Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE. mentlich vollständig, von den griechischen Mustern abhängenund so wenig sie Anspruch machen auf die eigentliche Poesie der Komik wie sie Aristophanes, Shakespeare und Cervantes verstanden, sind doch mit ihrer nicht tiefen, aber drastischen Darstellung der Charaktere, den ergötzlichen Verwicklungen, vor allem dem natürlichen und raschen Dialog und dem ewigen Sprudel lustiger Wendungen und vortrefflicher Spässe einer der besten und originellsten Theile der lateinischen Litteratur; und man kann hinzufügen, dass auch in der Folge- zeit nur diejenigen italischen Dichter, welche diesen Ton an- schlugen, wie zum Beispiel Lucilius und zum Theil noch Catull und Horaz, auf klingende Saiten trafen. Selbst das geborgte Gut dieser Art ward leichter heimisch als wo in den ernsteren und höheren Gattungen der Litteratur Entleh- nungen stattfanden, denn während die Poesie von Haus aus national ist und schwer zu verpflanzen, ist der Witz an sich kosmopolitisch. Dagegen der Begründer und der rechte Ver- treter des Hellenismus in der römischen Litteratur ist Quintus Ennius (515-585). Ennius, wie Andronicus von Haus aus wo nicht Grieche, doch Halbgrieche, messapischer Herkunft nämlich und hellenischer Bildung, und ein Menschenalter jünger als Naevius, gehört derjenigen Epoche an, wo mit dem Ende des zweiten punischen Krieges das griechische Wesen in Rom recht in Gang kam. Er brach geradezu mit der älteren Richtung und rühmte sich dessen, indem er das ein- zige, was in der römischen Poesie altnationalen Ursprungs war, das saturnische Mass beseitigte und durchgängig in die griechischen Rhythmen die lateinische Sprache fügte oder zwängte, und indem er auf einmal die ganze Mannigfaltigkeit der griechischen Dichtgattungen, auch die didaktische Poesie -- er übersetzte naturphilosophische, mythologische, ja gastro- nomische Lehrgedichte der Griechen --, vielleicht sogar die griechische Lyrik nach Rom zu übertragen den Versuch machte. Doch versteht es sich von selbst, dass er die von seinem Vorfahren festgestellten Gattungen nicht fallen liess, ja die me- trische Staatschronik, die das Werk des Naevius durch Voll- ständigkeit wie durch Eleganz verdunkelte und wohl auch überhaupt einen höhern Ton anschlagend den Olymp und die Götter mit in die Chronik zog, ist sein Hauptwerk ge- blieben. Das Mass seines Talents abzuschätzen vermögen wir nicht mehr; die Composition war nach dem Urtheil der Alten mangelhaft, wogegen im Einzelnen sprachlich und rhythmisch VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE. mentlich vollständig, von den griechischen Mustern abhängenund so wenig sie Anspruch machen auf die eigentliche Poesie der Komik wie sie Aristophanes, Shakespeare und Cervantes verstanden, sind doch mit ihrer nicht tiefen, aber drastischen Darstellung der Charaktere, den ergötzlichen Verwicklungen, vor allem dem natürlichen und raschen Dialog und dem ewigen Sprudel lustiger Wendungen und vortrefflicher Späſse einer der besten und originellsten Theile der lateinischen Litteratur; und man kann hinzufügen, daſs auch in der Folge- zeit nur diejenigen italischen Dichter, welche diesen Ton an- schlugen, wie zum Beispiel Lucilius und zum Theil noch Catull und Horaz, auf klingende Saiten trafen. Selbst das geborgte Gut dieser Art ward leichter heimisch als wo in den ernsteren und höheren Gattungen der Litteratur Entleh- nungen stattfanden, denn während die Poesie von Haus aus national ist und schwer zu verpflanzen, ist der Witz an sich kosmopolitisch. Dagegen der Begründer und der rechte Ver- treter des Hellenismus in der römischen Litteratur ist Quintus Ennius (515-585). Ennius, wie Andronicus von Haus aus wo nicht Grieche, doch Halbgrieche, messapischer Herkunft nämlich und hellenischer Bildung, und ein Menschenalter jünger als Naevius, gehört derjenigen Epoche an, wo mit dem Ende des zweiten punischen Krieges das griechische Wesen in Rom recht in Gang kam. Er brach geradezu mit der älteren Richtung und