Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

DRITTES BUCH. KAPITEL XI.
zwischen 1500 und 375 As geschätzten Freigebornen wenigstens
im Nothfall in das Heer eingestellt. In Folge dieser Bestimmun-
gen behielt auch noch die reformirte Verfassung einen sehr
entschieden aristokratischen Charakter. Die Reform der Cen-
turienordnung selbst war mehr administrativer als politischer
Art und hätte der Bürgerversammlung kaum eine wesentlich
veränderte Richtung gegeben, selbst wenn diese Versammlung
im Staat damals noch gewesen wäre, was sie früher war.
Allein dies Rad in der Staatsmaschine ward allmählich so ge-
lähmt, dass die Veränderungen in seinem Bau keineswegs
mehr die Bedeutung haben wie in den Zeiten des Kampfes
der Patricier und der Plebejer.

Der römischen Bürgerversammlung, die vortrefflich orga-
nisirt war um die Gemeindeinteressen zu berathen, waren die
Verhältnisse vollständig über den Kopf gewachsen. In den
höchsten und schwierigsten Fragen, die die herrschende Welt-
macht zu lösen überkam, einem wohlgesinnten, aber zufällig
zusammengetriebenen Haufen italischer Bauern das entschei-
dende Wort zu gestatten; über Feldherrnernennungen und
Staatsverträge ihn, der weder die Gründe noch die Folgen
seiner Beschlüsse begriff, in letzter Instanz aburtheilen zu
lassen war ebenso sinnlos wie lächerlich. Dazu kam die arge
Unbehülflichkeit der Maschine, die schon in der vorigen Pe-
riode auffallend hervorgetreten und theils durch die steigende
Zahl der Bürger, theils durch die Reform selbst noch wesent-
lich vermehrt worden war; denn indem man seit der Reform
die Neubürger in die alten Bezirke einschrieb, ward allmählich
jeder Bezirk zusammengesetzt aus durchaus verschiedenen über
das ganze römische Gebiet zerstreuten Ortschaften und verlor
jeden inneren Zusammenhang. Eine bestimmte Leitung und
eine Vorberathung in den Bezirken ward immer schwieriger;
was um so übler war, als in den Comitien selbst nicht de-
battirt ward. Das Ergebniss davon war wie billig die alberne
und unmündige Rolle, die die Comitien ohne Ausnahme in
der Geschichte dieser Zeit spielen; in der Regel standen die
Leute da und sagten ja zu allen Dingen, und wenn sie aus-
nahmsweise nein sagten, wie zum Beispiel im zweiten make-
donischen Krieg, konnte man sicher sein dass die Kirchthurms-
der Staatspolitik eine kümmerliche und kümmerlich endende
Opposition machte. Nie ist in der beschränktesten Monarchie
dem Monarchen so völlig die Leitung der öffentlichen Angele-
genheiten entzogen worden wie es dem souverainen römischen

DRITTES BUCH. KAPITEL XI.
zwischen 1500 und 375 As geschätzten Freigebornen wenigstens
im Nothfall in das Heer eingestellt. In Folge dieser Bestimmun-
gen behielt auch noch die reformirte Verfassung einen sehr
entschieden aristokratischen Charakter. Die Reform der Cen-
turienordnung selbst war mehr administrativer als politischer
Art und hätte der Bürgerversammlung kaum eine wesentlich
veränderte Richtung gegeben, selbst wenn diese Versammlung
im Staat damals noch gewesen wäre, was sie früher war.
Allein dies Rad in der Staatsmaschine ward allmählich so ge-
lähmt, daſs die Veränderungen in seinem Bau keineswegs
mehr die Bedeutung haben wie in den Zeiten des Kampfes
der Patricier und der Plebejer.

Der römischen Bürgerversammlung, die vortrefflich orga-
nisirt war um die Gemeindeinteressen zu berathen, waren die
Verhältnisse vollständig über den Kopf gewachsen. In den
höchsten und schwierigsten Fragen, die die herrschende Welt-
macht zu lösen überkam, einem wohlgesinnten, aber zufällig
zusammengetriebenen Haufen italischer Bauern das entschei-
dende Wort zu gestatten; über Feldherrnernennungen und
Staatsverträge ihn, der weder die Gründe noch die Folgen
seiner Beschlüsse begriff, in letzter Instanz aburtheilen zu
lassen war ebenso sinnlos wie lächerlich. Dazu kam die arge
Unbehülflichkeit der Maschine, die schon in der vorigen Pe-
riode auffallend hervorgetreten und theils durch die steigende
Zahl der Bürger, theils durch die Reform selbst noch wesent-
lich vermehrt worden war; denn indem man seit der Reform
die Neubürger in die alten Bezirke einschrieb, ward allmählich
jeder Bezirk zusammengesetzt aus durchaus verschiedenen über
das ganze römische Gebiet zerstreuten Ortschaften und verlor
jeden inneren Zusammenhang. Eine bestimmte Leitung und
eine Vorberathung in den Bezirken ward immer schwieriger;
was um so übler war, als in den Comitien selbst nicht de-
battirt ward. Das Ergebniſs davon war wie billig die alberne
und unmündige Rolle, die die Comitien ohne Ausnahme in
der Geschichte dieser Zeit spielen; in der Regel standen die
Leute da und sagten ja zu allen Dingen, und wenn sie aus-
nahmsweise nein sagten, wie zum Beispiel im zweiten make-
donischen Krieg, konnte man sicher sein daſs die Kirchthurms-
der Staatspolitik eine kümmerliche und kümmerlich endende
Opposition machte. Nie ist in der beschränktesten Monarchie
dem Monarchen so völlig die Leitung der öffentlichen Angele-
genheiten entzogen worden wie es dem souverainen römischen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0618" n="604"/><fw place="top" type="header">DRITTES BUCH. KAPITEL XI.</fw><lb/>
zwischen 1500 und 375 As geschätzten Freigebornen wenigstens<lb/>
im Nothfall in das Heer eingestellt. In Folge dieser Bestimmun-<lb/>
gen behielt auch noch die reformirte Verfassung einen sehr<lb/>
entschieden aristokratischen Charakter. Die Reform der Cen-<lb/>
turienordnung selbst war mehr administrativer als politischer<lb/>
Art und hätte der Bürgerversammlung kaum eine wesentlich<lb/>
veränderte Richtung gegeben, selbst wenn diese Versammlung<lb/>
im Staat damals noch gewesen wäre, was sie früher war.<lb/>
Allein dies Rad in der Staatsmaschine ward allmählich so ge-<lb/>
lähmt, da&#x017F;s die Veränderungen in seinem Bau keineswegs<lb/>
mehr die Bedeutung haben wie in den Zeiten des Kampfes<lb/>
der Patricier und der Plebejer.</p><lb/>
          <p>Der römischen Bürgerversammlung, die vortrefflich orga-<lb/>
nisirt war um die Gemeindeinteressen zu berathen, waren die<lb/>
Verhältnisse vollständig über den Kopf gewachsen. In den<lb/>
höchsten und schwierigsten Fragen, die die herrschende Welt-<lb/>
macht zu lösen überkam, einem wohlgesinnten, aber zufällig<lb/>
zusammengetriebenen Haufen italischer Bauern das entschei-<lb/>
dende Wort zu gestatten; über Feldherrnernennungen und<lb/>
Staatsverträge ihn, der weder die Gründe noch die Folgen<lb/>
seiner Beschlüsse begriff, in letzter Instanz aburtheilen zu<lb/>
lassen war ebenso sinnlos wie lächerlich. Dazu kam die arge<lb/>
Unbehülflichkeit der Maschine, die schon in der vorigen Pe-<lb/>
riode auffallend hervorgetreten und theils durch die steigende<lb/>
Zahl der Bürger, theils durch die Reform selbst noch wesent-<lb/>
lich vermehrt worden war; denn indem man seit der Reform<lb/>
die Neubürger in die alten Bezirke einschrieb, ward allmählich<lb/>
jeder Bezirk zusammengesetzt aus durchaus verschiedenen über<lb/>
das ganze römische Gebiet zerstreuten Ortschaften und verlor<lb/>
jeden inneren Zusammenhang. Eine bestimmte Leitung und<lb/>
eine Vorberathung in den Bezirken ward immer schwieriger;<lb/>
was um so übler war, als in den Comitien selbst nicht de-<lb/>
battirt ward. Das Ergebni&#x017F;s davon war wie billig die alberne<lb/>
und unmündige Rolle, die die Comitien ohne Ausnahme in<lb/>
der Geschichte dieser Zeit spielen; in der Regel standen die<lb/>
Leute da und sagten ja zu allen Dingen, und wenn sie aus-<lb/>
nahmsweise nein sagten, wie zum Beispiel im zweiten make-<lb/>
donischen Krieg, konnte man sicher sein da&#x017F;s die Kirchthurms-<lb/>
der Staatspolitik eine kümmerliche und kümmerlich endende<lb/>
Opposition machte. Nie ist in der beschränktesten Monarchie<lb/>
dem Monarchen so völlig die Leitung der öffentlichen Angele-<lb/>
genheiten entzogen worden wie es dem souverainen römischen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[604/0618] DRITTES BUCH. KAPITEL XI. zwischen 1500 und 375 As geschätzten Freigebornen wenigstens im Nothfall in das Heer eingestellt. In Folge dieser Bestimmun- gen behielt auch noch die reformirte Verfassung einen sehr entschieden aristokratischen Charakter. Die Reform der Cen- turienordnung selbst war mehr administrativer als politischer Art und hätte der Bürgerversammlung kaum eine wesentlich veränderte Richtung gegeben, selbst wenn diese Versammlung im Staat damals noch gewesen wäre, was sie früher war. Allein dies Rad in der Staatsmaschine ward allmählich so ge- lähmt, daſs die Veränderungen in seinem Bau keineswegs mehr die Bedeutung haben wie in den Zeiten des Kampfes der Patricier und der Plebejer. Der römischen Bürgerversammlung, die vortrefflich orga- nisirt war um die Gemeindeinteressen zu berathen, waren die Verhältnisse vollständig über den Kopf gewachsen. In den höchsten und schwierigsten Fragen, die die herrschende Welt- macht zu lösen überkam, einem wohlgesinnten, aber zufällig zusammengetriebenen Haufen italischer Bauern das entschei- dende Wort zu gestatten; über Feldherrnernennungen und Staatsverträge ihn, der weder die Gründe noch die Folgen seiner Beschlüsse begriff, in letzter Instanz aburtheilen zu lassen war ebenso sinnlos wie lächerlich. Dazu kam die arge Unbehülflichkeit der Maschine, die schon in der vorigen Pe- riode auffallend hervorgetreten und theils durch die steigende Zahl der Bürger, theils durch die Reform selbst noch wesent- lich vermehrt worden war; denn indem man seit der Reform die Neubürger in die alten Bezirke einschrieb, ward allmählich jeder Bezirk zusammengesetzt aus durchaus verschiedenen über das ganze römische Gebiet zerstreuten Ortschaften und verlor jeden inneren Zusammenhang. Eine bestimmte Leitung und eine Vorberathung in den Bezirken ward immer schwieriger; was um so übler war, als in den Comitien selbst nicht de- battirt ward. Das Ergebniſs davon war wie billig die alberne und unmündige Rolle, die die Comitien ohne Ausnahme in der Geschichte dieser Zeit spielen; in der Regel standen die Leute da und sagten ja zu allen Dingen, und wenn sie aus- nahmsweise nein sagten, wie zum Beispiel im zweiten make- donischen Krieg, konnte man sicher sein daſs die Kirchthurms- der Staatspolitik eine kümmerliche und kümmerlich endende Opposition machte. Nie ist in der beschränktesten Monarchie dem Monarchen so völlig die Leitung der öffentlichen Angele- genheiten entzogen worden wie es dem souverainen römischen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/618
Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 604. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/618>, abgerufen am 22.11.2024.