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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DRITTES BUCH. KAPITEL XI.
wenigstens finden wir, dass die Ausfuhr einer Quantität Ge-
treide aus Sicilien den Rhodiern als besondere Vergünstigung
gestattet ward. Solche Wirthschaft möchte vielleicht sich
rechtfertigen lassen in einem grossen Industriestaat, dessen
Ackerbau nicht ausreicht zur Ernährung der Bevölkerung; ein
Land wie Italien, in dem die Industrie unbedeutend, die
Landwirthschaft durchaus Hauptsache war, ward auf diesem
Wege systematisch ruinirt und den Interessen der hauptstäd-
tischen Bevölkerung, der freilich das Brot nicht billig genug
werden konnte, das Wohl des Ganzen auf die schmählichste
Weise geopfert. Nirgends vielleicht liegt so deutlich wie hier
zu Tage, wie schlecht die Verfassung und wie unfähig die
Regierung dieser sogenannten goldenen Zeit der Republik
war. Das dürftigste Repräsentativsystem hätte zu ernsten
Vorstellungen und zur Abstellung des Uebels geführt, und
jede Regierung, die den Namen verdient hätte, wäre von
selber eingeschritten; aber freilich in jenen demokratischen
Versammlungen machte alles andere, nur nicht die Stimme
und die Noth des Volkes sich geltend, und die Scipionen
und Flaminine hatten ja die Griechen zu emancipiren und
die republicanische Königscontrole zu beschaffen. Die Strafe
folgte dieser Sündenwirthschaft auf dem Fusse. In frucht-
baren Jahren ward das sicilische und sardinische Korn in den
italischen Häfen um die Fracht losgeschlagen; schon zu Catos
Zeit war Sicilien die Kornkammer der Hauptstadt und das ita-
lische Getreide wie das italische Ackerland völlig entwerthet.
Die fast unglaubliche Billigkeit der Lebensmittel in den reich-
sten Kornlandschaften der Halbinsel, der heutigen Lombardei
und der Romagna, erwähnt Polybios; für Kost und Nacht-
quartier zahlte man durchschnittlich einen halben As den
Tag (2 Pf.), für den preussischen Scheffel Weizen (6 Modii)
einen halben Denar (3 Gr. 3 Pf.) *
-- Preise, die nur begreif-

* Ob es richtig ist, dass die Kornpreise im Alterthum stärker ge-
schwankt haben als in neuerer Zeit, dürfte sehr zu bezweifeln sein; abge-
sehen natürlich von den ältesten Zeiten, in denen der überseeische Handel
noch nicht entwickelt war. Vergleicht man Preise wie diesen des Getreides
im Pothal von 3 1/3 Gr. den Scheffel mit denen der ärgsten Kriegstheuerung,
wo z. B. im hannibalischen Kriege der Scheffel auf 99, im Bürgerkrieg auf
198-218 Groschen (nach dem heutigen Silberwerth des Denars berechnet)
stieg, so scheint der Abstand ungeheuer; allein solche Extreme sind wenig
belehrend und könnten unter sonst gleichen Verhältnissen auch heutzutage
wieder nach der einen wie nach der andern Seite hin vorkommen. Als
hauptstädtischer Mittelpreis kann wenigstens für das siebente und achte

DRITTES BUCH. KAPITEL XI.
wenigstens finden wir, daſs die Ausfuhr einer Quantität Ge-
treide aus Sicilien den Rhodiern als besondere Vergünstigung
gestattet ward. Solche Wirthschaft möchte vielleicht sich
rechtfertigen lassen in einem groſsen Industriestaat, dessen
Ackerbau nicht ausreicht zur Ernährung der Bevölkerung; ein
Land wie Italien, in dem die Industrie unbedeutend, die
Landwirthschaft durchaus Hauptsache war, ward auf diesem
Wege systematisch ruinirt und den Interessen der hauptstäd-
tischen Bevölkerung, der freilich das Brot nicht billig genug
werden konnte, das Wohl des Ganzen auf die schmählichste
Weise geopfert. Nirgends vielleicht liegt so deutlich wie hier
zu Tage, wie schlecht die Verfassung und wie unfähig die
Regierung dieser sogenannten goldenen Zeit der Republik
war. Das dürftigste Repräsentativsystem hätte zu ernsten
Vorstellungen und zur Abstellung des Uebels geführt, und
jede Regierung, die den Namen verdient hätte, wäre von
selber eingeschritten; aber freilich in jenen demokratischen
Versammlungen machte alles andere, nur nicht die Stimme
und die Noth des Volkes sich geltend, und die Scipionen
und Flaminine hatten ja die Griechen zu emancipiren und
die republicanische Königscontrole zu beschaffen. Die Strafe
folgte dieser Sündenwirthschaft auf dem Fuſse. In frucht-
baren Jahren ward das sicilische und sardinische Korn in den
italischen Häfen um die Fracht losgeschlagen; schon zu Catos
Zeit war Sicilien die Kornkammer der Hauptstadt und das ita-
lische Getreide wie das italische Ackerland völlig entwerthet.
Die fast unglaubliche Billigkeit der Lebensmittel in den reich-
sten Kornlandschaften der Halbinsel, der heutigen Lombardei
und der Romagna, erwähnt Polybios; für Kost und Nacht-
quartier zahlte man durchschnittlich einen halben As den
Tag (2 Pf.), für den preuſsischen Scheffel Weizen (6 Modii)
einen halben Denar (3 Gr. 3 Pf.) *
— Preise, die nur begreif-

* Ob es richtig ist, daſs die Kornpreise im Alterthum stärker ge-
schwankt haben als in neuerer Zeit, dürfte sehr zu bezweifeln sein; abge-
sehen natürlich von den ältesten Zeiten, in denen der überseeische Handel
noch nicht entwickelt war. Vergleicht man Preise wie diesen des Getreides
im Pothal von 3⅓ Gr. den Scheffel mit denen der ärgsten Kriegstheuerung,
wo z. B. im hannibalischen Kriege der Scheffel auf 99, im Bürgerkrieg auf
198-218 Groschen (nach dem heutigen Silberwerth des Denars berechnet)
stieg, so scheint der Abstand ungeheuer; allein solche Extreme sind wenig
belehrend und könnten unter sonst gleichen Verhältnissen auch heutzutage
wieder nach der einen wie nach der andern Seite hin vorkommen. Als
hauptstädtischer Mittelpreis kann wenigstens für das siebente und achte
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[620/0634] DRITTES BUCH. KAPITEL XI. wenigstens finden wir, daſs die Ausfuhr einer Quantität Ge- treide aus Sicilien den Rhodiern als besondere Vergünstigung gestattet ward. Solche Wirthschaft möchte vielleicht sich rechtfertigen lassen in einem groſsen Industriestaat, dessen Ackerbau nicht ausreicht zur Ernährung der Bevölkerung; ein Land wie Italien, in dem die Industrie unbedeutend, die Landwirthschaft durchaus Hauptsache war, ward auf diesem Wege systematisch ruinirt und den Interessen der hauptstäd- tischen Bevölkerung, der freilich das Brot nicht billig genug werden konnte, das Wohl des Ganzen auf die schmählichste Weise geopfert. Nirgends vielleicht liegt so deutlich wie hier zu Tage, wie schlecht die Verfassung und wie unfähig die Regierung dieser sogenannten goldenen Zeit der Republik war. Das dürftigste Repräsentativsystem hätte zu ernsten Vorstellungen und zur Abstellung des Uebels geführt, und jede Regierung, die den Namen verdient hätte, wäre von selber eingeschritten; aber freilich in jenen demokratischen Versammlungen machte alles andere, nur nicht die Stimme und die Noth des Volkes sich geltend, und die Scipionen und Flaminine hatten ja die Griechen zu emancipiren und die republicanische Königscontrole zu beschaffen. Die Strafe folgte dieser Sündenwirthschaft auf dem Fuſse. In frucht- baren Jahren ward das sicilische und sardinische Korn in den italischen Häfen um die Fracht losgeschlagen; schon zu Catos Zeit war Sicilien die Kornkammer der Hauptstadt und das ita- lische Getreide wie das italische Ackerland völlig entwerthet. Die fast unglaubliche Billigkeit der Lebensmittel in den reich- sten Kornlandschaften der Halbinsel, der heutigen Lombardei und der Romagna, erwähnt Polybios; für Kost und Nacht- quartier zahlte man durchschnittlich einen halben As den Tag (2 Pf.), für den preuſsischen Scheffel Weizen (6 Modii) einen halben Denar (3 Gr. 3 Pf.) * — Preise, die nur begreif- * Ob es richtig ist, daſs die Kornpreise im Alterthum stärker ge- schwankt haben als in neuerer Zeit, dürfte sehr zu bezweifeln sein; abge- sehen natürlich von den ältesten Zeiten, in denen der überseeische Handel noch nicht entwickelt war. Vergleicht man Preise wie diesen des Getreides im Pothal von 3⅓ Gr. den Scheffel mit denen der ärgsten Kriegstheuerung, wo z. B. im hannibalischen Kriege der Scheffel auf 99, im Bürgerkrieg auf 198-218 Groschen (nach dem heutigen Silberwerth des Denars berechnet) stieg, so scheint der Abstand ungeheuer; allein solche Extreme sind wenig belehrend und könnten unter sonst gleichen Verhältnissen auch heutzutage wieder nach der einen wie nach der andern Seite hin vorkommen. Als hauptstädtischer Mittelpreis kann wenigstens für das siebente und achte

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 620. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/634>, abgerufen am 16.07.2024.