Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.DIE VÖLKER DES NORDENS. wie man es auch für die wichtigeren Besitzungen in Epirus ge-than, sie von Italien aus mit dem diesseitigen Keltenland zugleich verwalten zu lassen, wobei es wenigstens als Regel auch dann blieb, als im J. 608 die Provinz Makedonien eingerichtet und deren nordöstliche Grenze nördlich von Skodra festgestellt worden war*. -- Grössere Bedeutung gewannen die Völkerverhältnisse im Nord- osten erst, nachdem die Umwandlung Makedoniens in eine von Rom unmittelbar abhängige Landschaft den Römern die Verpflich- tung auferlegte die überall offene Nord- und Ostgrenze gegen die angrenzenden barbarischen Stämme zu vertheidigen; wozu nicht lange darauf (621) die Erwerbung des bisher zum Reich der At- taliden gehörigen thrakischen Chersones (Halbinsel von Galli- poli) kam, wodurch die bisher den Königen von Pergamon ob- liegende Verpflichtung Lysimacheia gegen die Thraker zu schützen gleichfalls auf die Römer überging. Von der zwiefachen Basis aus, die das Pothal und die makedonische Landschaft darboten, wäre es nun möglich gewesen ernstlich gegen das Quellgebiet des Rheins und die Donau vorzugehen und der nördlichen Gebirge wenigstens insoweit sich zu bemächtigen, als die Sicherheit der südlichen Landschaften es erforderte. Auch in diesen Gegenden war damals die mächtigste Nation das grosse Keltenvolk, welches der einheimischen Sage (I, 209) zufolge aus seinen Sitzen am westlichen Ocean sich um dieselbe Zeit südlich der Hauptalpen- kette in das Pothal und nördlich derselben in die Landschaften am oberen Rhein und an der Donau ergossen hatte. Oestlich vom Rhein sassen von ihren Stämmen nächst am Fluss der mächtige, reiche und, da er mit den Römern nirgends sich un- mittelbar berührte, mit ihnen in Frieden und Vertrag lebende Stamm der Helvetier, die damals vom Genfersee bis zum Main sich erstreckend die heutige Schweiz, Schwaben und Franken inne gehabt zu haben scheinen. Mit ihnen grenzten die Boier, deren Sitze das heutige Baiern und Böhmen gewesen sein mö- gen**. Südöstlich von ihnen begegnen wir einem andern Kelten- * S. 39. Die Pirusten in den Thälern des Drin gehörten zur Provinz Makedonien, streiften aber hinüber in das benachbarte Illyricum (Caesar b. G. 5, 1). ** ,Zwischen dem herkynischen Walde (d. h. hier wohl der rauhen
Alp), dem Rhein und dem Main wohnten die Helvetier', sagt Tacitus (Germ. 28), ,weiter hin die Boier'. Auch Poseidonios (bei Strabon 7, 293) giebt an, dass die Boier zu der Zeit, wo sie die Kimbrer abschlugen, den herky- nischen Wald bewohnten, d. h. die Gebirge von der rauhen Alp bis zum Böhmerwald. Wenn Caesar sie ,jenseit des Rheines' versetzt (b. G. I, 5), DIE VÖLKER DES NORDENS. wie man es auch für die wichtigeren Besitzungen in Epirus ge-than, sie von Italien aus mit dem diesseitigen Keltenland zugleich verwalten zu lassen, wobei es wenigstens als Regel auch dann blieb, als im J. 608 die Provinz Makedonien eingerichtet und deren nordöstliche Grenze nördlich von Skodra festgestellt worden war*. — Gröſsere Bedeutung gewannen die Völkerverhältnisse im Nord- osten erst, nachdem die Umwandlung Makedoniens in eine von Rom unmittelbar abhängige Landschaft den Römern die Verpflich- tung auferlegte die überall offene Nord- und Ostgrenze gegen die angrenzenden barbarischen Stämme zu vertheidigen; wozu nicht lange darauf (621) die Erwerbung des bisher zum Reich der At- taliden gehörigen thrakischen Chersones (Halbinsel von Galli- poli) kam, wodurch die bisher den Königen von Pergamon ob- liegende Verpflichtung Lysimacheia gegen die Thraker zu schützen gleichfalls auf die Römer überging. Von der zwiefachen Basis aus, die das Pothal und die makedonische Landschaft darboten, wäre es nun möglich gewesen ernstlich gegen das Quellgebiet des Rheins und die Donau vorzugehen und der nördlichen Gebirge wenigstens insoweit sich zu bemächtigen, als die Sicherheit der südlichen Landschaften es erforderte. Auch in diesen Gegenden war damals die mächtigste Nation das groſse Keltenvolk, welches der einheimischen Sage (I, 209) zufolge aus seinen Sitzen am westlichen Ocean sich um dieselbe Zeit südlich der Hauptalpen- kette in das Pothal und nördlich derselben in die Landschaften am oberen Rhein und an der Donau ergossen hatte. Oestlich vom Rhein saſsen von ihren Stämmen nächst am Fluſs der mächtige, reiche und, da er mit den Römern nirgends sich un- mittelbar berührte, mit ihnen in Frieden und Vertrag lebende Stamm der Helvetier, die damals vom Genfersee bis zum Main sich erstreckend die heutige Schweiz, Schwaben und Franken inne gehabt zu haben scheinen. Mit ihnen grenzten die Boier, deren Sitze das heutige Baiern und Böhmen gewesen sein mö- gen**. Südöstlich von ihnen begegnen wir einem andern Kelten- * S. 39. Die Pirusten in den Thälern des Drin gehörten zur Provinz Makedonien, streiften aber hinüber in das benachbarte Illyricum (Caesar b. G. 5, 1). ** ‚Zwischen dem herkynischen Walde (d. h. hier wohl der rauhen
Alp), dem Rhein und dem Main wohnten die Helvetier‘, sagt Tacitus (Germ. 28), ‚weiter hin die Boier‘. Auch Poseidonios (bei Strabon 7, 293) giebt an, daſs die Boier zu der Zeit, wo sie die Kimbrer abschlugen, den herky- nischen Wald bewohnten, d. h. die Gebirge von der rauhen Alp bis zum Böhmerwald. Wenn Caesar sie ‚jenseit des Rheines‘ versetzt (b. G. I, 5), <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0169" n="159"/><fw place="top" type="header">DIE VÖLKER DES NORDENS.</fw><lb/> wie man es auch für die wichtigeren Besitzungen in Epirus ge-<lb/> than, sie von Italien aus mit dem diesseitigen Keltenland zugleich<lb/> verwalten zu lassen, wobei es wenigstens als Regel auch dann<lb/> blieb, als im J. 608 die Provinz Makedonien eingerichtet und deren<lb/> nordöstliche Grenze nördlich von Skodra festgestellt worden war<note place="foot" n="*">S. 39. Die Pirusten in den Thälern des Drin gehörten zur Provinz<lb/> Makedonien, streiften aber hinüber in das benachbarte Illyricum (Caesar<lb/><hi rendition="#i">b. G.</hi> 5, 1).</note>.<lb/> — Gröſsere Bedeutung gewannen die Völkerverhältnisse im Nord-<lb/> osten erst, nachdem die Umwandlung Makedoniens in eine von<lb/> Rom unmittelbar abhängige Landschaft den Römern die Verpflich-<lb/> tung auferlegte die überall offene Nord- und Ostgrenze gegen die<lb/> angrenzenden barbarischen Stämme zu vertheidigen; wozu nicht<lb/> lange darauf (621) die Erwerbung des bisher zum Reich der At-<lb/> taliden gehörigen thrakischen Chersones (Halbinsel von Galli-<lb/> poli) kam, wodurch die bisher den Königen von Pergamon ob-<lb/> liegende Verpflichtung Lysimacheia gegen die Thraker zu schützen<lb/> gleichfalls auf die Römer überging. Von der zwiefachen Basis<lb/> aus, die das Pothal und die makedonische Landschaft darboten,<lb/> wäre es nun möglich gewesen ernstlich gegen das Quellgebiet des<lb/> Rheins und die Donau vorzugehen und der nördlichen Gebirge<lb/> wenigstens insoweit sich zu bemächtigen, als die Sicherheit der<lb/> südlichen Landschaften es erforderte. Auch in diesen Gegenden<lb/> war damals die mächtigste Nation das groſse Keltenvolk, welches<lb/> der einheimischen Sage (I, 209) zufolge aus seinen Sitzen am<lb/> westlichen Ocean sich um dieselbe Zeit südlich der Hauptalpen-<lb/> kette in das Pothal und nördlich derselben in die Landschaften<lb/> am oberen Rhein und an der Donau ergossen hatte. Oestlich<lb/> vom Rhein saſsen von ihren Stämmen nächst am Fluſs der<lb/> mächtige, reiche und, da er mit den Römern nirgends sich un-<lb/> mittelbar berührte, mit ihnen in Frieden und Vertrag lebende<lb/> Stamm der Helvetier, die damals vom Genfersee bis zum Main<lb/> sich erstreckend die heutige Schweiz, Schwaben und Franken<lb/> inne gehabt zu haben scheinen. Mit ihnen grenzten die Boier,<lb/> deren Sitze das heutige Baiern und Böhmen gewesen sein mö-<lb/> gen<note xml:id="note-0170" next="#note-0171" place="foot" n="**">‚Zwischen dem herkynischen Walde (d. h. hier wohl der rauhen<lb/> Alp), dem Rhein und dem Main wohnten die Helvetier‘, sagt Tacitus (Germ.<lb/> 28), ‚weiter hin die Boier‘. Auch Poseidonios (bei Strabon 7, 293) giebt<lb/> an, daſs die Boier zu der Zeit, wo sie die Kimbrer abschlugen, den herky-<lb/> nischen Wald bewohnten, d. h. die Gebirge von der rauhen Alp bis zum<lb/> Böhmerwald. Wenn Caesar sie ‚jenseit des Rheines‘ versetzt (<hi rendition="#i">b. G.</hi> I, 5),</note>. Südöstlich von ihnen begegnen wir einem andern Kelten-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [159/0169]
DIE VÖLKER DES NORDENS.
