Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.VIERTES BUCH. KAPITEL IV. die Stadt selber zu kaufen. Allein es waren dies Dinge, die mannicht erst bei Gelegenheit des africanischen Krieges erfuhr; das ganze äussere und innere Regiment dieser Zeit trug denselben Stempel und nur der Zufall, dass uns der Krieg in Africa durch bessere Berichte näher gerückt ist als die anderen gleichzeitigen mititärischen und politischen Ereignisse, verschiebt für uns die richtige Perspective. Dass man für die längst bekannte Thatsache, dass die Regierung ebenso unfähig als niederträchtig sei, jetzt noch einige neue noch stärkere und noch unwiderleglichere Be- weise in Händen hatte, hätte von Wichtigkeit sein können, wenn es eine Opposition und eine öffentliche Meinung gegeben hätte, mit denen die Regierung genöthigt gewesen wäre sich abzufin- den; allein dieser Krieg hatte in der That nicht minder die Re- gierung prostituirt als die vollständige Nichtigkeit der Opposition offenbart. Es war nicht möglich schlechter zu regieren als die Restauration in den Jahren 637-645 es that, nicht möglich wehrloser und verlorener dazustehen als der römische Senat im J. 645 stand; hätte es in der That eine Opposition in Rom ge- geben, das heisst eine Partei, die eine principielle Abänderung der Verfassung wünschte und betrieb, so musste nothwendig jetzt wenigstens ein Versuch erfolgen, das restaurirte Senatsregiment zu stürzen. Es geschah nicht; man machte aus der politischen eine Personenfrage, wechselte die Feldherren und schickte ein paar nichtsnutzige und unbedeutende Leute in die Verbannung. Das heisst, es stand fortan fest, dass die sogenannte Popularpartei als solche weder regieren konnte noch regieren wollte; dass es in Rom schlechterdings nur zwei mögliche Regierungsformen gab, die Tyrannis und die Oligarchie; dass, so lange es zufällig an einer Persönlichkeit fehlte, die wo nicht bedeutend, doch bekannt genug war, um sich zum Staatsoberhaupt aufzuwerfen, die ärgste Misswirthschaft höchstens einzelne Oligarchen, aber niemals die Oligarchie gefährdete; dass dagegen, so wie ein solcher Präten- dent auftrat, nichts leichter war als die morschen curulischen Stühle zu erschüttern. In dieser Hinsicht war das Auftreten des Marius bezeichnend, eben weil es an sich so völlig unmotivirt war. Wenn die Bürgerschaft nach Albinus Niederlage die Curie gestürmt hätte, es wäre begreiflich, um nicht zu sagen in der Ordnung gewesen; aber nach der Wendung, die Metellus dem numidischen Kriege gegeben hatte, konnte von schlechter Ver- waltung, geschweige denn von Gefahr für das Gemeinwesen wenigstens in dieser Beziehung nicht mehr die Rede sein; und dennoch gelang es dem ersten besten ehrgeizigen Offizier das VIERTES BUCH. KAPITEL IV. die Stadt selber zu kaufen. Allein es waren dies Dinge, die mannicht erst bei Gelegenheit des africanischen Krieges erfuhr; das ganze äuſsere und innere Regiment dieser Zeit trug denselben Stempel und nur der Zufall, daſs uns der Krieg in Africa durch bessere Berichte näher gerückt ist als die anderen gleichzeitigen mititärischen und politischen Ereignisse, verschiebt für uns die richtige Perspective. Daſs man für die längst bekannte Thatsache, daſs die Regierung ebenso unfähig als niederträchtig sei, jetzt noch einige neue noch stärkere und noch unwiderleglichere Be- weise in Händen hatte, hätte von Wichtigkeit sein können, wenn es eine Opposition und eine öffentliche Meinung gegeben hätte, mit denen die Regierung genöthigt gewesen wäre sich abzufin- den; allein dieser Krieg hatte in der That nicht minder die Re- gierung prostituirt als die vollständige Nichtigkeit der Opposition offenbart. Es war nicht möglich schlechter zu regieren als die Restauration in den Jahren 637-645 es that, nicht möglich wehrloser und verlorener dazustehen als der römische Senat im J. 645 stand; hätte es in der That eine Opposition in Rom ge- geben, das heiſst eine Partei, die eine principielle Abänderung der Verfassung wünschte und betrieb, so muſste nothwendig jetzt wenigstens ein Versuch erfolgen, das restaurirte Senatsregiment zu stürzen. Es geschah nicht; man machte aus der politischen eine Personenfrage, wechselte die Feldherren und schickte ein paar nichtsnutzige und unbedeutende Leute in die Verbannung. Das heiſst, es stand fortan fest, daſs die sogenannte Popularpartei als solche weder regieren konnte noch regieren wollte; daſs es in Rom schlechterdings nur zwei mögliche Regierungsformen gab, die Tyrannis und die Oligarchie; daſs, so lange es zufällig an einer Persönlichkeit fehlte, die wo nicht bedeutend, doch bekannt genug war, um sich zum Staatsoberhaupt aufzuwerfen, die ärgste Miſswirthschaft höchstens einzelne Oligarchen, aber niemals die Oligarchie gefährdete; daſs dagegen, so wie ein solcher Präten- dent auftrat, nichts leichter war als die morschen curulischen Stühle zu erschüttern. In dieser Hinsicht war das Auftreten des Marius bezeichnend, eben weil es an sich so völlig unmotivirt war. Wenn die Bürgerschaft nach Albinus Niederlage die Curie gestürmt hätte, es wäre begreiflich, um nicht zu sagen in der Ordnung gewesen; aber nach der Wendung, die Metellus dem numidischen Kriege gegeben hatte, konnte von schlechter Ver- waltung, geschweige denn von Gefahr für das Gemeinwesen wenigstens in dieser Beziehung nicht mehr die Rede sein; und dennoch gelang es dem ersten besten ehrgeizigen Offizier das <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0160" n="150"/><fw place="top" type="header">VIERTES BUCH. KAPITEL IV.</fw><lb/> die Stadt selber zu kaufen. Allein es waren dies Dinge, die man<lb/> nicht erst bei Gelegenheit des africanischen Krieges erfuhr; das<lb/> ganze äuſsere und innere Regiment dieser Zeit trug denselben<lb/> Stempel und nur der Zufall, daſs uns der Krieg in Africa durch<lb/> bessere Berichte näher gerückt ist als die anderen gleichzeitigen<lb/> mititärischen und politischen Ereignisse, verschiebt für uns die<lb/> richtige Perspective. Daſs man für die längst bekannte Thatsache,<lb/> daſs die Regierung ebenso unfähig als niederträchtig sei, jetzt<lb/> noch einige neue noch stärkere und noch unwiderleglichere Be-<lb/> weise in Händen hatte, hätte von Wichtigkeit sein können, wenn<lb/> es eine Opposition und eine öffentliche Meinung gegeben hätte,<lb/> mit denen die Regierung genöthigt gewesen wäre sich abzufin-<lb/> den; allein dieser Krieg hatte in der That nicht minder die Re-<lb/> gierung prostituirt als die vollständige Nichtigkeit der Opposition<lb/> offenbart. Es war nicht möglich schlechter zu regieren als die<lb/> Restauration in den Jahren 637-645 es that, nicht möglich<lb/> wehrloser und verlorener dazustehen als der römische Senat im<lb/> J. 645 stand; hätte es in der That eine Opposition in Rom ge-<lb/> geben, das heiſst eine Partei, die eine principielle Abänderung der<lb/> Verfassung wünschte und betrieb, so muſste nothwendig jetzt<lb/> wenigstens ein Versuch erfolgen, das restaurirte Senatsregiment<lb/> zu stürzen. Es geschah nicht; man machte aus der politischen<lb/> eine Personenfrage, wechselte die Feldherren und schickte ein<lb/> paar nichtsnutzige und unbedeutende Leute in die Verbannung.<lb/> Das heiſst, es stand fortan fest, daſs die sogenannte Popularpartei<lb/> als solche weder regieren konnte noch regieren wollte; daſs es in<lb/> Rom schlechterdings nur zwei mögliche Regierungsformen gab,<lb/> die Tyrannis und die Oligarchie; daſs, so lange es zufällig an<lb/> einer Persönlichkeit fehlte, die wo nicht bedeutend, doch bekannt<lb/> genug war, um sich zum Staatsoberhaupt aufzuwerfen, die ärgste<lb/> Miſswirthschaft höchstens einzelne Oligarchen, aber niemals die<lb/> Oligarchie gefährdete; daſs dagegen, so wie ein solcher Präten-<lb/> dent auftrat, nichts leichter war als die morschen curulischen<lb/> Stühle zu erschüttern. In dieser Hinsicht war das Auftreten des<lb/> Marius bezeichnend, eben weil es an sich so völlig unmotivirt<lb/> war. Wenn die Bürgerschaft nach Albinus Niederlage die Curie<lb/> gestürmt hätte, es wäre begreiflich, um nicht zu sagen in der<lb/> Ordnung gewesen; aber nach der Wendung, die Metellus dem<lb/> numidischen Kriege gegeben hatte, konnte von schlechter Ver-<lb/> waltung, geschweige denn von Gefahr für das Gemeinwesen<lb/> wenigstens in dieser Beziehung nicht mehr die Rede sein; und<lb/> dennoch gelang es dem ersten besten ehrgeizigen Offizier das<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [150/0160]
VIERTES BUCH. KAPITEL IV.
