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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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stamm, der in Steiermark und Kärnthen unter dem Namen der
Taurisker, später der Noriker, in Friaul, Krain, Istrien unter dem
der Karner auftritt. Ihre Stadt Noreia (unweit St. Veit nörd-
lich von Klagenfurt) war blühend und weitbekannt durch die
schon damals in dieser Gegend eifrig betriebenen Eisengruben;
mehr noch wurden eben in dieser Zeit die Italiker dorthin ge-
lockt durch die dort neu aufgefundenen reichen Goldlager, bis
die Eingebornen sie ausschlossen und dies Californien der dama-
ligen Zeit für sich monopolisirten. Diese zu beiden Seiten der Al-
pen sich ergiessenden keltischen Schwärme hatten nach ihrer
Art vorwiegend nur das Flach- und Hügelland besetzt; dagegen
war die eigentliche Alpenlandschaft und ebenso das Gebiet der
Etsch und des untern Po von ihnen unbesetzt und in den Hän-
den der früher dort einheimischen Bevölkerung geblieben, welche,
ohne dass über ihre Nationalität bis jetzt etwas Sicheres zu er-
mitteln gelungen wäre, unter dem Namen der Raeter in den Ge-
birgen der Ostschweiz und Tirols, unter dem der Euganeer und
Veneter um Padua und Venedig auftreten, so dass an diesem
letzten Punct die beiden grossen Keltenströme fast sich berühren
und nur ein schmaler Streif eingeborner Bevölkerung die kelti-
schen Cenomaner um Brescia von den keltischen Karnern in
Friaul scheidet. Die Euganeer und Veneter waren längst fried-
liche Unterthanen der Römer; dagegen die eigentlichen Alpenvöl-
ker waren nicht bloss noch frei, sondern machten auch von ihren
Bergen herab regelmässig Streifzüge in die Ebene zwischen den
Alpen und dem Po, wo sie sich nicht begnügten zu brand-
schatzen, sondern auch in den eingenommenen Ortschaften mit
fürchterlicher Grausamkeit hausten und nicht selten die ganze
männliche Bevölkerung bis zum Kinde in den Windeln nieder-

so ist dies damit nicht im Widerspruch, denn da er hier von den Hel-
vetiern spricht, kann er sehr wohl die Landschaft nordöstlich vom Boden-
see meinen; womit vollkommen übereinstimmt, dass Strabon (7, 292) die
ehemals boische Landschaft als dem Bodensee angrenzend bezeichnet, nur
dass er nicht ganz genau daneben als Anwohner des Bodensees die Vin-
deliker nennt, welche ja eben diese von den Boiern geräumten Striche be-
setzten. Aus diesen ihren Sitzen waren die Boier von den Marcomannen
und andern deutschen Stämmen schon vor Poseidonios Zeit, also vor 650
vertrieben; Splitter derselben irrten zu Caesars Zeit in Kärnthen um-
her (Caesar b. G. I, 5) und kamen von da zu den Helvetiern und in das
westliche Gallien; ein andrer Schwarm fand neue Sitze am Plattensee, wo
er um 700 von den Geten vernichtet ward, die Landschaft aber, die ,boi-
sche Einöde', den Namen dieses geplagtesten aller keltischen Völker be-
wahrte.

VIERTES BUCH. KAPITEL V.
stamm, der in Steiermark und Kärnthen unter dem Namen der
Taurisker, später der Noriker, in Friaul, Krain, Istrien unter dem
der Karner auftritt. Ihre Stadt Noreia (unweit St. Veit nörd-
lich von Klagenfurt) war blühend und weitbekannt durch die
schon damals in dieser Gegend eifrig betriebenen Eisengruben;
mehr noch wurden eben in dieser Zeit die Italiker dorthin ge-
lockt durch die dort neu aufgefundenen reichen Goldlager, bis
die Eingebornen sie ausschlossen und dies Californien der dama-
ligen Zeit für sich monopolisirten. Diese zu beiden Seiten der Al-
pen sich ergieſsenden keltischen Schwärme hatten nach ihrer
Art vorwiegend nur das Flach- und Hügelland besetzt; dagegen
war die eigentliche Alpenlandschaft und ebenso das Gebiet der
Etsch und des untern Po von ihnen unbesetzt und in den Hän-
den der früher dort einheimischen Bevölkerung geblieben, welche,
ohne daſs über ihre Nationalität bis jetzt etwas Sicheres zu er-
mitteln gelungen wäre, unter dem Namen der Raeter in den Ge-
birgen der Ostschweiz und Tirols, unter dem der Euganeer und
Veneter um Padua und Venedig auftreten, so daſs an diesem
letzten Punct die beiden groſsen Keltenströme fast sich berühren
und nur ein schmaler Streif eingeborner Bevölkerung die kelti-
schen Cenomaner um Brescia von den keltischen Karnern in
Friaul scheidet. Die Euganeer und Veneter waren längst fried-
liche Unterthanen der Römer; dagegen die eigentlichen Alpenvöl-
ker waren nicht bloſs noch frei, sondern machten auch von ihren
Bergen herab regelmäſsig Streifzüge in die Ebene zwischen den
Alpen und dem Po, wo sie sich nicht begnügten zu brand-
schatzen, sondern auch in den eingenommenen Ortschaften mit
fürchterlicher Grausamkeit hausten und nicht selten die ganze
männliche Bevölkerung bis zum Kinde in den Windeln nieder-

so ist dies damit nicht im Widerspruch, denn da er hier von den Hel-
vetiern spricht, kann er sehr wohl die Landschaft nordöstlich vom Boden-
see meinen; womit vollkommen übereinstimmt, daſs Strabon (7, 292) die
ehemals boische Landschaft als dem Bodensee angrenzend bezeichnet, nur
daſs er nicht ganz genau daneben als Anwohner des Bodensees die Vin-
deliker nennt, welche ja eben diese von den Boiern geräumten Striche be-
setzten. Aus diesen ihren Sitzen waren die Boier von den Marcomannen
und andern deutschen Stämmen schon vor Poseidonios Zeit, also vor 650
vertrieben; Splitter derselben irrten zu Caesars Zeit in Kärnthen um-
her (Caesar b. G. I, 5) und kamen von da zu den Helvetiern und in das
westliche Gallien; ein andrer Schwarm fand neue Sitze am Plattensee, wo
er um 700 von den Geten vernichtet ward, die Landschaft aber, die ‚boi-
sche Einöde‘, den Namen dieses geplagtesten aller keltischen Völker be-
wahrte.
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[160/0170] VIERTES BUCH. KAPITEL V. stamm, der in Steiermark und Kärnthen unter dem Namen der Taurisker, später der Noriker, in Friaul, Krain, Istrien unter dem der Karner auftritt. Ihre Stadt Noreia (unweit St. Veit nörd- lich von Klagenfurt) war blühend und weitbekannt durch die schon damals in dieser Gegend eifrig betriebenen Eisengruben; mehr noch wurden eben in dieser Zeit die Italiker dorthin ge- lockt durch die dort neu aufgefundenen reichen Goldlager, bis die Eingebornen sie ausschlossen und dies Californien der dama- ligen Zeit für sich monopolisirten. Diese zu beiden Seiten der Al- pen sich ergieſsenden keltischen Schwärme hatten nach ihrer Art vorwiegend nur das Flach- und Hügelland besetzt; dagegen war die eigentliche Alpenlandschaft und ebenso das Gebiet der Etsch und des untern Po von ihnen unbesetzt und in den Hän- den der früher dort einheimischen Bevölkerung geblieben, welche, ohne daſs über ihre Nationalität bis jetzt etwas Sicheres zu er- mitteln gelungen wäre, unter dem Namen der Raeter in den Ge- birgen der Ostschweiz und Tirols, unter dem der Euganeer und Veneter um Padua und Venedig auftreten, so daſs an diesem letzten Punct die beiden groſsen Keltenströme fast sich berühren und nur ein schmaler Streif eingeborner Bevölkerung die kelti- schen Cenomaner um Brescia von den keltischen Karnern in Friaul scheidet. Die Euganeer und Veneter waren längst fried- liche Unterthanen der Römer; dagegen die eigentlichen Alpenvöl- ker waren nicht bloſs noch frei, sondern machten auch von ihren Bergen herab regelmäſsig Streifzüge in die Ebene zwischen den Alpen und dem Po, wo sie sich nicht begnügten zu brand- schatzen, sondern auch in den eingenommenen Ortschaften mit fürchterlicher Grausamkeit hausten und nicht selten die ganze männliche Bevölkerung bis zum Kinde in den Windeln nieder- ** ** so ist dies damit nicht im Widerspruch, denn da er hier von den Hel- vetiern spricht, kann er sehr wohl die Landschaft nordöstlich vom Boden- see meinen; womit vollkommen übereinstimmt, daſs Strabon (7, 292) die ehemals boische Landschaft als dem Bodensee angrenzend bezeichnet, nur daſs er nicht ganz genau daneben als Anwohner des Bodensees die Vin- deliker nennt, welche ja eben diese von den Boiern geräumten Striche be- setzten. Aus diesen ihren Sitzen waren die Boier von den Marcomannen und andern deutschen Stämmen schon vor Poseidonios Zeit, also vor 650 vertrieben; Splitter derselben irrten zu Caesars Zeit in Kärnthen um- her (Caesar b. G. I, 5) und kamen von da zu den Helvetiern und in das westliche Gallien; ein andrer Schwarm fand neue Sitze am Plattensee, wo er um 700 von den Geten vernichtet ward, die Landschaft aber, die ‚boi- sche Einöde‘, den Namen dieses geplagtesten aller keltischen Völker be- wahrte.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/170>, abgerufen am 11.12.2024.