dass nur werdie Grenzen des Gebiets erweitert habe, die Stadtmauer (das Pomerium) vorschieben dürfe. So weit die Macht der Römer reichte, duldeten sie in dieser Zeit keinen politischen Mittel- punkt ausser der eigenen Hauptstadt. Am merkwürdigsten in dieser Hinsicht ist die Behandlung von Ostia, wo man die factische Entstehung einer Stadt zwar nicht hindern konnte noch wollte, aber dem Gemeinwesen jede politische Selbst- ständigkeit entzog und den dort Angesiedelten kein eigenes Bürgerrecht gab, sondern nur das römische ihnen liess, wenn sie es hatten. In ganz ähnlicher Weise wurden die eroberten Städte zu Dörfern gemacht und den nicht weggeführten Be- wohnern so gut wie den nach Rom übergesiedelten das römi- sche Schutzrecht aufgezwungen, einzelne auch wohl mit dem Bürgerrecht, das heisst dem Patriciat beschenkt. Da die Tiber- mündung wahrscheinlich durch die friedliche Entwicklung des latinischen Verkehrs für Rom gewonnen ward -- Ficana zwi- schen Rom und Ostia ist wohl nie eine selbstständige Ge- meinde gewesen -- so sind die zuerst durch die römischen Waffen errungenen Gebiete vermuthlich die an der obern Tiber und zwischen der Tiber und dem Anio gelegenen Ge- meinden Antemnae, Crustumerium, Ficulnea, Medullia, Caenina, Corniculum, Cameria, Collatia gewesen, die unmittelbar auf Rom drückten und in frühester Zeit, wahrscheinlich schon vor Albas Zerstörung, ihre Selbsständigkeit einbüssten. In dieser Gegend erscheint später als selbstständige Gemeinde nur No- mentum, das vielleicht durch Bündniss mit Rom seine Frei- heit rettete; um den Besitz von Fidenae, den Brückenkopf der Etrusker am linken Ufer der Tiber, kämpften Latiner und Etrusker, das heisst Römer und Veienter mit wechselndem Erfolg. Gegen Gabii, das die Ebene zwischen dem Anio und den Albanerbergen inne hatte, stand der Kampf lange Zeit im Gleichgewicht; die Burg, die unter dem Palatin zum Schutz der Vorstadt gegen die Ueberfälle der nur 12000 Schritt ent- fernt wohnenden Gabiner erbaut ward, ist schon erwähnt worden und bis in späte Zeit hinab galt das gabinische Ge- wand als gleichbedeutend mit dem Kriegskleid und der gabi- nische Boden als Prototyp des feindlichen Landes. So stand Rom, dessen Gebiet hiedurch auf etwa 9 Quadratmeilen gebracht war, als Stadt den Dorfschaften, als Einheit den Bünden, als seegewaltig den Landgemeinden gegenüber und mochte dem unausbleiblichen Zusammenstoss mit dem mächtigsten der la- ROMS HEGEMONIE IN LATIUM. Sagenzeit der Satz des römischen Staatsrechts, daſs nur werdie Grenzen des Gebiets erweitert habe, die Stadtmauer (das Pomerium) vorschieben dürfe. So weit die Macht der Römer reichte, duldeten sie in dieser Zeit keinen politischen Mittel- punkt auſser der eigenen Hauptstadt. Am merkwürdigsten in dieser Hinsicht ist die Behandlung von Ostia, wo man die factische Entstehung einer Stadt zwar nicht hindern konnte noch wollte, aber dem Gemeinwesen jede politische Selbst- ständigkeit entzog und den dort Angesiedelten kein eigenes Bürgerrecht gab, sondern nur das römische ihnen lieſs, wenn sie es hatten. In ganz ähnlicher Weise wurden die eroberten Städte zu Dörfern gemacht und den nicht weggeführten Be- wohnern so gut wie den nach Rom übergesiedelten das römi- sche Schutzrecht aufgezwungen, einzelne auch wohl mit dem Bürgerrecht, das heiſst dem Patriciat beschenkt. Da die Tiber- mündung wahrscheinlich durch die friedliche Entwicklung des latinischen Verkehrs für Rom gewonnen ward — Ficana zwi- schen Rom und Ostia ist wohl nie eine selbstständige Ge- meinde gewesen — so sind die zuerst durch die römischen Waffen errungenen Gebiete vermuthlich die an der obern Tiber und zwischen der Tiber und dem Anio gelegenen Ge- meinden Antemnae, Crustumerium, Ficulnea, Medullia, Caenina, Corniculum, Cameria, Collatia gewesen, die unmittelbar auf Rom drückten und in frühester Zeit, wahrscheinlich schon vor Albas Zerstörung, ihre Selbsständigkeit einbüſsten. In dieser Gegend erscheint später als selbstständige Gemeinde nur No- mentum, das vielleicht durch Bündniſs mit Rom seine Frei- heit rettete; um den Besitz von Fidenae, den Brückenkopf der Etrusker am linken Ufer der Tiber, kämpften Latiner und Etrusker, das heiſst Römer und Veienter mit wechselndem Erfolg. Gegen Gabii, das die Ebene zwischen dem Anio und den Albanerbergen inne hatte, stand der Kampf lange Zeit im Gleichgewicht; die Burg, die unter dem Palatin zum Schutz der Vorstadt gegen die Ueberfälle der nur 12000 Schritt ent- fernt wohnenden Gabiner erbaut ward, ist schon erwähnt worden und bis in späte Zeit hinab galt das gabinische Ge- wand als gleichbedeutend mit dem Kriegskleid und der gabi- nische Boden als Prototyp des feindlichen Landes. So stand Rom, dessen Gebiet hiedurch auf etwa 9 Quadratmeilen gebracht war, als Stadt den Dorfschaften, als Einheit den Bünden, als seegewaltig den Landgemeinden gegenüber und mochte dem unausbleiblichen Zusammenstoſs mit dem mächtigsten der la- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0053" n="39"/><fw place="top" type="header">ROMS HEGEMONIE IN LATIUM.</fw><lb/> Sagenzeit der Satz des römischen Staatsrechts, daſs nur wer<lb/> die Grenzen des Gebiets erweitert habe, die Stadtmauer (das<lb/> Pomerium) vorschieben dürfe. So weit die Macht der Römer<lb/> reichte, duldeten sie in dieser Zeit keinen politischen Mittel-<lb/> punkt auſser der eigenen Hauptstadt. Am merkwürdigsten in<lb/> dieser Hinsicht ist die Behandlung von Ostia, wo man die<lb/> factische Entstehung einer Stadt zwar nicht hindern konnte<lb/> noch wollte, aber dem Gemeinwesen jede politische Selbst-<lb/> ständigkeit entzog und den dort Angesiedelten kein eigenes<lb/> Bürgerrecht gab, sondern nur das römische ihnen lieſs, wenn<lb/> sie es hatten. In ganz ähnlicher Weise wurden die eroberten<lb/> Städte zu Dörfern gemacht und den nicht weggeführten Be-<lb/> wohnern so gut wie den nach Rom übergesiedelten das römi-<lb/> sche Schutzrecht aufgezwungen, einzelne auch wohl mit dem<lb/> Bürgerrecht, das heiſst dem Patriciat beschenkt. Da die Tiber-<lb/> mündung wahrscheinlich durch die friedliche Entwicklung des<lb/> latinischen Verkehrs für Rom gewonnen ward — Ficana zwi-<lb/> schen Rom und Ostia ist wohl nie eine selbstständige Ge-<lb/> meinde gewesen — so sind die zuerst durch die römischen<lb/> Waffen errungenen Gebiete vermuthlich die an der obern<lb/> Tiber und zwischen der Tiber und dem Anio gelegenen Ge-<lb/> meinden Antemnae, Crustumerium, Ficulnea, Medullia, Caenina,<lb/> Corniculum, Cameria, Collatia gewesen, die unmittelbar auf<lb/> Rom drückten und in frühester Zeit, wahrscheinlich schon vor<lb/> Albas Zerstörung, ihre Selbsständigkeit einbüſsten. In dieser<lb/> Gegend erscheint später als selbstständige Gemeinde nur No-<lb/> mentum, das vielleicht durch Bündniſs mit Rom seine Frei-<lb/> heit rettete; um den Besitz von Fidenae, den Brückenkopf der<lb/> Etrusker am linken Ufer der Tiber, kämpften Latiner und<lb/> Etrusker, das heiſst Römer und Veienter mit wechselndem<lb/> Erfolg. Gegen Gabii, das die Ebene zwischen dem Anio und<lb/> den Albanerbergen inne hatte, stand der Kampf lange Zeit im<lb/> Gleichgewicht; die Burg, die unter dem Palatin zum Schutz<lb/> der Vorstadt gegen die Ueberfälle der nur 12000 Schritt ent-<lb/> fernt wohnenden Gabiner erbaut ward, ist schon erwähnt<lb/> worden und bis in späte Zeit hinab galt das gabinische Ge-<lb/> wand als gleichbedeutend mit dem Kriegskleid und der gabi-<lb/> nische Boden als Prototyp des feindlichen Landes. So stand<lb/> Rom, dessen Gebiet hiedurch auf etwa 9 Quadratmeilen gebracht<lb/> war, als Stadt den Dorfschaften, als Einheit den Bünden, als<lb/> seegewaltig den Landgemeinden gegenüber und mochte dem<lb/> unausbleiblichen Zusammenstoſs mit dem mächtigsten der la-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [39/0053]
ROMS HEGEMONIE IN LATIUM.
Sagenzeit der Satz des römischen Staatsrechts, daſs nur wer
die Grenzen des Gebiets erweitert habe, die Stadtmauer (das
Pomerium) vorschieben dürfe. So weit die Macht der Römer
reichte, duldeten sie in dieser Zeit keinen politischen Mittel-
punkt auſser der eigenen Hauptstadt. Am merkwürdigsten in
dieser Hinsicht ist die Behandlung von Ostia, wo man die
factische Entstehung einer Stadt zwar nicht hindern konnte
noch wollte, aber dem Gemeinwesen jede politische Selbst-
ständigkeit entzog und den dort Angesiedelten kein eigenes
Bürgerrecht gab, sondern nur das römische ihnen lieſs, wenn
sie es hatten. In ganz ähnlicher Weise wurden die eroberten
Städte zu Dörfern gemacht und den nicht weggeführten Be-
wohnern so gut wie den nach Rom übergesiedelten das römi-
sche Schutzrecht aufgezwungen, einzelne auch wohl mit dem
Bürgerrecht, das heiſst dem Patriciat beschenkt. Da die Tiber-
mündung wahrscheinlich durch die friedliche Entwicklung des
latinischen Verkehrs für Rom gewonnen ward — Ficana zwi-
schen Rom und Ostia ist wohl nie eine selbstständige Ge-
meinde gewesen — so sind die zuerst durch die römischen
Waffen errungenen Gebiete vermuthlich die an der obern
Tiber und zwischen der Tiber und dem Anio gelegenen Ge-
meinden Antemnae, Crustumerium, Ficulnea, Medullia, Caenina,
Corniculum, Cameria, Collatia gewesen, die unmittelbar auf
Rom drückten und in frühester Zeit, wahrscheinlich schon vor
Albas Zerstörung, ihre Selbsständigkeit einbüſsten. In dieser
Gegend erscheint später als selbstständige Gemeinde nur No-
mentum, das vielleicht durch Bündniſs mit Rom seine Frei-
heit rettete; um den Besitz von Fidenae, den Brückenkopf der
Etrusker am linken Ufer der Tiber, kämpften Latiner und
Etrusker, das heiſst Römer und Veienter mit wechselndem
Erfolg. Gegen Gabii, das die Ebene zwischen dem Anio und
den Albanerbergen inne hatte, stand der Kampf lange Zeit im
Gleichgewicht; die Burg, die unter dem Palatin zum Schutz
der Vorstadt gegen die Ueberfälle der nur 12000 Schritt ent-
fernt wohnenden Gabiner erbaut ward, ist schon erwähnt
worden und bis in späte Zeit hinab galt das gabinische Ge-
wand als gleichbedeutend mit dem Kriegskleid und der gabi-
nische Boden als Prototyp des feindlichen Landes. So stand
Rom, dessen Gebiet hiedurch auf etwa 9 Quadratmeilen gebracht
war, als Stadt den Dorfschaften, als Einheit den Bünden, als
seegewaltig den Landgemeinden gegenüber und mochte dem
unausbleiblichen Zusammenstoſs mit dem mächtigsten der la-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |