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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE.
Zudrang des überseeischen Korns auf die italischen Märkte
und die Richtung der Intelligenz unter der erwerbenden Klasse
auf Geldverkehr und Handel. Seit dem zweiten makedonischen
Krieg versorgte der Staat seine Heere statt mit italischem mit
dem Getreide der Provinzen, vor allem aus Sicilien; es ward
dies die eigentliche Bestimmung des Zehntkornes, das von
den Provinzialen theils ganz ohne Entgelt, theils, wenn man
sehr viel bedurfte, gegen eine geringe Vergütung erhoben
ward. Wie es scheint, verdang der Staat den Zehntpächtern
seine Zehnten in der Art, dass sie theils eine gewisse Quantität
Getreides, theils eine Geldsumme den römischen Behörden
abzuliefern hatten; und somit verschloss dem italischen Land-
mann sich die wichtige Absatzquelle der Kornlieferungen an
den Staat, ein Absatz, der, namentlich seit in Spanien that-
sächlich das Heer stehend geworden war, von ungemeiner
Bedeutung gewesen sein würde. Allein dies war das Ge-
ringste. Begreiflicher Weise erhielt der Staat in Friedenszeiten
sehr häufig mehr Getreide umsonst geliefert als er bedurfte;
diese Vorräthe zu Schleuderpreisen an die Stadtbürgerschaft
abzugeben lag um so näher, als schon seit alter Zeit die rö-
mische Regierung auf die Kornpreise ein wachsames Auge
hatte und bei drohenden Theurungen durch rechtzeitigen Ein-
kauf im Ausland einzuschreiten pflegte. Umsonst eiferte Cato
gegen solche kurzsichtige Politik; die beginnende Demagogie
mischte sich hinein und diese ausserordentlichen, aber ver-
muthlich sehr häufigen Kornvertheilungen wurden der Keim
der späteren Getreidegesetze. Aber ausser dem Korn, das
unentgeltlich an den Staat und zu Spottpreisen an die Con-
sumenten kam, musste auch das sonstige überseeische Korn
auf den italischen Ackerbau drücken. Nicht bloss konnten
die Zehntenpächter die Getreidemassen, die in ihre Hände
kamen, in der Regel ohne Zweifel unter dem Productionspreis
weggeben, sondern sehr wahrscheinlich war überhaupt der
letztere in den Provinzen, namentlich im Sicilien in Folge
der günstigen Bodenverhältnisse und der ausgedehnten Gross-
und Sclavenwirthschaft nach karthagischem System (S. 324)
beträchtlich niedriger als in Italien. Musste also das fremde
Korn schon im natürlichen Laufe der Dinge nach der Halb-
insel strömen, so scheint die Regierung, statt dem italischen
Landmann durch einen Schutzzoll zu Hülfe zu kommen, sogar
künstlich seine Lage verschlimmert zu haben, indem sie die
Kornausfuhr der Provinzen für das Mutterland monopolisirte;

VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE.
Zudrang des überseeischen Korns auf die italischen Märkte
und die Richtung der Intelligenz unter der erwerbenden Klasse
auf Geldverkehr und Handel. Seit dem zweiten makedonischen
Krieg versorgte der Staat seine Heere statt mit italischem mit
dem Getreide der Provinzen, vor allem aus Sicilien; es ward
dies die eigentliche Bestimmung des Zehntkornes, das von
den Provinzialen theils ganz ohne Entgelt, theils, wenn man
sehr viel bedurfte, gegen eine geringe Vergütung erhoben
ward. Wie es scheint, verdang der Staat den Zehntpächtern
seine Zehnten in der Art, daſs sie theils eine gewisse Quantität
Getreides, theils eine Geldsumme den römischen Behörden
abzuliefern hatten; und somit verschloſs dem italischen Land-
mann sich die wichtige Absatzquelle der Kornlieferungen an
den Staat, ein Absatz, der, namentlich seit in Spanien that-
sächlich das Heer stehend geworden war, von ungemeiner
Bedeutung gewesen sein würde. Allein dies war das Ge-
ringste. Begreiflicher Weise erhielt der Staat in Friedenszeiten
sehr häufig mehr Getreide umsonst geliefert als er bedurfte;
diese Vorräthe zu Schleuderpreisen an die Stadtbürgerschaft
abzugeben lag um so näher, als schon seit alter Zeit die rö-
mische Regierung auf die Kornpreise ein wachsames Auge
hatte und bei drohenden Theurungen durch rechtzeitigen Ein-
kauf im Ausland einzuschreiten pflegte. Umsonst eiferte Cato
gegen solche kurzsichtige Politik; die beginnende Demagogie
mischte sich hinein und diese auſserordentlichen, aber ver-
muthlich sehr häufigen Kornvertheilungen wurden der Keim
der späteren Getreidegesetze. Aber auſser dem Korn, das
unentgeltlich an den Staat und zu Spottpreisen an die Con-
sumenten kam, muſste auch das sonstige überseeische Korn
auf den italischen Ackerbau drücken. Nicht bloſs konnten
die Zehntenpächter die Getreidemassen, die in ihre Hände
kamen, in der Regel ohne Zweifel unter dem Productionspreis
weggeben, sondern sehr wahrscheinlich war überhaupt der
letztere in den Provinzen, namentlich im Sicilien in Folge
der günstigen Bodenverhältnisse und der ausgedehnten Groſs-
und Sclavenwirthschaft nach karthagischem System (S. 324)
beträchtlich niedriger als in Italien. Muſste also das fremde
Korn schon im natürlichen Laufe der Dinge nach der Halb-
insel strömen, so scheint die Regierung, statt dem italischen
Landmann durch einen Schutzzoll zu Hülfe zu kommen, sogar
künstlich seine Lage verschlimmert zu haben, indem sie die
Kornausfuhr der Provinzen für das Mutterland monopolisirte;

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[619/0633] VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE. Zudrang des überseeischen Korns auf die italischen Märkte und die Richtung der Intelligenz unter der erwerbenden Klasse auf Geldverkehr und Handel. Seit dem zweiten makedonischen Krieg versorgte der Staat seine Heere statt mit italischem mit dem Getreide der Provinzen, vor allem aus Sicilien; es ward dies die eigentliche Bestimmung des Zehntkornes, das von den Provinzialen theils ganz ohne Entgelt, theils, wenn man sehr viel bedurfte, gegen eine geringe Vergütung erhoben ward. Wie es scheint, verdang der Staat den Zehntpächtern seine Zehnten in der Art, daſs sie theils eine gewisse Quantität Getreides, theils eine Geldsumme den römischen Behörden abzuliefern hatten; und somit verschloſs dem italischen Land- mann sich die wichtige Absatzquelle der Kornlieferungen an den Staat, ein Absatz, der, namentlich seit in Spanien that- sächlich das Heer stehend geworden war, von ungemeiner Bedeutung gewesen sein würde. Allein dies war das Ge- ringste. Begreiflicher Weise erhielt der Staat in Friedenszeiten sehr häufig mehr Getreide umsonst geliefert als er bedurfte; diese Vorräthe zu Schleuderpreisen an die Stadtbürgerschaft abzugeben lag um so näher, als schon seit alter Zeit die rö- mische Regierung auf die Kornpreise ein wachsames Auge hatte und bei drohenden Theurungen durch rechtzeitigen Ein- kauf im Ausland einzuschreiten pflegte. Umsonst eiferte Cato gegen solche kurzsichtige Politik; die beginnende Demagogie mischte sich hinein und diese auſserordentlichen, aber ver- muthlich sehr häufigen Kornvertheilungen wurden der Keim der späteren Getreidegesetze. Aber auſser dem Korn, das unentgeltlich an den Staat und zu Spottpreisen an die Con- sumenten kam, muſste auch das sonstige überseeische Korn auf den italischen Ackerbau drücken. Nicht bloſs konnten die Zehntenpächter die Getreidemassen, die in ihre Hände kamen, in der Regel ohne Zweifel unter dem Productionspreis weggeben, sondern sehr wahrscheinlich war überhaupt der letztere in den Provinzen, namentlich im Sicilien in Folge der günstigen Bodenverhältnisse und der ausgedehnten Groſs- und Sclavenwirthschaft nach karthagischem System (S. 324) beträchtlich niedriger als in Italien. Muſste also das fremde Korn schon im natürlichen Laufe der Dinge nach der Halb- insel strömen, so scheint die Regierung, statt dem italischen Landmann durch einen Schutzzoll zu Hülfe zu kommen, sogar künstlich seine Lage verschlimmert zu haben, indem sie die Kornausfuhr der Provinzen für das Mutterland monopolisirte;

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 619. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/633>, abgerufen am 22.11.2024.