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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE.
Volke geschah; der Senat beherrschte die Comitien vollständig,
und um so mehr, als die vornehmen Familien sich eben in
dieser Periode fester zusammenschlossen und wieder anfingen
einen eigenen Stand zu bilden, der im Senat seine Vertretung
fand -- charakteristisch genug eben in einer Epoche, welche
formell die Grundsätze der Gleichberechtigung in der Bürger-
schaft zur Anerkennung brachte. Zwar lag eine gewisse Erb-
lichkeit in dem Wesen des senatorischen Instituts; es war ja
von Haus aus gewissermassen eine Repräsentation der Ge-
schlechter. Allein jetzt stellte sich nicht bloss fest, dass alle
Mitglieder der regierenden Familien, so wie sie zu ihren Jah-
ren gekommen waren, ihren Weg fanden in den Senat, son-
dern, was schlimmer war, es ward den Männern, denen bloss
ihr Verdienst einen Anspruch gab auf einen Sitz in der Curie,
zwar der Eintritt in dieselbe nicht versperrt, aber zur Beklei-
dung der beiden höchsten Würden, des Consulats und der
Censur, wurden sie nicht leicht gelassen. Es fing an als eine
Art Usurpation betrachtet zu werden, wenn ein ,neuer Mann'
sich bewarb um diese Aemter und nur selten und ungern,
wie zum Beispiel zu Gunsten Catos und Glabrios, gestattete
man Ausnahmen. Schon schämte der Senator sich bei den
Spielen neben dem Plebejer zu sitzen; die Trennung der
Sitzplätze, die der grosse Scipio 560 als Censor verfügt haben
soll, war die offizielle Ankündigung der Scheidung zwischen
Regierenden und Regierten. Um die regierenden Familien,
in deren Händen zugleich ungeheure Reichthümer sich be-
fanden, schloss sich dann der unvermeidliche Anhang von
Günstlingen und Bettlern; es ward nöthig die Geschenke be-
sonders desshalb gesetzlich zu beschränken, weil die Senatoren
anfingen unter diesen Namen sich von ihren Clienten regel-
mässig Tribut entrichten zu lassen. Diese neue Sonderstellung
erweckte eine neue Opposition. Es ward der Grund gelegt zu
einer neuen Parteibildung, welche die so eben beseitigte Be-
vorrechtigung des Patriciats unter veränderten Namen wieder
aufnahm und der Kampf drohte nur um so schwieriger und
erbitterter zu werden, als die Zurücksetzung mehr eine that-
sächliche als eine rechtliche war. Für jetzt freilich herrschte
noch der Senat im Wesentlichen unumschränkt; und er ver-
diente es zu herrschen. Er hatte, nachdem er Lehrgeld ge-
geben während des ersten punischen Krieges, allmählich einen
Geist in sich entwickelt, der der consequenten Führung des
ihm zugefallenen Weltregiments gewachsen war; nicht so ab-

VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE.
Volke geschah; der Senat beherrschte die Comitien vollständig,
und um so mehr, als die vornehmen Familien sich eben in
dieser Periode fester zusammenschlossen und wieder anfingen
einen eigenen Stand zu bilden, der im Senat seine Vertretung
fand — charakteristisch genug eben in einer Epoche, welche
formell die Grundsätze der Gleichberechtigung in der Bürger-
schaft zur Anerkennung brachte. Zwar lag eine gewisse Erb-
lichkeit in dem Wesen des senatorischen Instituts; es war ja
von Haus aus gewissermaſsen eine Repräsentation der Ge-
schlechter. Allein jetzt stellte sich nicht bloſs fest, daſs alle
Mitglieder der regierenden Familien, so wie sie zu ihren Jah-
ren gekommen waren, ihren Weg fanden in den Senat, son-
dern, was schlimmer war, es ward den Männern, denen bloſs
ihr Verdienst einen Anspruch gab auf einen Sitz in der Curie,
zwar der Eintritt in dieselbe nicht versperrt, aber zur Beklei-
dung der beiden höchsten Würden, des Consulats und der
Censur, wurden sie nicht leicht gelassen. Es fing an als eine
Art Usurpation betrachtet zu werden, wenn ein ‚neuer Mann‘
sich bewarb um diese Aemter und nur selten und ungern,
wie zum Beispiel zu Gunsten Catos und Glabrios, gestattete
man Ausnahmen. Schon schämte der Senator sich bei den
Spielen neben dem Plebejer zu sitzen; die Trennung der
Sitzplätze, die der groſse Scipio 560 als Censor verfügt haben
soll, war die offizielle Ankündigung der Scheidung zwischen
Regierenden und Regierten. Um die regierenden Familien,
in deren Händen zugleich ungeheure Reichthümer sich be-
fanden, schloſs sich dann der unvermeidliche Anhang von
Günstlingen und Bettlern; es ward nöthig die Geschenke be-
sonders deſshalb gesetzlich zu beschränken, weil die Senatoren
anfingen unter diesen Namen sich von ihren Clienten regel-
mäſsig Tribut entrichten zu lassen. Diese neue Sonderstellung
erweckte eine neue Opposition. Es ward der Grund gelegt zu
einer neuen Parteibildung, welche die so eben beseitigte Be-
vorrechtigung des Patriciats unter veränderten Namen wieder
aufnahm und der Kampf drohte nur um so schwieriger und
erbitterter zu werden, als die Zurücksetzung mehr eine that-
sächliche als eine rechtliche war. Für jetzt freilich herrschte
noch der Senat im Wesentlichen unumschränkt; und er ver-
diente es zu herrschen. Er hatte, nachdem er Lehrgeld ge-
geben während des ersten punischen Krieges, allmählich einen
Geist in sich entwickelt, der der consequenten Führung des
ihm zugefallenen Weltregiments gewachsen war; nicht so ab-

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[605/0619] VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE. Volke geschah; der Senat beherrschte die Comitien vollständig, und um so mehr, als die vornehmen Familien sich eben in dieser Periode fester zusammenschlossen und wieder anfingen einen eigenen Stand zu bilden, der im Senat seine Vertretung fand — charakteristisch genug eben in einer Epoche, welche formell die Grundsätze der Gleichberechtigung in der Bürger- schaft zur Anerkennung brachte. Zwar lag eine gewisse Erb- lichkeit in dem Wesen des senatorischen Instituts; es war ja von Haus aus gewissermaſsen eine Repräsentation der Ge- schlechter. Allein jetzt stellte sich nicht bloſs fest, daſs alle Mitglieder der regierenden Familien, so wie sie zu ihren Jah- ren gekommen waren, ihren Weg fanden in den Senat, son- dern, was schlimmer war, es ward den Männern, denen bloſs ihr Verdienst einen Anspruch gab auf einen Sitz in der Curie, zwar der Eintritt in dieselbe nicht versperrt, aber zur Beklei- dung der beiden höchsten Würden, des Consulats und der Censur, wurden sie nicht leicht gelassen. Es fing an als eine Art Usurpation betrachtet zu werden, wenn ein ‚neuer Mann‘ sich bewarb um diese Aemter und nur selten und ungern, wie zum Beispiel zu Gunsten Catos und Glabrios, gestattete man Ausnahmen. Schon schämte der Senator sich bei den Spielen neben dem Plebejer zu sitzen; die Trennung der Sitzplätze, die der groſse Scipio 560 als Censor verfügt haben soll, war die offizielle Ankündigung der Scheidung zwischen Regierenden und Regierten. Um die regierenden Familien, in deren Händen zugleich ungeheure Reichthümer sich be- fanden, schloſs sich dann der unvermeidliche Anhang von Günstlingen und Bettlern; es ward nöthig die Geschenke be- sonders deſshalb gesetzlich zu beschränken, weil die Senatoren anfingen unter diesen Namen sich von ihren Clienten regel- mäſsig Tribut entrichten zu lassen. Diese neue Sonderstellung erweckte eine neue Opposition. Es ward der Grund gelegt zu einer neuen Parteibildung, welche die so eben beseitigte Be- vorrechtigung des Patriciats unter veränderten Namen wieder aufnahm und der Kampf drohte nur um so schwieriger und erbitterter zu werden, als die Zurücksetzung mehr eine that- sächliche als eine rechtliche war. Für jetzt freilich herrschte noch der Senat im Wesentlichen unumschränkt; und er ver- diente es zu herrschen. Er hatte, nachdem er Lehrgeld ge- geben während des ersten punischen Krieges, allmählich einen Geist in sich entwickelt, der der consequenten Führung des ihm zugefallenen Weltregiments gewachsen war; nicht so ab-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 605. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/619>, abgerufen am 22.11.2024.