rühmte sich dessen, indem er das ein- zige, was in der römischen Poesie altnationalen Ursprungs war, das saturnische Maſs beseitigte und durchgängig in die griechischen Rhythmen die lateinische Sprache fügte oder zwängte, und indem er auf einmal die ganze Mannigfaltigkeit der griechischen Dichtgattungen, auch die didaktische Poesie — er übersetzte naturphilosophische, mythologische, ja gastro- nomische Lehrgedichte der Griechen —, vielleicht sogar die griechische Lyrik nach Rom zu übertragen den Versuch machte. Doch versteht es sich von selbst, daſs er die von seinem Vorfahren festgestellten Gattungen nicht fallen lieſs, ja die me- trische Staatschronik, die das Werk des Naevius durch Voll- ständigkeit wie durch Eleganz verdunkelte und wohl auch überhaupt einen höhern Ton anschlagend den Olymp und die Götter mit in die Chronik zog, ist sein Hauptwerk ge- blieben. Das Maſs seines Talents abzuschätzen vermögen wir nicht mehr; die Composition war nach dem Urtheil der Alten mangelhaft, wogegen im Einzelnen sprachlich und rhythmisch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0645" n="631"/><fw place="top" type="header">VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE.</fw><lb/> mentlich vollständig, von den griechischen Mustern abhängen<lb/> und so wenig sie Anspruch machen auf die eigentliche Poesie<lb/> der Komik wie sie Aristophanes, Shakespeare und Cervantes<lb/> verstanden, sind doch mit ihrer nicht tiefen, aber drastischen<lb/> Darstellung der Charaktere, den ergötzlichen Verwicklungen,<lb/> vor allem dem natürlichen und raschen Dialog und dem<lb/> ewigen Sprudel lustiger Wendungen und vortrefflicher Späſse<lb/> einer der besten und originellsten Theile der lateinischen<lb/> Litteratur; und man kann hinzufügen, daſs auch in der Folge-<lb/> zeit nur diejenigen italischen Dichter, welche diesen Ton an-<lb/> schlugen, wie zum Beispiel Lucilius und zum Theil noch<lb/> Catull und Horaz, auf klingende Saiten trafen. Selbst das<lb/> geborgte Gut dieser Art ward leichter heimisch als wo in<lb/> den ernsteren und höheren Gattungen der Litteratur Entleh-<lb/> nungen stattfanden, denn während die Poesie von Haus aus<lb/> national ist und schwer zu verpflanzen, ist der Witz an sich<lb/> kosmopolitisch. Dagegen der Begründer und der rechte Ver-<lb/> treter des Hellenismus in der römischen Litteratur ist Quintus<lb/> Ennius (515-585). Ennius, wie Andronicus von Haus aus<lb/> wo nicht Grieche, doch Halbgrieche, messapischer Herkunft<lb/> nämlich und hellenischer Bildung, und ein Menschenalter<lb/> jünger als Naevius, gehört derjenigen Epoche an, wo mit dem<lb/> Ende des zweiten punischen Krieges das griechische Wesen<lb/> in Rom recht in Gang kam. Er brach geradezu mit der<lb/> älteren Richtung und rühmte sich dessen, indem er das ein-<lb/> zige, was in der römischen Poesie altnationalen Ursprungs<lb/> war, das saturnische Maſs beseitigte und durchgängig in die<lb/> griechischen Rhythmen die lateinische Sprache fügte oder<lb/> zwängte, und indem er auf einmal die ganze Mannigfaltigkeit<lb/> der griechischen Dichtgattungen, auch die didaktische Poesie<lb/> — er übersetzte naturphilosophische, mythologische, ja gastro-<lb/> nomische Lehrgedichte der Griechen —, vielleicht sogar die<lb/> griechische Lyrik nach Rom zu übertragen den Versuch machte.<lb/> Doch versteht es sich von selbst, daſs er die von seinem<lb/> Vorfahren festgestellten Gattungen nicht fallen lieſs, ja die me-<lb/> trische Staatschronik, die das Werk des Naevius durch Voll-<lb/> ständigkeit wie durch Eleganz verdunkelte und wohl auch<lb/> überhaupt einen höhern Ton anschlagend den Olymp und<lb/> die Götter mit in die Chronik zog, ist sein Hauptwerk ge-<lb/> blieben. Das Maſs seines Talents abzuschätzen vermögen wir<lb/> nicht mehr; die Composition war nach dem Urtheil der Alten<lb/> mangelhaft, wogegen im Einzelnen sprachlich und rhythmisch<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [631/0645]
VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE.
mentlich vollständig, von den griechischen Mustern abhängen
und so wenig sie Anspruch machen auf die eigentliche Poesie
der Komik wie sie Aristophanes, Shakespeare und Cervantes
verstanden, sind doch mit ihrer nicht tiefen, aber drastischen
Darstellung der Charaktere, den ergötzlichen Verwicklungen,
vor allem dem natürlichen und raschen Dialog und dem
ewigen Sprudel lustiger Wendungen und vortrefflicher Späſse
einer der besten und originellsten Theile der lateinischen
Litteratur; und man kann hinzufügen, daſs auch in der Folge-
zeit nur diejenigen italischen Dichter, welche diesen Ton an-
schlugen, wie zum Beispiel Lucilius und zum Theil noch
Catull und Horaz, auf klingende Saiten trafen. Selbst das
geborgte Gut dieser Art ward leichter heimisch als wo in
den ernsteren und höheren Gattungen der Litteratur Entleh-
nungen stattfanden, denn während die Poesie von Haus aus
national ist und schwer zu verpflanzen, ist der Witz an sich
kosmopolitisch. Dagegen der Begründer und der rechte Ver-
treter des Hellenismus in der römischen Litteratur ist Quintus
Ennius (515-585). Ennius, wie Andronicus von Haus aus
wo nicht Grieche, doch Halbgrieche, messapischer Herkunft
nämlich und hellenischer Bildung, und ein Menschenalter
jünger als Naevius, gehört derjenigen Epoche an, wo mit dem
Ende des zweiten punischen Krieges das griechische Wesen
in Rom recht in Gang kam. Er brach geradezu mit der
älteren Richtung und rühmte sich dessen, indem er das ein-
zige, was in der römischen Poesie altnationalen Ursprungs
war, das saturnische Maſs beseitigte und durchgängig in die
griechischen Rhythmen die lateinische Sprache fügte oder
zwängte, und indem er auf einmal die ganze Mannigfaltigkeit
der griechischen Dichtgattungen, auch die didaktische Poesie
— er übersetzte naturphilosophische, mythologische, ja gastro-
nomische Lehrgedichte der Griechen —, vielleicht sogar die
griechische Lyrik nach Rom zu übertragen den Versuch machte.
Doch versteht es sich von selbst, daſs er die von seinem
Vorfahren festgestellten Gattungen nicht fallen lieſs, ja die me-
trische Staatschronik, die das Werk des Naevius durch Voll-
ständigkeit wie durch Eleganz verdunkelte und wohl auch
überhaupt einen höhern Ton anschlagend den Olymp und
die Götter mit in die Chronik zog, ist sein Hauptwerk ge-
blieben. Das Maſs seines Talents abzuschätzen vermögen wir
nicht mehr; die Composition war nach dem Urtheil der Alten
mangelhaft, wogegen im Einzelnen sprachlich und rhythmisch
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |