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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DRITTES BUCH. KAPITEL X.
ten Aufgabe durchaus nicht gewachsen. Er war ehrgeizig und
unternehmend, aber ein schlechter Offizier. Sein Wagstück
durch den Pass Lapathus westlich von Tempe den Uebergang
über den Olympos in der Art zu versuchen, dass er gegen
die Besatzung des Passes eine Abtheilung zurückliess und mit
der Hauptmacht durch unwegsame Abhänge nach Herakleion
zu den Weg sich bahnte, wird dadurch nicht entschuldigt,
dass es gelang. Nicht bloss konnte eine Handvoll entschlosse-
ner Leute ihm den Weg verlegen, wo dann an keinen Rück-
zug zu denken war, sondern noch nach dem Uebergang, wie
er stand mit der makedonischen Hauptmacht vor sich, hinter
sich die stark befestigten Bergfestungen Tempe und Lapathus,
eingekeilt in eine schmale Strandebene und ohne Zufuhr wie
ohne die Möglichkeit zu fouragiren, war seine Lage nicht
minder verzweifelt, als da er in seinem ersten Consulat in den
ligurischen Engpässen, die seitdem seinen Namen behielten,
sich gleichfalls hatte umzingeln lassen und militärisch verloren
war. Allein wie damals ihn ein Zufall rettete, so jetzt Per-
seus Unfähigkeit. Als ob er den Gedanken nicht fassen könne
gegen die Römer anders als durch Sperrung der Pässe sich
zu vertheidigen, gab er sich seltsamer Weise verloren, so wie er
die Römer diesseit derselben erblickte, flüchtete eiligst nach
Pydna und befahl seine Schiffe zu verbrennen und seine
Schätze zu versenken. Obwohl somit die makedonische Ar-
mee sich freiwillig zurückzog, war dennoch der Mangel im
Lager des Consuls so gross, dass er im Vorrücken wesentlich
gehindert ward. Hätte nicht zur rechten Zeit das unüber-
windliche Tempe capitulirt und seine reichen Vorräthe dem
Feinde überliefert, so wäre er in die schlimmste Lage gera-
then; denn der König kam zur Besinnung und eilte, schleunigst
Gegenbefehle ertheilend, in die verlassene Position wieder ein-
zurücken. Da Quintus Marcius, der schon vier Tagemärsche
vorwärts gegangen war, wegen Mangels an Lebensmitteln wieder
hatte umkehren müssen, fand der König dieselbe unbesetzt und
verbarricadirte sich an dem Ufer des kleinen Flusses Enipeus. So
in den äussersten Winkel Thessaliens eingeklemmt verblieb
das römische Heer den Rest des Sommers und den Winter in
seiner Stellung. Hier verdankte man also den Erfolg, den
ersten wesentlichen in diesem Kriege, nicht dem römischen
Feldherrn, sondern dem feindlichen. Die römische Flotte ver-
suchte vergebens Demetrias zu nehmen und richtete über-
haupt gar nichts aus. Perseus leichte Schiffe streiften kühn

