Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.DIE REVOLUTION UND GAIUS GRACCHUS. Werke es sagen, den Sturz des Senatregiments bezweckte, welcheandere mögliche politische Ordnung blieb in einem Staat, der die Urversammlungen hinter sich hatte und für den der Parlamenta- rismus nicht existirte, nach dem Sturz des aristokratischen Re- giments als die Tyrannis? Träumer, wie sein Vorgänger einer war, und Schwindler, wie sie die Folgezeit heraufführte, mochten dies in Abrede stellen; Gaius Gracchus aber war ein Staatsmann und wusste, was er that. So wenig die beabsichtigte Usurpation der monarchischen Gewalt sich verkennen lässt, so wenig wird, wer die Verhältnisse übersieht, den Gracchus desswegen tadeln. Eine absolute Monarchie ist ein grosses Unglück für die Nation, aber ein minderes als eine absolute Oligarchie; und wer der Na- tion statt des grösseren das kleinere Leiden auferlegt, den darf die Geschichte nicht schelten, am wenigsten eine so leidenschaft- lich ernste und allem Gemeinen so fern stehende Natur wie Gaius Gracchus. Allein nichts desto weniger darf sie es nicht ver- schweigen, dass durch die ganze Gesetzgebung desselben eine Zwiespältigkeit verderblichster Art geht, indem sie einerseits das gemeine Beste bezweckt, andrerseits den persönlichen Zwecken, ja der persönlichen Rache des Herrschers dient. Gracchus war ernstlich bemüht für die socialen Schäden eine Abhülfe zu finden und dem einreissenden Pauperismus zu steuern; dennoch zog er zugleich durch seine Getreidevertheilungen, die für alles arbeits- scheue lungernde Bürgergesindel eine Prämie werden sollten und wurden, ein hauptstädtisches Gassenproletariat der schlimmsten Art absichtlich gross. Gracchus tadelte mit den bittersten Wor- ten die Feilheit des Senats und deckte namentlich den scandalö- sen Schacher, den Manius Aquillius mit den kleinasiatischen Pro- vinzen getrieben, mit schonungsloser und gerechter Strenge auf*; aber derselbe Mann führte es durch, dass der souveräne Pöbel * Auf diesen Handel um den Besitz von Phrygien, welches nach der
Einziehung des attalischen Reiches von Manius Aquillius den Königen von Bithynien und von Pontos zu Kauf geboten und von dem letzteren erstanden ward (S. 53), bezieht sich ein noch vorhandenes längeres Redebruchstück des Gracchus. Er bemerkt darin, dass von den Senatoren keiner umsonst sich um die öffentlichen Angelegenheiten bekümmere und fügt hinzu: in Beziehung auf das in Rede stehende Gesetz (über die Verleihung Phrygiens an König Mithradates) theile der Senat sich in drei Klassen, solcher die dafür seien, solcher die dagegen seien und solcher die stillschwiegen -- die ersten seien bestochen von König Mithradates, die zweiten von König Nikomedes, die dritten aber seien die feinsten, denn diese liessen sich von den Gesand- ten beider Könige bezahlen und jede Partei glauben, dass in ihrem Inter- esse geschwiegen werde. DIE REVOLUTION UND GAIUS GRACCHUS. Werke es sagen, den Sturz des Senatregiments bezweckte, welcheandere mögliche politische Ordnung blieb in einem Staat, der die Urversammlungen hinter sich hatte und für den der Parlamenta- rismus nicht existirte, nach dem Sturz des aristokratischen Re- giments als die Tyrannis? Träumer, wie sein Vorgänger einer war, und Schwindler, wie sie die Folgezeit heraufführte, mochten dies in Abrede stellen; Gaius Gracchus aber war ein Staatsmann und wuſste, was er that. So wenig die beabsichtigte Usurpation der monarchischen Gewalt sich verkennen läſst, so wenig wird, wer die Verhältnisse übersieht, den Gracchus deſswegen tadeln. Eine absolute Monarchie ist ein groſses Unglück für die Nation, aber ein minderes als eine absolute Oligarchie; und wer der Na- tion statt des gröſseren das kleinere Leiden auferlegt, den darf die Geschichte nicht schelten, am wenigsten eine so leidenschaft- lich ernste und allem Gemeinen so fern stehende Natur wie Gaius Gracchus. Allein nichts desto weniger darf sie es nicht ver- schweigen, daſs durch die ganze Gesetzgebung desselben eine Zwiespältigkeit verderblichster Art geht, indem sie einerseits das gemeine Beste bezweckt, andrerseits den persönlichen Zwecken, ja der persönlichen Rache des Herrschers dient. Gracchus war ernstlich bemüht für die socialen Schäden eine Abhülfe zu finden und dem einreiſsenden Pauperismus zu steuern; dennoch zog er zugleich durch seine Getreidevertheilungen, die für alles arbeits- scheue lungernde Bürgergesindel eine Prämie werden sollten und wurden, ein hauptstädtisches Gassenproletariat der schlimmsten Art absichtlich groſs. Gracchus tadelte mit den bittersten Wor- ten die Feilheit des Senats und deckte namentlich den scandalö- sen Schacher, den Manius Aquillius mit den kleinasiatischen Pro- vinzen getrieben, mit schonungsloser und gerechter Strenge auf*; aber derselbe Mann führte es durch, daſs der souveräne Pöbel * Auf diesen Handel um den Besitz von Phrygien, welches nach der
Einziehung des attalischen Reiches von Manius Aquillius den Königen von Bithynien und von Pontos zu Kauf geboten und von dem letzteren erstanden ward (S. 53), bezieht sich ein noch vorhandenes längeres Redebruchstück des Gracchus. Er bemerkt darin, daſs von den Senatoren keiner umsonst sich um die öffentlichen Angelegenheiten bekümmere und fügt hinzu: in Beziehung auf das in Rede stehende Gesetz (über die Verleihung Phrygiens an König Mithradates) theile der Senat sich in drei Klassen, solcher die dafür seien, solcher die dagegen seien und solcher die stillschwiegen — die ersten seien bestochen von König Mithradates, die zweiten von König Nikomedes, die dritten aber seien die feinsten, denn diese lieſsen sich von den Gesand- ten beider Könige bezahlen und jede Partei glauben, daſs in ihrem Inter- esse geschwiegen werde. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0119" n="109"/><fw place="top" type="header">DIE REVOLUTION UND GAIUS GRACCHUS.</fw><lb/> Werke es sagen, den Sturz des Senatregiments bezweckte, welche<lb/> andere mögliche politische Ordnung blieb in einem Staat, der die<lb/> Urversammlungen hinter sich hatte und für den der Parlamenta-<lb/> rismus nicht existirte, nach dem Sturz des aristokratischen Re-<lb/> giments als die Tyrannis? Träumer, wie sein Vorgänger einer<lb/> war, und Schwindler, wie sie die Folgezeit heraufführte, mochten<lb/> dies in Abrede stellen; Gaius Gracchus aber war ein Staatsmann<lb/> und wuſste, was er that. So wenig die beabsichtigte Usurpation<lb/> der monarchischen Gewalt sich verkennen läſst, so wenig wird,<lb/> wer die Verhältnisse übersieht, den Gracchus deſswegen tadeln.<lb/> Eine absolute Monarchie ist ein groſses Unglück für die Nation,<lb/> aber ein minderes als eine absolute Oligarchie; und wer der Na-<lb/> tion statt des gröſseren das kleinere Leiden auferlegt, den darf<lb/> die Geschichte nicht schelten, am wenigsten eine so leidenschaft-<lb/> lich ernste und allem Gemeinen so fern stehende Natur wie Gaius<lb/> Gracchus. Allein nichts desto weniger darf sie es nicht ver-<lb/> schweigen, daſs durch die ganze Gesetzgebung desselben eine<lb/> Zwiespältigkeit verderblichster Art geht, indem sie einerseits das<lb/> gemeine Beste bezweckt, andrerseits den persönlichen Zwecken,<lb/> ja der persönlichen Rache des Herrschers dient. Gracchus war<lb/> ernstlich bemüht für die socialen Schäden eine Abhülfe zu finden<lb/> und dem einreiſsenden Pauperismus zu steuern; dennoch zog er<lb/> zugleich durch seine Getreidevertheilungen, die für alles arbeits-<lb/> scheue lungernde Bürgergesindel eine Prämie werden sollten und<lb/> wurden, ein hauptstädtisches Gassenproletariat der schlimmsten<lb/> Art absichtlich groſs. Gracchus tadelte mit den bittersten Wor-<lb/> ten die Feilheit des Senats und deckte namentlich den scandalö-<lb/> sen Schacher, den Manius Aquillius mit den kleinasiatischen Pro-<lb/> vinzen getrieben, mit schonungsloser und gerechter Strenge auf<note place="foot" n="*">Auf diesen Handel um den Besitz von Phrygien, welches nach der<lb/> Einziehung des attalischen Reiches von Manius Aquillius den Königen von<lb/> Bithynien und von Pontos zu Kauf geboten und von dem letzteren erstanden<lb/> ward (S. 53), bezieht sich ein noch vorhandenes längeres Redebruchstück<lb/> des Gracchus. Er bemerkt darin, daſs von den Senatoren keiner umsonst sich<lb/> um die öffentlichen Angelegenheiten bekümmere und fügt hinzu: in Beziehung<lb/> auf das in Rede stehende Gesetz (über die Verleihung Phrygiens an König<lb/> Mithradates) theile der Senat sich in drei Klassen, solcher die dafür seien,<lb/> solcher die dagegen seien und solcher die stillschwiegen — die ersten<lb/> seien bestochen von König Mithradates, die zweiten von König Nikomedes,<lb/> die dritten aber seien die feinsten, denn diese lieſsen sich von den Gesand-<lb/> ten beider Könige bezahlen und jede Partei glauben, daſs in ihrem Inter-<lb/> esse geschwiegen werde.</note>;<lb/> aber derselbe Mann führte es durch, daſs der souveräne Pöbel<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [109/0119]
DIE REVOLUTION UND GAIUS GRACCHUS.
