Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.DRITTES BUCH. KAPITEL X. gleich seinem Vater in Bündniss mit Rom, allein die Botenvon Issa, einer griechischen Stadt auf einer der dalmatini- schen Inseln, berichteten dem Senat, dass König Perseus mit dem jungen schwachen trunkfälligen Menschen in heimlichem Einverständniss stehe und Genthios Gesandte in Rom dem Perseus als Spione dienten. -- In den östlichen Landschaften zwischen der unteren Donau und der makedonischen Grenze stand der mächtigste unter den thrakischen Häuptlingen, der Fürst der ehemals in diesem ganzen Gebiet herrschenden, jetzt vornämlich an der obern Maritza ansässigen Odrysen, der kluge und tapfere Kotys mit Perseus im engsten Bündniss; von den andern kleineren Häuptlingen, die es hier mit Rom hielten, ward einer, der Fürst der Sagaeer Abrupo- lis, in Folge eines gegen Amphipolis am Strymon gerichte- ten Raubzugs von Perseus geschlagen und aus dem Lande getrieben. Von hieher hatte Philipp zahlreiche Kolonisten gezogen und standen Söldner zu jeder Zeit in beliebiger Zahl zu Gebot. -- Unter der unglücklichen hellenischen Nation ward von Philippos und Perseus lange vor der Kriegserklärung gegen Rom ein zwiefacher Propagandakrieg lebhaft geführt, indem man theils die nationale, theils -- man gestatte den Ausdruck -- die communistische Partei auf die Seite Make- doniens zu bringen versuchte. Dass die ganze nationale Partei unter den asiatischen wie unter den europäischen Griechen jetzt im Herzen makedonisch gesinnt war, versteht sich von selbst; nicht wegen einzelner Ungerechtigkeiten der römischen Befreier, sondern weil die Herstellung der hellenischen Natio- nalität durch eine fremde den Widerspruch in sich selbst trug, und jetzt, wo es freilich zu spät war, jeder es begriff, dass die abscheulichste makedonische Regierung minder ver- nichtend für Griechenland war als die aus den edelsten Ab- sichten ehrenhafter Ausländer hervorgegangene freie Verfas- sung. Dass die tüchtigsten und rechtschaffensten Leute in ganz Griechenland diese Partei ergriffen, war in der Ordnung; römisch gesinnt war nur die feile Aristokratie und hie und da ein einzelner ehrlicher Mann, der ausnahmsweise sich über den Zustand und die Zukunft der Nation nicht täuschte. Am schmerzlichsten empfand dies Eumenes von Pergamon, der der Träger jener fremdländischen Freiheit unter den Griechen war. Vergeblich behandelte er die ihm unterwor- fenen Städte mit Rücksichten aller Art; vergeblich buhlte er um die Gunst der Gemeinden und der Tagsatzungen mit wohl- DRITTES BUCH. KAPITEL X. gleich seinem Vater in Bündniſs mit Rom, allein die Botenvon Issa, einer griechischen Stadt auf einer der dalmatini- schen Inseln, berichteten dem Senat, daſs König Perseus mit dem jungen schwachen trunkfälligen Menschen in heimlichem Einverständniſs stehe und Genthios Gesandte in Rom dem Perseus als Spione dienten. — In den östlichen Landschaften zwischen der unteren Donau und der makedonischen Grenze stand der mächtigste unter den thrakischen Häuptlingen, der Fürst der ehemals in diesem ganzen Gebiet herrschenden, jetzt vornämlich an der obern Maritza ansässigen Odrysen, der kluge und tapfere Kotys mit Perseus im engsten Bündniſs; von den andern kleineren Häuptlingen, die es hier mit Rom hielten, ward einer, der Fürst der Sagaeer Abrupo- lis, in Folge eines gegen Amphipolis am Strymon gerichte- ten Raubzugs von Perseus geschlagen und aus dem Lande getrieben. Von hieher hatte Philipp zahlreiche Kolonisten gezogen und standen Söldner zu jeder Zeit in beliebiger Zahl zu Gebot. — Unter der unglücklichen hellenischen Nation ward von Philippos und Perseus lange vor der Kriegserklärung gegen Rom ein zwiefacher Propagandakrieg lebhaft geführt, indem man theils die nationale, theils — man gestatte den Ausdruck — die communistische Partei auf die Seite Make- doniens zu bringen versuchte. Daſs die ganze nationale Partei unter den asiatischen wie unter den europäischen Griechen jetzt im Herzen makedonisch gesinnt war, versteht sich von selbst; nicht wegen einzelner Ungerechtigkeiten der römischen Befreier, sondern weil die Herstellung der hellenischen Natio- nalität durch eine fremde den Widerspruch in sich selbst trug, und jetzt, wo es freilich zu spät war, jeder es begriff, daſs die abscheulichste makedonische Regierung minder ver- nichtend für Griechenland war als die aus den edelsten Ab- sichten ehrenhafter Ausländer hervorgegangene freie Verfas- sung. Daſs die tüchtigsten und rechtschaffensten Leute in ganz Griechenland diese Partei ergriffen, war in der Ordnung; römisch gesinnt war nur die feile Aristokratie und hie und da ein einzelner ehrlicher Mann, der ausnahmsweise sich über den Zustand und die Zukunft der Nation nicht täuschte. Am schmerzlichsten empfand dies Eumenes von Pergamon, der der Träger jener fremdländischen Freiheit unter den Griechen war. Vergeblich behandelte er die ihm unterwor- fenen Städte mit Rücksichten aller Art; vergeblich buhlte er um die Gunst der Gemeinden und der Tagsatzungen mit wohl- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0592" n="578"/><fw place="top" type="header">DRITTES BUCH. 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DRITTES BUCH. KAPITEL X.
gleich seinem Vater in Bündniſs mit Rom, allein die Boten
von Issa, einer griechischen Stadt auf einer der dalmatini-
schen Inseln, berichteten dem Senat, daſs König Perseus mit
dem jungen schwachen trunkfälligen Menschen in heimlichem
Einverständniſs stehe und Genthios Gesandte in Rom dem
Perseus als Spione dienten. — In den östlichen Landschaften
zwischen der unteren Donau und der makedonischen Grenze
stand der mächtigste unter den thrakischen Häuptlingen, der
Fürst der ehemals in diesem ganzen Gebiet herrschenden,
jetzt vornämlich an der obern Maritza ansässigen Odrysen,
der kluge und tapfere Kotys mit Perseus im engsten
Bündniſs; von den andern kleineren Häuptlingen, die es hier
mit Rom hielten, ward einer, der Fürst der Sagaeer Abrupo-
lis, in Folge eines gegen Amphipolis am Strymon gerichte-
ten Raubzugs von Perseus geschlagen und aus dem Lande
getrieben. Von hieher hatte Philipp zahlreiche Kolonisten
gezogen und standen Söldner zu jeder Zeit in beliebiger Zahl
zu Gebot. — Unter der unglücklichen hellenischen Nation
ward von Philippos und Perseus lange vor der Kriegserklärung
gegen Rom ein zwiefacher Propagandakrieg lebhaft geführt,
indem man theils die nationale, theils — man gestatte den
Ausdruck — die communistische Partei auf die Seite Make-
doniens zu bringen versuchte. Daſs die ganze nationale Partei
unter den asiatischen wie unter den europäischen Griechen
jetzt im Herzen makedonisch gesinnt war, versteht sich von
selbst; nicht wegen einzelner Ungerechtigkeiten der römischen
Befreier, sondern weil die Herstellung der hellenischen Natio-
nalität durch eine fremde den Widerspruch in sich selbst
trug, und jetzt, wo es freilich zu spät war, jeder es begriff,
daſs die abscheulichste makedonische Regierung minder ver-
nichtend für Griechenland war als die aus den edelsten Ab-
sichten ehrenhafter Ausländer hervorgegangene freie Verfas-
sung. Daſs die tüchtigsten und rechtschaffensten Leute in
ganz Griechenland diese Partei ergriffen, war in der Ordnung;
römisch gesinnt war nur die feile Aristokratie und hie und
da ein einzelner ehrlicher Mann, der ausnahmsweise sich über
den Zustand und die Zukunft der Nation nicht täuschte.
Am schmerzlichsten empfand dies Eumenes von Pergamon,
der der Träger jener fremdländischen Freiheit unter den
Griechen war. Vergeblich behandelte er die ihm unterwor-
fenen Städte mit Rücksichten aller Art; vergeblich buhlte er
um die Gunst der Gemeinden und der Tagsatzungen mit wohl-
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