Regiment wiederum wie von selbst in die Hände des Senats zu- rück kam.
Allein das neue Regiment des Senats war denn doch ein wesentlich anderes geworden; es glich vielmehr dem Regiment, wie es Gracchus zu führen gedacht hatte, als dem der älteren Aristokratie. Die Oligarchie erschien neugerüstet in dem Heer- zeug der gestürzten Tyrannis; wie der Senat den Gracchus mit dessen eigenen Waffen aus dem Felde geschlagen hatte, so fuhr er auch fort zunächst mit der Verfassung der Gracchen zu regie- ren, allerdings mit dem Hintergedanken sie seiner Zeit wo nicht ganz zu beseitigen, doch zu reinigen von den der regierenden Aristokratie in der That feindlichen Elementen. Fürs erste reagirte man wesentlich nur gegen die Personen, rief den Publius Popillius nach Cassirung der ihn betreffenden Verfügungen aus der Verbannung zurück (633) und machte den Gracchanern den Prozesskrieg; wogegen der Versuch der Volkspartei den Lucius Opimius nach Niederlegung seines Amtes wegen Hochverrath zur Verurtheilung zu bringen von der Regierungspartei vereitelt ward (634). Es ist für den Charakter dieser Restaurationsregie- rung bezeichnend, wie die Aristokratie an Gesinnungstüchtigkeit fortschritt. Gaius Carbo war einst Bundesgenosse der Gracchen gewesen, hatte aber seit langem sich bekehrt (S. 96) und noch kürzlich als Vertheidiger des Opimius seinen Eifer und seine Brauchbarkeit bewiesen. Aber er blieb der Ueberläufer; als gegen ihn die gleiche Anklage wie gegen Opimius erhoben ward, liess die Regierungspartei nicht ungern ihn fallen und Carbo, zwischen beiden Parteien sich verloren sehend, gab sich mit eigener Hand den Tod. So erwiesen die Männer der Reaction in Personenfra- gen sich als lautere Aristokraten. Dagegen die Getreideverthei- lungen, die Besteuerung der Provinz Asia, die gracchische Ge- schwornen- und Gerichtsordnung griff die Reaction zunächst nicht an und schonte nicht bloss die Kaufmannschaft und das hauptstädtische Proletariat, sondern fuhr fort, wie man bei Ein- bringung der livischen Gesetze begonnen hatte, diesen Mächten und vor allem dem Proletariat, noch weit entschiedener zu hul- digen, als die Gracchen dies gethan hatten; um so mehr, als die Hegung und Pflegung der Pöbelinteressen sich aufs vollkommenste vertrug mit dem eigenen Vortheil der Aristokratie und dabei nichts weiter geopfert ward als bloss das gemeine Beste. Alle dieje- nigen Massregeln, die von Gaius Gracchus zur Förderung des öffentlichen Wohls getroffen waren, eben den besten, freilich be- greiflicher Weise auch den unpopulärsten Theil seiner Gesetz-
VIERTES BUCH. KAPITEL IV.
Regiment wiederum wie von selbst in die Hände des Senats zu- rück kam.
Allein das neue Regiment des Senats war denn doch ein wesentlich anderes geworden; es glich vielmehr dem Regiment, wie es Gracchus zu führen gedacht hatte, als dem der älteren Aristokratie. Die Oligarchie erschien neugerüstet in dem Heer- zeug der gestürzten Tyrannis; wie der Senat den Gracchus mit dessen eigenen Waffen aus dem Felde geschlagen hatte, so fuhr er auch fort zunächst mit der Verfassung der Gracchen zu regie- ren, allerdings mit dem Hintergedanken sie seiner Zeit wo nicht ganz zu beseitigen, doch zu reinigen von den der regierenden Aristokratie in der That feindlichen Elementen. Fürs erste reagirte man wesentlich nur gegen die Personen, rief den Publius Popillius nach Cassirung der ihn betreffenden Verfügungen aus der Verbannung zurück (633) und machte den Gracchanern den Prozeſskrieg; wogegen der Versuch der Volkspartei den Lucius Opimius nach Niederlegung seines Amtes wegen Hochverrath zur Verurtheilung zu bringen von der Regierungspartei vereitelt ward (634). Es ist für den Charakter dieser Restaurationsregie- rung bezeichnend, wie die Aristokratie an Gesinnungstüchtigkeit fortschritt. Gaius Carbo war einst Bundesgenosse der Gracchen gewesen, hatte aber seit langem sich bekehrt (S. 96) und noch kürzlich als Vertheidiger des Opimius seinen Eifer und seine Brauchbarkeit bewiesen. Aber er blieb der Ueberläufer; als gegen ihn die gleiche Anklage wie gegen Opimius erhoben ward, lieſs die Regierungspartei nicht ungern ihn fallen und Carbo, zwischen beiden Parteien sich verloren sehend, gab sich mit eigener Hand den Tod. So erwiesen die Männer der Reaction in Personenfra- gen sich als lautere Aristokraten. Dagegen die Getreideverthei- lungen, die Besteuerung der Provinz Asia, die gracchische Ge- schwornen- und Gerichtsordnung griff die Reaction zunächst nicht an und schonte nicht bloſs die Kaufmannschaft und das hauptstädtische Proletariat, sondern fuhr fort, wie man bei Ein- bringung der livischen Gesetze begonnen hatte, diesen Mächten und vor allem dem Proletariat, noch weit entschiedener zu hul- digen, als die Gracchen dies gethan hatten; um so mehr, als die Hegung und Pflegung der Pöbelinteressen sich aufs vollkommenste vertrug mit dem eigenen Vortheil der Aristokratie und dabei nichts weiter geopfert ward als bloſs das gemeine Beste. Alle dieje- nigen Maſsregeln, die von Gaius Gracchus zur Förderung des öffentlichen Wohls getroffen waren, eben den besten, freilich be- greiflicher Weise auch den unpopulärsten Theil seiner Gesetz-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0130"n="120"/><fwplace="top"type="header">VIERTES BUCH. KAPITEL IV.</fw><lb/>
Regiment wiederum wie von selbst in die Hände des Senats zu-<lb/>
rück kam.</p><lb/><p>Allein das neue Regiment des Senats war denn doch ein<lb/>
wesentlich anderes geworden; es glich vielmehr dem Regiment,<lb/>
wie es Gracchus zu führen gedacht hatte, als dem der älteren<lb/>
Aristokratie. Die Oligarchie erschien neugerüstet in dem Heer-<lb/>
zeug der gestürzten Tyrannis; wie der Senat den Gracchus mit<lb/>
dessen eigenen Waffen aus dem Felde geschlagen hatte, so fuhr<lb/>
er auch fort zunächst mit der Verfassung der Gracchen zu regie-<lb/>
ren, allerdings mit dem Hintergedanken sie seiner Zeit wo nicht<lb/>
ganz zu beseitigen, doch zu reinigen von den der regierenden<lb/>
Aristokratie in der That feindlichen Elementen. Fürs erste<lb/>
reagirte man wesentlich nur gegen die Personen, rief den Publius<lb/>
Popillius nach Cassirung der ihn betreffenden Verfügungen aus<lb/>
der Verbannung zurück (633) und machte den Gracchanern den<lb/>
Prozeſskrieg; wogegen der Versuch der Volkspartei den Lucius<lb/>
Opimius nach Niederlegung seines Amtes wegen Hochverrath zur<lb/>
Verurtheilung zu bringen von der Regierungspartei vereitelt<lb/>
ward (634). Es ist für den Charakter dieser Restaurationsregie-<lb/>
rung bezeichnend, wie die Aristokratie an Gesinnungstüchtigkeit<lb/>
fortschritt. Gaius Carbo war einst Bundesgenosse der Gracchen<lb/>
gewesen, hatte aber seit langem sich bekehrt (S. 96) und noch<lb/>
kürzlich als Vertheidiger des Opimius seinen Eifer und seine<lb/>
Brauchbarkeit bewiesen. Aber er blieb der Ueberläufer; als gegen<lb/>
ihn die gleiche Anklage wie gegen Opimius erhoben ward, lieſs<lb/>
die Regierungspartei nicht ungern ihn fallen und Carbo, zwischen<lb/>
beiden Parteien sich verloren sehend, gab sich mit eigener Hand<lb/>
den Tod. So erwiesen die Männer der Reaction in Personenfra-<lb/>
gen sich als lautere Aristokraten. Dagegen die Getreideverthei-<lb/>
lungen, die Besteuerung der Provinz Asia, die gracchische Ge-<lb/>
schwornen- und Gerichtsordnung griff die Reaction zunächst<lb/>
nicht an und schonte nicht bloſs die Kaufmannschaft und das<lb/>
hauptstädtische Proletariat, sondern fuhr fort, wie man bei Ein-<lb/>
bringung der livischen Gesetze begonnen hatte, diesen Mächten<lb/>
und vor allem dem Proletariat, noch weit entschiedener zu hul-<lb/>
digen, als die Gracchen dies gethan hatten; um so mehr, als die<lb/>
Hegung und Pflegung der Pöbelinteressen sich aufs vollkommenste<lb/>
vertrug mit dem eigenen Vortheil der Aristokratie und dabei nichts<lb/>
weiter geopfert ward als bloſs das gemeine Beste. Alle dieje-<lb/>
nigen Maſsregeln, die von Gaius Gracchus zur Förderung des<lb/>
öffentlichen Wohls getroffen waren, eben den besten, freilich be-<lb/>
greiflicher Weise auch den unpopulärsten Theil seiner Gesetz-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[120/0130]
VIERTES BUCH. KAPITEL IV.
Regiment wiederum wie von selbst in die Hände des Senats zu-
rück kam.
Allein das neue Regiment des Senats war denn doch ein
wesentlich anderes geworden; es glich vielmehr dem Regiment,
wie es Gracchus zu führen gedacht hatte, als dem der älteren
Aristokratie. Die Oligarchie erschien neugerüstet in dem Heer-
zeug der gestürzten Tyrannis; wie der Senat den Gracchus mit
dessen eigenen Waffen aus dem Felde geschlagen hatte, so fuhr
er auch fort zunächst mit der Verfassung der Gracchen zu regie-
ren, allerdings mit dem Hintergedanken sie seiner Zeit wo nicht
ganz zu beseitigen, doch zu reinigen von den der regierenden
Aristokratie in der That feindlichen Elementen. Fürs erste
reagirte man wesentlich nur gegen die Personen, rief den Publius
Popillius nach Cassirung der ihn betreffenden Verfügungen aus
der Verbannung zurück (633) und machte den Gracchanern den
Prozeſskrieg; wogegen der Versuch der Volkspartei den Lucius
Opimius nach Niederlegung seines Amtes wegen Hochverrath zur
Verurtheilung zu bringen von der Regierungspartei vereitelt
ward (634). Es ist für den Charakter dieser Restaurationsregie-
rung bezeichnend, wie die Aristokratie an Gesinnungstüchtigkeit
fortschritt. Gaius Carbo war einst Bundesgenosse der Gracchen
gewesen, hatte aber seit langem sich bekehrt (S. 96) und noch
kürzlich als Vertheidiger des Opimius seinen Eifer und seine
Brauchbarkeit bewiesen. Aber er blieb der Ueberläufer; als gegen
ihn die gleiche Anklage wie gegen Opimius erhoben ward, lieſs
die Regierungspartei nicht ungern ihn fallen und Carbo, zwischen
beiden Parteien sich verloren sehend, gab sich mit eigener Hand
den Tod. So erwiesen die Männer der Reaction in Personenfra-
gen sich als lautere Aristokraten. Dagegen die Getreideverthei-
lungen, die Besteuerung der Provinz Asia, die gracchische Ge-
schwornen- und Gerichtsordnung griff die Reaction zunächst
nicht an und schonte nicht bloſs die Kaufmannschaft und das
hauptstädtische Proletariat, sondern fuhr fort, wie man bei Ein-
bringung der livischen Gesetze begonnen hatte, diesen Mächten
und vor allem dem Proletariat, noch weit entschiedener zu hul-
digen, als die Gracchen dies gethan hatten; um so mehr, als die
Hegung und Pflegung der Pöbelinteressen sich aufs vollkommenste
vertrug mit dem eigenen Vortheil der Aristokratie und dabei nichts
weiter geopfert ward als bloſs das gemeine Beste. Alle dieje-
nigen Maſsregeln, die von Gaius Gracchus zur Förderung des
öffentlichen Wohls getroffen waren, eben den besten, freilich be-
greiflicher Weise auch den unpopulärsten Theil seiner Gesetz-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/130>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.