wie man es auch für die wichtigeren Besitzungen in Epirus ge-
than, sie von Italien aus mit dem diesseitigen Keltenland zugleich
verwalten zu lassen, wobei es wenigstens als Regel auch dann
blieb, als im J. 608 die Provinz Makedonien eingerichtet und deren
nordöstliche Grenze nördlich von Skodra festgestellt worden war *.
— Gröſsere Bedeutung gewannen die Völkerverhältnisse im Nord-
osten erst, nachdem die Umwandlung Makedoniens in eine von
Rom unmittelbar abhängige Landschaft den Römern die Verpflich-
tung auferlegte die überall offene Nord- und Ostgrenze gegen die
angrenzenden barbarischen Stämme zu vertheidigen; wozu nicht
lange darauf (621) die Erwerbung des bisher zum Reich der At-
taliden gehörigen thrakischen Chersones (Halbinsel von Galli-
poli) kam, wodurch die bisher den Königen von Pergamon ob-
liegende Verpflichtung Lysimacheia gegen die Thraker zu schützen
gleichfalls auf die Römer überging. Von der zwiefachen Basis
aus, die das Pothal und die makedonische Landschaft darboten,
wäre es nun möglich gewesen ernstlich gegen das Quellgebiet des
Rheins und die Donau vorzugehen und der nördlichen Gebirge
wenigstens insoweit sich zu bemächtigen, als die Sicherheit der
südlichen Landschaften es erforderte. Auch in diesen Gegenden
war damals die mächtigste Nation das groſse Keltenvolk, welches
der einheimischen Sage (I, 209) zufolge aus seinen Sitzen am
westlichen Ocean sich um dieselbe Zeit südlich der Hauptalpen-
kette in das Pothal und nördlich derselben in die Landschaften
am oberen Rhein und an der Donau ergossen hatte. Oestlich
vom Rhein saſsen von ihren Stämmen nächst am Fluſs der
mächtige, reiche und, da er mit den Römern nirgends sich un-
mittelbar berührte, mit ihnen in Frieden und Vertrag lebende
Stamm der Helvetier, die damals vom Genfersee bis zum Main
sich erstreckend die heutige Schweiz, Schwaben und Franken
inne gehabt zu haben scheinen. Mit ihnen grenzten die Boier,
deren Sitze das heutige Baiern und Böhmen gewesen sein mö-
gen **. Südöstlich von ihnen begegnen wir einem andern Kelten-
* S. 39. Die Pirusten in den Thälern des Drin gehörten zur Provinz
Makedonien, streiften aber hinüber in das benachbarte Illyricum (Caesar
b. G. 5, 1).
** ‚Zwischen dem herkynischen Walde (d. h. hier wohl der rauhen
Alp), dem Rhein und dem Main wohnten die Helvetier‘, sagt Tacitus (Germ.
28), ‚weiter hin die Boier‘. Auch Poseidonios (bei Strabon 7, 293) giebt
an, daſs die Boier zu der Zeit, wo sie die Kimbrer abschlugen, den herky-
nischen Wald bewohnten, d. h. die Gebirge von der rauhen Alp bis zum
Böhmerwald. Wenn Caesar sie ‚jenseit des Rheines‘ versetzt (b. G. I, 5),
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