Werke es sagen, den Sturz des Senatregiments bezweckte, welche
andere mögliche politische Ordnung blieb in einem Staat, der die
Urversammlungen hinter sich hatte und für den der Parlamenta-
rismus nicht existirte, nach dem Sturz des aristokratischen Re-
giments als die Tyrannis? Träumer, wie sein Vorgänger einer
war, und Schwindler, wie sie die Folgezeit heraufführte, mochten
dies in Abrede stellen; Gaius Gracchus aber war ein Staatsmann
und wuſste, was er that. So wenig die beabsichtigte Usurpation
der monarchischen Gewalt sich verkennen läſst, so wenig wird,
wer die Verhältnisse übersieht, den Gracchus deſswegen tadeln.
Eine absolute Monarchie ist ein groſses Unglück für die Nation,
aber ein minderes als eine absolute Oligarchie; und wer der Na-
tion statt des gröſseren das kleinere Leiden auferlegt, den darf
die Geschichte nicht schelten, am wenigsten eine so leidenschaft-
lich ernste und allem Gemeinen so fern stehende Natur wie Gaius
Gracchus. Allein nichts desto weniger darf sie es nicht ver-
schweigen, daſs durch die ganze Gesetzgebung desselben eine
Zwiespältigkeit verderblichster Art geht, indem sie einerseits das
gemeine Beste bezweckt, andrerseits den persönlichen Zwecken,
ja der persönlichen Rache des Herrschers dient. Gracchus war
ernstlich bemüht für die socialen Schäden eine Abhülfe zu finden
und dem einreiſsenden Pauperismus zu steuern; dennoch zog er
zugleich durch seine Getreidevertheilungen, die für alles arbeits-
scheue lungernde Bürgergesindel eine Prämie werden sollten und
wurden, ein hauptstädtisches Gassenproletariat der schlimmsten
Art absichtlich groſs. Gracchus tadelte mit den bittersten Wor-
ten die Feilheit des Senats und deckte namentlich den scandalö-
sen Schacher, den Manius Aquillius mit den kleinasiatischen Pro-
vinzen getrieben, mit schonungsloser und gerechter Strenge auf *;
aber derselbe Mann führte es durch, daſs der souveräne Pöbel
* Auf diesen Handel um den Besitz von Phrygien, welches nach der
Einziehung des attalischen Reiches von Manius Aquillius den Königen von
Bithynien und von Pontos zu Kauf geboten und von dem letzteren erstanden
ward (S. 53), bezieht sich ein noch vorhandenes längeres Redebruchstück
des Gracchus. Er bemerkt darin, daſs von den Senatoren keiner umsonst sich
um die öffentlichen Angelegenheiten bekümmere und fügt hinzu: in Beziehung
auf das in Rede stehende Gesetz (über die Verleihung Phrygiens an König
Mithradates) theile der Senat sich in drei Klassen, solcher die dafür seien,
solcher die dagegen seien und solcher die stillschwiegen — die ersten
seien bestochen von König Mithradates, die zweiten von König Nikomedes,
die dritten aber seien die feinsten, denn diese lieſsen sich von den Gesand-
ten beider Könige bezahlen und jede Partei glauben, daſs in ihrem Inter-
esse geschwiegen werde.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |