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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DRITTES BUCH. KAPITEL XI.
den, dass seit der vollendeten Unterwerfung Italiens das rö-
mische Bürgerrecht überhaupt an keine italische Gemeinde
mehr gegeben worden ist mit Ausnahme der neuen See- und
seit 570 der neuen Landcolonien. Aber auch in den Bundes-
verträgen macht seit derselben Zeit dieselbe Richtung sich
geltend die Bundesgenossen dem römischen Verbande fern-
zuhalten und namentlich die Gewinnung des römischen Bür-
gerrechts ihnen zu erschweren. Von den vier und dreissig
Colonien latinischen Rechts, die Rom in Italien und im cis-
alpinischen Gallien gegründet hat, waren die zwölf jüngsten,
das heisst das 486 gegründete Ariminum und die seitdem
angelegten, wesentlich schlechteren Rechtes als die älteren
(S. 282). Während diesen, dem ,grössern Latium', die volle
Freizügigkeit verbrieft worden war und jeder aus einer sol-
chen Stadt in Rom einwandernde Bürger dort als Passivbür-
ger (municeps) lebte und alle Rechte und Pflichten des römi-
schen Bürgers theilte mit Ausnahme der passiven Wahlfähigkeit
und des Stimmrechts, ja vielleicht auch dieses in ähnlicher
Weise übte wie die nichtansässigen Vollbürger *, wurden da-
gegen die Bürger der zwölf jüngsten Colonien, des ,kleinern
Latium' beschränkt auf privatrechtliche Gleichstellung mit den
Römern im Handel und Wandel **. Nur den gewesenen Ge-
meindebeamten gestattete man die Gewinnung des römischen
Bürgerrechts und sorgte also in geschickter Weise dafür, dass
die Capacitäten Rom nicht entfremdet wurden. Was also

* Dies latinische Stimmrecht bestand wenigstens eine Zeitlang darin,
dass bei jeder einzelnen Abstimmung das Loos den Stimmbezirk feststellte,
in welchem sämmtliche Latiner zu stimmen hatten.
** Cicero meldet (pro Caec. 35), dass Sulla den Volaterranern das
Recht von Ariminum gegeben habe, das heisst, setzt der Redner hinzu, das
Recht der zwölf Colonien, die nicht römisches Bürgerrecht besassen, aber
das Commercium mit den Römern. Ueber wenige Dinge ist so viel ver-
handelt worden wie über die Beziehung dieses Zwölfstädterechts; und doch
ist die Lösung sehr einfach: es sind die zwölf jüngsten latinischen Colo-
nien -- Ariminum, Beneventum, Firmum, Aesernia, Brundisium, Spoletium,
Cremona, Placentia, Copia, Valentia, Bononia, Aquileia -- gemeint, an deren
Spitze ja eben Ariminum steht. Damit ist zugleich bewiesen, was an sich
schon wahrscheinlich war, dass alle nach Aquileias Gründung in Italien
ausgeführten Colonien zu den Bürgercolonien gehören. -- Ob Zwischen-
heirathen zwischen Römern und Latinern als gültig angesehen wurden, d. h.
das Kind dem Stande des Vaters folgte, ist nicht ausgemacht. Wahrschein-
lich stand den Bürgern des grösseren Latium das Conubium zu (Diodoros
590, 62. fr. Vat. 130 Dind.); dass es denen des kleineren fehlte, unterliegt
keinem gegründeten Zweifel.

DRITTES BUCH. KAPITEL XI.
den, daſs seit der vollendeten Unterwerfung Italiens das rö-
mische Bürgerrecht überhaupt an keine italische Gemeinde
mehr gegeben worden ist mit Ausnahme der neuen See- und
seit 570 der neuen Landcolonien. Aber auch in den Bundes-
verträgen macht seit derselben Zeit dieselbe Richtung sich
geltend die Bundesgenossen dem römischen Verbande fern-
zuhalten und namentlich die Gewinnung des römischen Bür-
gerrechts ihnen zu erschweren. Von den vier und dreiſsig
Colonien latinischen Rechts, die Rom in Italien und im cis-
alpinischen Gallien gegründet hat, waren die zwölf jüngsten,
das heiſst das 486 gegründete Ariminum und die seitdem
angelegten, wesentlich schlechteren Rechtes als die älteren
(S. 282). Während diesen, dem ‚gröſsern Latium‘, die volle
Freizügigkeit verbrieft worden war und jeder aus einer sol-
chen Stadt in Rom einwandernde Bürger dort als Passivbür-
ger (municeps) lebte und alle Rechte und Pflichten des römi-
schen Bürgers theilte mit Ausnahme der passiven Wahlfähigkeit
und des Stimmrechts, ja vielleicht auch dieses in ähnlicher
Weise übte wie die nichtansässigen Vollbürger *, wurden da-
gegen die Bürger der zwölf jüngsten Colonien, des ‚kleinern
Latium‘ beschränkt auf privatrechtliche Gleichstellung mit den
Römern im Handel und Wandel **. Nur den gewesenen Ge-
meindebeamten gestattete man die Gewinnung des römischen
Bürgerrechts und sorgte also in geschickter Weise dafür, daſs
die Capacitäten Rom nicht entfremdet wurden. Was also