die Stadt selber zu kaufen. Allein es waren dies Dinge, die man
nicht erst bei Gelegenheit des africanischen Krieges erfuhr; das
ganze äuſsere und innere Regiment dieser Zeit trug denselben
Stempel und nur der Zufall, daſs uns der Krieg in Africa durch
bessere Berichte näher gerückt ist als die anderen gleichzeitigen
mititärischen und politischen Ereignisse, verschiebt für uns die
richtige Perspective. Daſs man für die längst bekannte Thatsache,
daſs die Regierung ebenso unfähig als niederträchtig sei, jetzt
noch einige neue noch stärkere und noch unwiderleglichere Be-
weise in Händen hatte, hätte von Wichtigkeit sein können, wenn
es eine Opposition und eine öffentliche Meinung gegeben hätte,
mit denen die Regierung genöthigt gewesen wäre sich abzufin-
den; allein dieser Krieg hatte in der That nicht minder die Re-
gierung prostituirt als die vollständige Nichtigkeit der Opposition
offenbart. Es war nicht möglich schlechter zu regieren als die
Restauration in den Jahren 637-645 es that, nicht möglich
wehrloser und verlorener dazustehen als der römische Senat im
J. 645 stand; hätte es in der That eine Opposition in Rom ge-
geben, das heiſst eine Partei, die eine principielle Abänderung der
Verfassung wünschte und betrieb, so muſste nothwendig jetzt
wenigstens ein Versuch erfolgen, das restaurirte Senatsregiment
zu stürzen. Es geschah nicht; man machte aus der politischen
eine Personenfrage, wechselte die Feldherren und schickte ein
paar nichtsnutzige und unbedeutende Leute in die Verbannung.
Das heiſst, es stand fortan fest, daſs die sogenannte Popularpartei
als solche weder regieren konnte noch regieren wollte; daſs es in
Rom schlechterdings nur zwei mögliche Regierungsformen gab,
die Tyrannis und die Oligarchie; daſs, so lange es zufällig an
einer Persönlichkeit fehlte, die wo nicht bedeutend, doch bekannt
genug war, um sich zum Staatsoberhaupt aufzuwerfen, die ärgste
Miſswirthschaft höchstens einzelne Oligarchen, aber niemals die
Oligarchie gefährdete; daſs dagegen, so wie ein solcher Präten-
dent auftrat, nichts leichter war als die morschen curulischen
Stühle zu erschüttern. In dieser Hinsicht war das Auftreten des
Marius bezeichnend, eben weil es an sich so völlig unmotivirt
war. Wenn die Bürgerschaft nach Albinus Niederlage die Curie
gestürmt hätte, es wäre begreiflich, um nicht zu sagen in der
Ordnung gewesen; aber nach der Wendung, die Metellus dem
numidischen Kriege gegeben hatte, konnte von schlechter Ver-
waltung, geschweige denn von Gefahr für das Gemeinwesen
wenigstens in dieser Beziehung nicht mehr die Rede sein; und
dennoch gelang es dem ersten besten ehrgeizigen Offizier das
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |