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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DRITTES BUCH. KAPITEL XI.
als aufgewogen durch die auch ökonomisch bedenkliche Lage
des Landes. Es soll hier nicht die Rede sein von der Lage
der Provinzen; dass diese sich schlechter befanden unter römi-
scher Herrschaft als unter karthagischer, ist nicht glaublich
und politisch betrachtet kam auch nicht eben viel darauf an,
ob die Siculer und Spanier es etwas mehr oder minder leidlich
hatten. Aber Italien selbst war nicht mehr was es früher
gewesen war. Der Reichthum stieg; aber die Volkszahl und
die Volkskraft fingen an zu sinken. Cato und Polybios be-
zeugen es ausdrücklich, dass am Ende des sechsten Jahrhun-
derts Italien weit schwächer als am Ende des fünften bevöl-
kert und nicht mehr im Stande war solche Heere auszusenden
wie im ersten punischen Krieg; die Zuziehung der bis dahin
befreiten Classen zum Kriegsdienst, die Klagen der Bundes-
gemeinden über die Schwierigkeit ihren Zuzug vollzählig zu
machen bestätigen diese Angaben. Noch lauter reden die Zahlen
der römischen Bürgerliste. Die Bürgerschaft zählte im Jahre 502
kurz nach Regulus Zug nach Africa 298000 Köpfe; sie war
um ein Zehntel (auf 270000 Köpfe) gesunken am Anfang, um
mehr als ein Viertel (auf 214000 Köpfe) am Ende des zwei-
ten punischen Krieges und ein Menschenalter nachher, nach
einer Epoche verhältnissmässig geringer Verluste durch den
Krieg, war kaum die Ziffer wieder erreicht, auf der die Bür-
gerschaft zu Anfang dieser Periode stand, obwohl inzwischen
durch die Anlage der grossen Bürgercolonien in der nordita-
lischen Ebene ein beträchtlicher ausserordentlicher Zuwachs
eingetreten war. -- Die unmittelbare Ursache dieser Entvöl-
kerung der Halbinsel waren allerdings die beiden punischen
Kriege, deren Folgen in dieser Beziehung schon früher ange-
deutet worden sind (S. 353. 482); nicht bloss war durch sie die
Bürger- und die Bundesgenossenschaft decimirt worden, sondern
es hatte der hannibalische Krieg ausser einer Menge kleinerer
Gemeinden zwei Städte ersten Ranges, Capua und Tarent --
beides Gemeinden, die einst Heere von 30000 Mann ins Feld
gesendet hatten -- vollständig ruinirt. -- Aber verderblicher
als der verderbliche Krieg wirkte der Verfall des italischen
Ackerbaues; ihm wesentlich ist es zuzuschreiben, dass die
Lücken sich nicht wieder füllten, die der Krieg gerissen hatte.
Ausser den allgemeinen Verhältnissen, der mit der Bildung
und dem Reichthum steigenden Arbeitsscheu und dem Zudrang
zu dem Wohlleben, das der Rentier wie der Bettler in der
Hauptstadt fand, wirkten hiezu besonders zwei Ursachen: der

DRITTES BUCH. KAPITEL XI.
als aufgewogen durch die auch ökonomisch bedenkliche Lage
des Landes. Es soll hier nicht die Rede sein von der Lage
der Provinzen; daſs diese sich schlechter befanden unter römi-
scher Herrschaft als unter karthagischer, ist nicht glaublich
und politisch betrachtet kam auch nicht eben viel darauf an,
ob die Siculer und Spanier es etwas mehr oder minder leidlich
hatten. Aber Italien selbst war nicht mehr was es früher
gewesen war. Der Reichthum stieg; aber die Volkszahl und
die Volkskraft fingen an zu sinken. Cato und Polybios be-
zeugen es ausdrücklich, daſs am Ende des sechsten Jahrhun-
derts Italien weit schwächer als am Ende des fünften bevöl-
kert und nicht mehr im Stande war solche Heere auszusenden
wie im ersten punischen Krieg; die Zuziehung der bis dahin
befreiten Classen zum Kriegsdienst, die Klagen der Bundes-
gemeinden über die Schwierigkeit ihren Zuzug vollzählig zu
machen bestätigen diese Angaben. Noch lauter reden die Zahlen
der römischen Bürgerliste. Die Bürgerschaft zählte im Jahre 502
kurz nach Regulus Zug nach Africa 298000 Köpfe; sie war
um ein Zehntel (auf 270000 Köpfe) gesunken am Anfang, um
mehr als ein Viertel (auf 214000 Köpfe) am Ende des zwei-
ten punischen Krieges und ein Menschenalter nachher, nach
einer Epoche verhältniſsmäſsig geringer Verluste durch den
Krieg, war kaum die Ziffer wieder erreicht, auf der die Bür-
gerschaft zu Anfang dieser Periode stand, obwohl inzwischen
durch die Anlage der groſsen Bürgercolonien in der nordita-
lischen Ebene ein beträchtlicher auſserordentlicher Zuwachs
eingetreten war. — Die unmittelbare Ursache dieser Entvöl-
kerung der Halbinsel waren allerdings die beiden punischen
Kriege, deren Folgen in dieser Beziehung schon früher ange-
deutet worden sind (S. 353. 482); nicht bloſs war durch sie die
Bürger- und die Bundesgenossenschaft decimirt worden, sondern
es hatte der hannibalische Krieg auſser einer Menge kleinerer
Gemeinden zwei Städte ersten Ranges, Capua und Tarent —
beides Gemeinden, die einst Heere von 30000 Mann ins Feld
gesendet hatten — vollständig ruinirt. — Aber verderblicher
als der verderbliche Krieg wirkte der Verfall des italischen
Ackerbaues; ihm wesentlich ist es zuzuschreiben, daſs die
Lücken sich nicht wieder füllten, die der Krieg gerissen hatte.
Auſser den allgemeinen Verhältnissen, der mit der Bildung
und dem Reichthum steigenden Arbeitsscheu und dem Zudrang
zu dem Wohlleben, das der Rentier wie der Bettler in der
Hauptstadt fand, wirkten hiezu besonders zwei Ursachen: der

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[618/0632] DRITTES BUCH. KAPITEL XI. als aufgewogen durch die auch ökonomisch bedenkliche Lage des Landes. Es soll hier nicht die Rede sein von der Lage der Provinzen; daſs diese sich schlechter befanden unter römi- scher Herrschaft als unter karthagischer, ist nicht glaublich und politisch betrachtet kam auch nicht eben viel darauf an, ob die Siculer und Spanier es etwas mehr oder minder leidlich hatten. Aber Italien selbst war nicht mehr was es früher gewesen war. Der Reichthum stieg; aber die Volkszahl und die Volkskraft fingen an zu sinken. Cato und Polybios be- zeugen es ausdrücklich, daſs am Ende des sechsten Jahrhun- derts Italien weit schwächer als am Ende des fünften bevöl- kert und nicht mehr im Stande war solche Heere auszusenden wie im ersten punischen Krieg; die Zuziehung der bis dahin befreiten Classen zum Kriegsdienst, die Klagen der Bundes- gemeinden über die Schwierigkeit ihren Zuzug vollzählig zu machen bestätigen diese Angaben. Noch lauter reden die Zahlen der römischen Bürgerliste. Die Bürgerschaft zählte im Jahre 502 kurz nach Regulus Zug nach Africa 298000 Köpfe; sie war um ein Zehntel (auf 270000 Köpfe) gesunken am Anfang, um mehr als ein Viertel (auf 214000 Köpfe) am Ende des zwei- ten punischen Krieges und ein Menschenalter nachher, nach einer Epoche verhältniſsmäſsig geringer Verluste durch den Krieg, war kaum die Ziffer wieder erreicht, auf der die Bür- gerschaft zu Anfang dieser Periode stand, obwohl inzwischen durch die Anlage der groſsen Bürgercolonien in der nordita- lischen Ebene ein beträchtlicher auſserordentlicher Zuwachs eingetreten war. — Die unmittelbare Ursache dieser Entvöl- kerung der Halbinsel waren allerdings die beiden punischen Kriege, deren Folgen in dieser Beziehung schon früher ange- deutet worden sind (S. 353. 482); nicht bloſs war durch sie die Bürger- und die Bundesgenossenschaft decimirt worden, sondern es hatte der hannibalische Krieg auſser einer Menge kleinerer Gemeinden zwei Städte ersten Ranges, Capua und Tarent — beides Gemeinden, die einst Heere von 30000 Mann ins Feld gesendet hatten — vollständig ruinirt. — Aber verderblicher als der verderbliche Krieg wirkte der Verfall des italischen Ackerbaues; ihm wesentlich ist es zuzuschreiben, daſs die Lücken sich nicht wieder füllten, die der Krieg gerissen hatte. Auſser den allgemeinen Verhältnissen, der mit der Bildung und dem Reichthum steigenden Arbeitsscheu und dem Zudrang zu dem Wohlleben, das der Rentier wie der Bettler in der Hauptstadt fand, wirkten hiezu besonders zwei Ursachen: der

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 618. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/632>, abgerufen am 22.11.2024.