DRITTES BUCH. KAPITEL X.
ten Aufgabe durchaus nicht gewachsen. Er war ehrgeizig und
unternehmend, aber ein schlechter Offizier. Sein Wagstück
durch den Paſs Lapathus westlich von Tempe den Uebergang
über den Olympos in der Art zu versuchen, daſs er gegen
die Besatzung des Passes eine Abtheilung zurücklieſs und mit
der Hauptmacht durch unwegsame Abhänge nach Herakleion
zu den Weg sich bahnte, wird dadurch nicht entschuldigt,
daſs es gelang. Nicht bloſs konnte eine Handvoll entschlosse-
ner Leute ihm den Weg verlegen, wo dann an keinen Rück-
zug zu denken war, sondern noch nach dem Uebergang, wie
er stand mit der makedonischen Hauptmacht vor sich, hinter
sich die stark befestigten Bergfestungen Tempe und Lapathus,
eingekeilt in eine schmale Strandebene und ohne Zufuhr wie
ohne die Möglichkeit zu fouragiren, war seine Lage nicht
minder verzweifelt, als da er in seinem ersten Consulat in den
ligurischen Engpässen, die seitdem seinen Namen behielten,
sich gleichfalls hatte umzingeln lassen und militärisch verloren
war. Allein wie damals ihn ein Zufall rettete, so jetzt Per-
seus Unfähigkeit. Als ob er den Gedanken nicht fassen könne
gegen die Römer anders als durch Sperrung der Pässe sich
zu vertheidigen, gab er sich seltsamer Weise verloren, so wie er
die Römer diesseit derselben erblickte, flüchtete eiligst nach
Pydna und befahl seine Schiffe zu verbrennen und seine
Schätze zu versenken. Obwohl somit die makedonische Ar-
mee sich freiwillig zurückzog, war dennoch der Mangel im
Lager des Consuls so groſs, daſs er im Vorrücken wesentlich
gehindert ward. Hätte nicht zur rechten Zeit das unüber-
windliche Tempe capitulirt und seine reichen Vorräthe dem
Feinde überliefert, so wäre er in die schlimmste Lage gera-
then; denn der König kam zur Besinnung und eilte, schleunigst
Gegenbefehle ertheilend, in die verlassene Position wieder ein-
zurücken. Da Quintus Marcius, der schon vier Tagemärsche
vorwärts gegangen war, wegen Mangels an Lebensmitteln wieder
hatte umkehren müssen, fand der König dieselbe unbesetzt und
verbarricadirte sich an dem Ufer des kleinen Flusses Enipeus. So
in den äuſsersten Winkel Thessaliens eingeklemmt verblieb
das römische Heer den Rest des Sommers und den Winter in
seiner Stellung. Hier verdankte man also den Erfolg, den
ersten wesentlichen in diesem Kriege, nicht dem römischen
Feldherrn, sondern dem feindlichen. Die römische Flotte ver-
suchte vergebens Demetrias zu nehmen und richtete über-
haupt gar nichts aus. Perseus leichte Schiffe streiften kühn

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[586/0600] DRITTES BUCH. KAPITEL X. ten Aufgabe durchaus nicht gewachsen. Er war ehrgeizig und unternehmend, aber ein schlechter Offizier. Sein Wagstück durch den Paſs Lapathus westlich von Tempe den Uebergang über den Olympos in der Art zu versuchen, daſs er gegen die Besatzung des Passes eine Abtheilung zurücklieſs und mit der Hauptmacht durch unwegsame Abhänge nach Herakleion zu den Weg sich bahnte, wird dadurch nicht entschuldigt, daſs es gelang. Nicht bloſs konnte eine Handvoll entschlosse- ner Leute ihm den Weg verlegen, wo dann an keinen Rück- zug zu denken war, sondern noch nach dem Uebergang, wie er stand mit der makedonischen Hauptmacht vor sich, hinter sich die stark befestigten Bergfestungen Tempe und Lapathus, eingekeilt in eine schmale Strandebene und ohne Zufuhr wie ohne die Möglichkeit zu fouragiren, war seine Lage nicht minder verzweifelt, als da er in seinem ersten Consulat in den ligurischen Engpässen, die seitdem seinen Namen behielten, sich gleichfalls hatte umzingeln lassen und militärisch verloren war. Allein wie damals ihn ein Zufall rettete, so jetzt Per- seus Unfähigkeit. Als ob er den Gedanken nicht fassen könne gegen die Römer anders als durch Sperrung der Pässe sich zu vertheidigen, gab er sich seltsamer Weise verloren, so wie er die Römer diesseit derselben erblickte, flüchtete eiligst nach Pydna und befahl seine Schiffe zu verbrennen und seine Schätze zu versenken. Obwohl somit die makedonische Ar- mee sich freiwillig zurückzog, war dennoch der Mangel im Lager des Consuls so groſs, daſs er im Vorrücken wesentlich gehindert ward. Hätte nicht zur rechten Zeit das unüber- windliche Tempe capitulirt und seine reichen Vorräthe dem Feinde überliefert, so wäre er in die schlimmste Lage gera- then; denn der König kam zur Besinnung und eilte, schleunigst Gegenbefehle ertheilend, in die verlassene Position wieder ein- zurücken. Da Quintus Marcius, der schon vier Tagemärsche vorwärts gegangen war, wegen Mangels an Lebensmitteln wieder hatte umkehren müssen, fand der König dieselbe unbesetzt und verbarricadirte sich an dem Ufer des kleinen Flusses Enipeus. So in den äuſsersten Winkel Thessaliens eingeklemmt verblieb das römische Heer den Rest des Sommers und den Winter in seiner Stellung. Hier verdankte man also den Erfolg, den ersten wesentlichen in diesem Kriege, nicht dem römischen Feldherrn, sondern dem feindlichen. Die römische Flotte ver- suchte vergebens Demetrias zu nehmen und richtete über- haupt gar nichts aus. Perseus leichte Schiffe streiften kühn

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 586. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/600>, abgerufen am 22.11.2024.