* Dies latinische Stimmrecht bestand wenigstens eine Zeitlang darin,
daſs bei jeder einzelnen Abstimmung das Loos den Stimmbezirk feststellte,
in welchem sämmtliche Latiner zu stimmen hatten.
** Cicero meldet (pro Caec. 35), daſs Sulla den Volaterranern das
Recht von Ariminum gegeben habe, das heiſst, setzt der Redner hinzu, das
Recht der zwölf Colonien, die nicht römisches Bürgerrecht besaſsen, aber
das Commercium mit den Römern. Ueber wenige Dinge ist so viel ver-
handelt worden wie über die Beziehung dieses Zwölfstädterechts; und doch
ist die Lösung sehr einfach: es sind die zwölf jüngsten latinischen Colo-
nien — Ariminum, Beneventum, Firmum, Aesernia, Brundisium, Spoletium,
Cremona, Placentia, Copia, Valentia, Bononia, Aquileia — gemeint, an deren
Spitze ja eben Ariminum steht. Damit ist zugleich bewiesen, was an sich
schon wahrscheinlich war, daſs alle nach Aquileias Gründung in Italien
ausgeführten Colonien zu den Bürgercolonien gehören. — Ob Zwischen-
heirathen zwischen Römern und Latinern als gültig angesehen wurden, d. h.
das Kind dem Stande des Vaters folgte, ist nicht ausgemacht. Wahrschein-
lich stand den Bürgern des gröſseren Latium das Conubium zu (Diodoros
590, 62. fr. Vat. 130 Dind.); daſs es denen des kleineren fehlte, unterliegt
keinem gegründeten Zweifel.
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[610/0624] DRITTES BUCH. KAPITEL XI. den, daſs seit der vollendeten Unterwerfung Italiens das rö- mische Bürgerrecht überhaupt an keine italische Gemeinde mehr gegeben worden ist mit Ausnahme der neuen See- und seit 570 der neuen Landcolonien. Aber auch in den Bundes- verträgen macht seit derselben Zeit dieselbe Richtung sich geltend die Bundesgenossen dem römischen Verbande fern- zuhalten und namentlich die Gewinnung des römischen Bür- gerrechts ihnen zu erschweren. Von den vier und dreiſsig Colonien latinischen Rechts, die Rom in Italien und im cis- alpinischen Gallien gegründet hat, waren die zwölf jüngsten, das heiſst das 486 gegründete Ariminum und die seitdem angelegten, wesentlich schlechteren Rechtes als die älteren (S. 282). Während diesen, dem ‚gröſsern Latium‘, die volle Freizügigkeit verbrieft worden war und jeder aus einer sol- chen Stadt in Rom einwandernde Bürger dort als Passivbür- ger (municeps) lebte und alle Rechte und Pflichten des römi- schen Bürgers theilte mit Ausnahme der passiven Wahlfähigkeit und des Stimmrechts, ja vielleicht auch dieses in ähnlicher Weise übte wie die nichtansässigen Vollbürger *, wurden da- gegen die Bürger der zwölf jüngsten Colonien, des ‚kleinern Latium‘ beschränkt auf privatrechtliche Gleichstellung mit den Römern im Handel und Wandel **. Nur den gewesenen Ge- meindebeamten gestattete man die Gewinnung des römischen Bürgerrechts und sorgte also in geschickter Weise dafür, daſs die Capacitäten Rom nicht entfremdet wurden. Was also * Dies latinische Stimmrecht bestand wenigstens eine Zeitlang darin, daſs bei jeder einzelnen Abstimmung das Loos den Stimmbezirk feststellte, in welchem sämmtliche Latiner zu stimmen hatten. ** Cicero meldet (pro Caec. 35), daſs Sulla den Volaterranern das Recht von Ariminum gegeben habe, das heiſst, setzt der Redner hinzu, das Recht der zwölf Colonien, die nicht römisches Bürgerrecht besaſsen, aber das Commercium mit den Römern. Ueber wenige Dinge ist so viel ver- handelt worden wie über die Beziehung dieses Zwölfstädterechts; und doch ist die Lösung sehr einfach: es sind die zwölf jüngsten latinischen Colo- nien — Ariminum, Beneventum, Firmum, Aesernia, Brundisium, Spoletium, Cremona, Placentia, Copia, Valentia, Bononia, Aquileia — gemeint, an deren Spitze ja eben Ariminum steht. Damit ist zugleich bewiesen, was an sich schon wahrscheinlich war, daſs alle nach Aquileias Gründung in Italien ausgeführten Colonien zu den Bürgercolonien gehören. — Ob Zwischen- heirathen zwischen Römern und Latinern als gültig angesehen wurden, d. h. das Kind dem Stande des Vaters folgte, ist nicht ausgemacht. Wahrschein- lich stand den Bürgern des gröſseren Latium das Conubium zu (Diodoros 590, 62. fr. Vat. 130 Dind.); daſs es denen des kleineren fehlte, unterliegt keinem gegründeten Zweifel.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 610. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/624>, abgerufen am 22.11.2024.