Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.DRITTES BUCH. KAPITEL X. lente verkauft und das Werk langer Jahre an eine solcheErbärmlichkeit gesetzt haben sollte, ist denn doch nicht bloss gelogen, sondern sehr albern gelogen. Dass kein Beweis weder in Perseus Papieren noch sonst sich vorfand, ist sicher genug; denn selbst die Römer wagten nicht jene Verdächti- gungen laut auszusprechen. Aber sie hatten ihren Zweck. Was man wollte, zeigt das Benehmen der römischen Grossen gegen Attalos, Eumenes Bruder, der die pergamenischen Hülfstruppen in Griechenland befehligt hatte. Mit offenen Armen ward der wackre und treue Kamerad in Rom empfan- gen und aufgefordert nicht für seinen Bruder, sondern für sich zu bitten -- gern werde der Senat ihm ein eigenes Reich gewähren. Allein die pergamenische Regentenfamilie lebte unter sich nicht wie es in den fürstlichen Häusern her- gebracht war; Attalos erbat nichts als Aenos und Maroneia und erhielt sie, da der Senat meinte, dass dies nur eine vorläufige Bitte sei, mit grosser Artigkeit zugestanden. Als er aber abreiste ohne mehr erbeten zu haben, wurden die Städte frei erklärt. Nicht einen Fussbreit Landes erhielten die Per- gamener von der makedonischen Beute; hatte man nach An- tiochos Besiegung Philippos gegenüber noch die Formen ge- schont, so wollte man jetzt verletzen und demüthigen. Um diese Zeit scheint Pamphylien, über dessen Besitz Eumenes und Antiochos bisher gestritten, von Rom unabhängig erklärt zu sein. Bald nachher erbat Eumenes die römische Vermittlung bei den Galatern, die sein Reich überschwemmten und ihn in grosse Gefahr brachten. Der römische Gesandte gestand sie zu, meinte aber, dass Attalos, der das pergamenische Heer ge- gen sie befehligte, besser nicht mitgehe um nicht die Wilden zu verstimmen, und merkwürdiger Weise richtete er gar nichts aus, ja er erzählte bei der Rückkehr, dass seine Vermittlung die Wilden erst recht erbittert habe. Endlich reiste Eumenes selbst nach Rom. Der Senat, wie vom bösen Gewissen geplagt, beschloss plötzlich, dass Könige künftig nicht mehr nach Rom sollten kommen dürfen, und schickte ihm nach Brundisium einen Quaestor entgegen ihm diesen Senatsbeschluss vorzu- legen, ihn zu fragen was er wolle und ihm anzudeuten, dass man seine schleunige Abreise gern sehen werde. Der König schwieg; er begehre, sagte er endlich, weiter nichts und schiffte sich wieder ein. Er sah, wie es stand: die Epoche der halbmächtigen und halbfreien Bundesgenossenschaft war zu Ende; es begann die der ohnmächtigen Unterthänigkeit. DRITTES BUCH. KAPITEL X. lente verkauft und das Werk langer Jahre an eine solcheErbärmlichkeit gesetzt haben sollte, ist denn doch nicht bloſs gelogen, sondern sehr albern gelogen. Daſs kein Beweis weder in Perseus Papieren noch sonst sich vorfand, ist sicher genug; denn selbst die Römer wagten nicht jene Verdächti- gungen laut auszusprechen. Aber sie hatten ihren Zweck. Was man wollte, zeigt das Benehmen der römischen Groſsen gegen Attalos, Eumenes Bruder, der die pergamenischen Hülfstruppen in Griechenland befehligt hatte. Mit offenen Armen ward der wackre und treue Kamerad in Rom empfan- gen und aufgefordert nicht für seinen Bruder, sondern für sich zu bitten — gern werde der Senat ihm ein eigenes Reich gewähren. Allein die pergamenische Regentenfamilie lebte unter sich nicht wie es in den fürstlichen Häusern her- gebracht war; Attalos erbat nichts als Aenos und Maroneia und erhielt sie, da der Senat meinte, daſs dies nur eine vorläufige Bitte sei, mit groſser Artigkeit zugestanden. Als er aber abreiste ohne mehr erbeten zu haben, wurden die Städte frei erklärt. Nicht einen Fuſsbreit Landes erhielten die Per- gamener von der makedonischen Beute; hatte man nach An- tiochos Besiegung Philippos gegenüber noch die Formen ge- schont, so wollte man jetzt verletzen und demüthigen. Um diese Zeit scheint Pamphylien, über dessen Besitz Eumenes und Antiochos bisher gestritten, von Rom unabhängig erklärt zu sein. Bald nachher erbat Eumenes die römische Vermittlung bei den Galatern, die sein Reich überschwemmten und ihn in groſse Gefahr brachten. Der römische Gesandte gestand sie zu, meinte aber, daſs Attalos, der das pergamenische Heer ge- gen sie befehligte, besser nicht mitgehe um nicht die Wilden zu verstimmen, und merkwürdiger Weise richtete er gar nichts aus, ja er erzählte bei der Rückkehr, daſs seine Vermittlung die Wilden erst recht erbittert habe. Endlich reiste Eumenes selbst nach Rom. Der Senat, wie vom bösen Gewissen geplagt, beschloſs plötzlich, daſs Könige künftig nicht mehr nach Rom sollten kommen dürfen, und schickte ihm nach Brundisium einen Quaestor entgegen ihm diesen Senatsbeschluſs vorzu- legen, ihn zu fragen was er wolle und ihm anzudeuten, daſs man seine schleunige Abreise gern sehen werde. Der König schwieg; er begehre, sagte er endlich, weiter nichts und schiffte sich wieder ein. Er sah, wie es stand: die Epoche der halbmächtigen und halbfreien Bundesgenossenschaft war zu Ende; es begann die der ohnmächtigen Unterthänigkeit. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0606" n="592"/><fw place="top" type="header">DRITTES BUCH. KAPITEL X.</fw><lb/> lente verkauft und das Werk langer Jahre an eine solche<lb/> Erbärmlichkeit gesetzt haben sollte, ist denn doch nicht bloſs<lb/> gelogen, sondern sehr albern gelogen. Daſs kein Beweis<lb/> weder in Perseus Papieren noch sonst sich vorfand, ist sicher<lb/> genug; denn selbst die Römer wagten nicht jene Verdächti-<lb/> gungen laut auszusprechen. Aber sie hatten ihren Zweck.<lb/> Was man wollte, zeigt das Benehmen der römischen Groſsen<lb/> gegen Attalos, Eumenes Bruder, der die pergamenischen<lb/> Hülfstruppen in Griechenland befehligt hatte. Mit offenen<lb/> Armen ward der wackre und treue Kamerad in Rom empfan-<lb/> gen und aufgefordert nicht für seinen Bruder, sondern für<lb/> sich zu bitten — gern werde der Senat ihm ein eigenes<lb/> Reich gewähren. Allein die pergamenische Regentenfamilie<lb/> lebte unter sich nicht wie es in den fürstlichen Häusern her-<lb/> gebracht war; Attalos erbat nichts als Aenos und Maroneia<lb/> und erhielt sie, da der Senat meinte, daſs dies nur eine<lb/> vorläufige Bitte sei, mit groſser Artigkeit zugestanden. Als er<lb/> aber abreiste ohne mehr erbeten zu haben, wurden die Städte<lb/> frei erklärt. 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DRITTES BUCH. KAPITEL X.
lente verkauft und das Werk langer Jahre an eine solche
Erbärmlichkeit gesetzt haben sollte, ist denn doch nicht bloſs
gelogen, sondern sehr albern gelogen. Daſs kein Beweis
weder in Perseus Papieren noch sonst sich vorfand, ist sicher
genug; denn selbst die Römer wagten nicht jene Verdächti-
gungen laut auszusprechen. Aber sie hatten ihren Zweck.
Was man wollte, zeigt das Benehmen der römischen Groſsen
gegen Attalos, Eumenes Bruder, der die pergamenischen
Hülfstruppen in Griechenland befehligt hatte. Mit offenen
Armen ward der wackre und treue Kamerad in Rom empfan-
gen und aufgefordert nicht für seinen Bruder, sondern für
sich zu bitten — gern werde der Senat ihm ein eigenes
Reich gewähren. Allein die pergamenische Regentenfamilie
lebte unter sich nicht wie es in den fürstlichen Häusern her-
gebracht war; Attalos erbat nichts als Aenos und Maroneia
und erhielt sie, da der Senat meinte, daſs dies nur eine
vorläufige Bitte sei, mit groſser Artigkeit zugestanden. Als er
aber abreiste ohne mehr erbeten zu haben, wurden die Städte
frei erklärt. Nicht einen Fuſsbreit Landes erhielten die Per-
gamener von der makedonischen Beute; hatte man nach An-
tiochos Besiegung Philippos gegenüber noch die Formen ge-
schont, so wollte man jetzt verletzen und demüthigen. Um
diese Zeit scheint Pamphylien, über dessen Besitz Eumenes und
Antiochos bisher gestritten, von Rom unabhängig erklärt zu sein.
Bald nachher erbat Eumenes die römische Vermittlung bei
den Galatern, die sein Reich überschwemmten und ihn in
groſse Gefahr brachten. Der römische Gesandte gestand sie
zu, meinte aber, daſs Attalos, der das pergamenische Heer ge-
gen sie befehligte, besser nicht mitgehe um nicht die Wilden
zu verstimmen, und merkwürdiger Weise richtete er gar nichts
aus, ja er erzählte bei der Rückkehr, daſs seine Vermittlung
die Wilden erst recht erbittert habe. Endlich reiste Eumenes
selbst nach Rom. Der Senat, wie vom bösen Gewissen geplagt,
beschloſs plötzlich, daſs Könige künftig nicht mehr nach Rom
sollten kommen dürfen, und schickte ihm nach Brundisium
einen Quaestor entgegen ihm diesen Senatsbeschluſs vorzu-
legen, ihn zu fragen was er wolle und ihm anzudeuten, daſs
man seine schleunige Abreise gern sehen werde. Der König
schwieg; er begehre, sagte er endlich, weiter nichts und
schiffte sich wieder ein. Er sah, wie es stand: die Epoche
der halbmächtigen und halbfreien Bundesgenossenschaft war
zu Ende; es begann die der ohnmächtigen Unterthänigkeit.
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