Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.VIERTES BUCH. KAPITEL IV. verübte Verbrechen gab wenigstens insofern den Ausschlag, alsder Senat nun den Frieden cassirte und den König aus der Stadt auswies (Winter 643/4). Der Krieg ging also wieder an und der Consul Spurius Albinus übernahm den Oberbefehl (644). Allein das africanische Heer war bis in die untersten Schichten hinab in derjenigen Zerrüttung, wie sie einer solchen politischen und militärischen Oberleitung angemessen ist. Nicht bloss von Disciplin war die Rede nicht mehr und die Plünderung der nu- midischen Ortschaften, ja des römischen Provinzialgebiets wäh- rend der Waffenruhe das Hauptgeschäft der römischen Solda- tesca gewesen, sondern es hatten auch nicht wenige Offiziere und Soldaten so gut wie ihre Generale heimliche Einverständnisse angeknüpft mit dem Feinde. Dass ein solches Heer im Felde nichts ausrichten konnte, ist begreiflich, und wenn Jugurtha auch diesmal vom römischen Obergeneral die Unthätigkeit kaufte, wie dies später gegen denselben gerichtlich geltend gemacht ward, so that er wahrlich ein Uebriges. Indess wenn Spurius Albinus sich begnügt hatte nichts zu thun, so kam dagegen sein Bruder, der nach seiner Entfernung interimistisch den Oberbefehl über- nahm, der ebenso tolldreiste als unfähige Aulus Postumius, mit- ten im Winter auf den Gedanken durch einen kühnen Hand- streich sich der Schätze des Königs zu bemächtigen, die in der schwer zugänglichen und schwerer zu erobernden Stadt Suthul (später Calama, jetzt Guelma) sich befanden. Das Heer brach dahin auf und erreichte die Stadt; allein die Belagerung war so erfolglos, dass der römische Feldherr es vorzog den König zu verfolgen, als derselbe, nachdem er eine Zeitlang mit seinen Trup- pen vor der Stadt gestanden, in die Wüste entwich. Dies eben hatte Jugurtha beabsichtigt; durch einen nächtlichen Angriff, wo- bei die Schwierigkeiten des Terrains und Jugurthas Einverständ- nisse in der römischen Armee zusammenwirkten, eroberten die Numidier das römische Lager und trieben die grossentheils waf- fenlosen Römer in der vollständigsten und schimpflichsten Flucht vor sich her. Die Folge war eine Capitulation, deren Bedingun- gen: Abzug des römischen Heeres unter dem Joch, sofortige Räumung des ganzen numidischen Gebiets, Erneuerung des vom Senat cassirten Bündnissvertrages, von Jugurtha dictirt und von den Römern angenommen wurden (Anfang 645). Dies war denn doch zu arg. Während die Africaner jubel- VIERTES BUCH. KAPITEL IV. verübte Verbrechen gab wenigstens insofern den Ausschlag, alsder Senat nun den Frieden cassirte und den König aus der Stadt auswies (Winter 64¾). Der Krieg ging also wieder an und der Consul Spurius Albinus übernahm den Oberbefehl (644). Allein das africanische Heer war bis in die untersten Schichten hinab in derjenigen Zerrüttung, wie sie einer solchen politischen und militärischen Oberleitung angemessen ist. Nicht bloſs von Disciplin war die Rede nicht mehr und die Plünderung der nu- midischen Ortschaften, ja des römischen Provinzialgebiets wäh- rend der Waffenruhe das Hauptgeschäft der römischen Solda- tesca gewesen, sondern es hatten auch nicht wenige Offiziere und Soldaten so gut wie ihre Generale heimliche Einverständnisse angeknüpft mit dem Feinde. Daſs ein solches Heer im Felde nichts ausrichten konnte, ist begreiflich, und wenn Jugurtha auch diesmal vom römischen Obergeneral die Unthätigkeit kaufte, wie dies später gegen denselben gerichtlich geltend gemacht ward, so that er wahrlich ein Uebriges. Indeſs wenn Spurius Albinus sich begnügt hatte nichts zu thun, so kam dagegen sein Bruder, der nach seiner Entfernung interimistisch den Oberbefehl über- nahm, der ebenso tolldreiste als unfähige Aulus Postumius, mit- ten im Winter auf den Gedanken durch einen kühnen Hand- streich sich der Schätze des Königs zu bemächtigen, die in der schwer zugänglichen und schwerer zu erobernden Stadt Suthul (später Calama, jetzt Guelma) sich befanden. Das Heer brach dahin auf und erreichte die Stadt; allein die Belagerung war so erfolglos, daſs der römische Feldherr es vorzog den König zu verfolgen, als derselbe, nachdem er eine Zeitlang mit seinen Trup- pen vor der Stadt gestanden, in die Wüste entwich. Dies eben hatte Jugurtha beabsichtigt; durch einen nächtlichen Angriff, wo- bei die Schwierigkeiten des Terrains und Jugurthas Einverständ- nisse in der römischen Armee zusammenwirkten, eroberten die Numidier das römische Lager und trieben die groſsentheils waf- fenlosen Römer in der vollständigsten und schimpflichsten Flucht vor sich her. Die Folge war eine Capitulation, deren Bedingun- gen: Abzug des römischen Heeres unter dem Joch, sofortige Räumung des ganzen numidischen Gebiets, Erneuerung des vom Senat cassirten Bündniſsvertrages, von Jugurtha dictirt und von den Römern angenommen wurden (Anfang 645). Dies war denn doch zu arg. Während die Africaner jubel- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0148" n="138"/><fw place="top" type="header">VIERTES BUCH. KAPITEL IV.</fw><lb/> verübte Verbrechen gab wenigstens insofern den Ausschlag, als<lb/> der Senat nun den Frieden cassirte und den König aus der Stadt<lb/> auswies (Winter 64¾). Der Krieg ging also wieder an und<lb/> der Consul Spurius Albinus übernahm den Oberbefehl (644).<lb/> Allein das africanische Heer war bis in die untersten Schichten<lb/> hinab in derjenigen Zerrüttung, wie sie einer solchen politischen<lb/> und militärischen Oberleitung angemessen ist. Nicht bloſs von<lb/> Disciplin war die Rede nicht mehr und die Plünderung der nu-<lb/> midischen Ortschaften, ja des römischen Provinzialgebiets wäh-<lb/> rend der Waffenruhe das Hauptgeschäft der römischen Solda-<lb/> tesca gewesen, sondern es hatten auch nicht wenige Offiziere<lb/> und Soldaten so gut wie ihre Generale heimliche Einverständnisse<lb/> angeknüpft mit dem Feinde. Daſs ein solches Heer im Felde<lb/> nichts ausrichten konnte, ist begreiflich, und wenn Jugurtha<lb/> auch diesmal vom römischen Obergeneral die Unthätigkeit kaufte,<lb/> wie dies später gegen denselben gerichtlich geltend gemacht ward,<lb/> so that er wahrlich ein Uebriges. Indeſs wenn Spurius Albinus<lb/> sich begnügt hatte nichts zu thun, so kam dagegen sein Bruder,<lb/> der nach seiner Entfernung interimistisch den Oberbefehl über-<lb/> nahm, der ebenso tolldreiste als unfähige Aulus Postumius, mit-<lb/> ten im Winter auf den Gedanken durch einen kühnen Hand-<lb/> streich sich der Schätze des Königs zu bemächtigen, die in der<lb/> schwer zugänglichen und schwerer zu erobernden Stadt Suthul<lb/> (später Calama, jetzt Guelma) sich befanden. Das Heer brach<lb/> dahin auf und erreichte die Stadt; allein die Belagerung war so<lb/> erfolglos, daſs der römische Feldherr es vorzog den König zu<lb/> verfolgen, als derselbe, nachdem er eine Zeitlang mit seinen Trup-<lb/> pen vor der Stadt gestanden, in die Wüste entwich. Dies eben<lb/> hatte Jugurtha beabsichtigt; durch einen nächtlichen Angriff, wo-<lb/> bei die Schwierigkeiten des Terrains und Jugurthas Einverständ-<lb/> nisse in der römischen Armee zusammenwirkten, eroberten die<lb/> Numidier das römische Lager und trieben die groſsentheils waf-<lb/> fenlosen Römer in der vollständigsten und schimpflichsten Flucht<lb/> vor sich her. Die Folge war eine Capitulation, deren Bedingun-<lb/> gen: Abzug des römischen Heeres unter dem Joch, sofortige<lb/> Räumung des ganzen numidischen Gebiets, Erneuerung des vom<lb/> Senat cassirten Bündniſsvertrages, von Jugurtha dictirt und von<lb/> den Römern angenommen wurden (Anfang 645).</p><lb/> <p>Dies war denn doch zu arg. Während die Africaner jubel-<lb/> ten und die plötzlich sich eröffnende Aussicht auf den kaum<lb/> noch für möglich gehaltenen Sturz der Fremdherrschaft zahl-<lb/> reiche Stämme der freien und halbfreien Wüstenbewohner un-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [138/0148]
VIERTES BUCH. KAPITEL IV.
verübte Verbrechen gab wenigstens insofern den Ausschlag, als
der Senat nun den Frieden cassirte und den König aus der Stadt
auswies (Winter 64¾). Der Krieg ging also wieder an und
der Consul Spurius Albinus übernahm den Oberbefehl (644).
Allein das africanische Heer war bis in die untersten Schichten
hinab in derjenigen Zerrüttung, wie sie einer solchen politischen
und militärischen Oberleitung angemessen ist. Nicht bloſs von
Disciplin war die Rede nicht mehr und die Plünderung der nu-
midischen Ortschaften, ja des römischen Provinzialgebiets wäh-
rend der Waffenruhe das Hauptgeschäft der römischen Solda-
tesca gewesen, sondern es hatten auch nicht wenige Offiziere
und Soldaten so gut wie ihre Generale heimliche Einverständnisse
angeknüpft mit dem Feinde. Daſs ein solches Heer im Felde
nichts ausrichten konnte, ist begreiflich, und wenn Jugurtha
auch diesmal vom römischen Obergeneral die Unthätigkeit kaufte,
wie dies später gegen denselben gerichtlich geltend gemacht ward,
so that er wahrlich ein Uebriges. Indeſs wenn Spurius Albinus
sich begnügt hatte nichts zu thun, so kam dagegen sein Bruder,
der nach seiner Entfernung interimistisch den Oberbefehl über-
nahm, der ebenso tolldreiste als unfähige Aulus Postumius, mit-
ten im Winter auf den Gedanken durch einen kühnen Hand-
streich sich der Schätze des Königs zu bemächtigen, die in der
schwer zugänglichen und schwerer zu erobernden Stadt Suthul
(später Calama, jetzt Guelma) sich befanden. Das Heer brach
dahin auf und erreichte die Stadt; allein die Belagerung war so
erfolglos, daſs der römische Feldherr es vorzog den König zu
verfolgen, als derselbe, nachdem er eine Zeitlang mit seinen Trup-
pen vor der Stadt gestanden, in die Wüste entwich. Dies eben
hatte Jugurtha beabsichtigt; durch einen nächtlichen Angriff, wo-
bei die Schwierigkeiten des Terrains und Jugurthas Einverständ-
nisse in der römischen Armee zusammenwirkten, eroberten die
Numidier das römische Lager und trieben die groſsentheils waf-
fenlosen Römer in der vollständigsten und schimpflichsten Flucht
vor sich her. Die Folge war eine Capitulation, deren Bedingun-
gen: Abzug des römischen Heeres unter dem Joch, sofortige
Räumung des ganzen numidischen Gebiets, Erneuerung des vom
Senat cassirten Bündniſsvertrages, von Jugurtha dictirt und von
den Römern angenommen wurden (Anfang 645).
Dies war denn doch zu arg. Während die Africaner jubel-
ten und die plötzlich sich eröffnende Aussicht auf den kaum
noch für möglich gehaltenen Sturz der Fremdherrschaft zahl-
reiche Stämme der freien und halbfreien Wüstenbewohner un-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |