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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL V.
schem Besitz (I, 486); in Epirus und dem ehemaligen Gebiet
der Herren von Skodra geboten sie zum Theil bereits geraume
Zeit früher. Allein nirgends reichte ihre Herrschaft ins Binnen-
land hinein und selbst an der Küste heherrschten sie kaum dem
Namen nach den unwirthlichen Ufersaum zwischen Istrien und
Epirus, der in seinen wildverschlungenen weder von Flussthälern
noch von Küstenebenen unterbrochenen schuppenartig an einan-
der gereihten Bergkesseln und in der längs des Ufers sich hinzie-
henden Kette felsiger Inseln Italien und Griechenland mehr scheidet
als zusammenknüpft. Um die Stadt Delmion schloss sich hier die
Eidgenossenschaft der Delmater oder Dalmater, deren Sitten rauh
waren wie ihre Berge: während die Nachbarvölker bereits zu rei-
cher Culturentwicklung gelangt waren, kannte man in Dalmatien
noch keine Münze und theilte den Acker, ohne daran ein Son-
dereigenthum anzuerkennen, von acht zu acht Jahren neu auf
unter die gemeindsässigen Leute. Land- und Seeraub waren die
einzigen bei ihnen heimischen Gewerbe. Diese Völkerschaften
hatten in früheren Zeiten in einem losen Abhängigkeitsverhält-
niss zu den Herren von Skodra gestanden und waren insofern
mitbetroffen worden von den römischen Expeditionen gegen die
Königin Teuta (I, 369) und Demetrios von Pharos (I, 371);
allein bei dem Regierungsantritt des Königs Genthios hatten sie
sich losgemacht und waren dadurch dem Schicksal entgangen,
das das südliche Illyrien in den Sturz des makedonischen Rei-
ches verflocht und es von Rom dauernd abhängig machte (I,
589). Die Römer überliessen die wenig lockende Landschaft
gern sich selbst. Allein die Klagen der römischen Illyrier, na-
mentlich der Daorser, die an der Narenta südlich von den Dal-
matern wohnten, und der Bewohner der Insel Issa (Lissa), deren
continentale Stationen Tragyrion (Trau) und Epetion (bei Spa-
latro) von den Eingebornen schwer zu leiden hatten, nöthigten
die römische Regierung an die Dalmater eine Gesandtschaft ab-
zuordnen und, da diese die Antwort zurückbrachte, dass die Dal-
mater um die Römer sich nicht gekümmert hätten noch küm-
mern würden, im J. 598 ein Heer unter dem Consul Gaius Mar-
cius Figulus dorthin zu senden. Er drang in Dalmatien ein,
ward aber wieder zurückgedrängt bis auf das römische Gebiet.
Erst sein Nachfolger Publius Scipio Nasica nahm 599 die grosse
und feste Stadt Delmion ein, worauf die Eidgenossenschaft sich
zum Ziel legte und sich bekannte als den Römern unterthänig.
Indess war die sehr oberflächliche Erwerbung nicht wichtig genug
um als eigenes Amt constituirt zu werden; man begnügte sich,

VIERTES BUCH. KAPITEL V.
schem Besitz (I, 486); in Epirus und dem ehemaligen Gebiet
der Herren von Skodra geboten sie zum Theil bereits geraume
Zeit früher. Allein nirgends reichte ihre Herrschaft ins Binnen-
land hinein und selbst an der Küste heherrschten sie kaum dem
Namen nach den unwirthlichen Ufersaum zwischen Istrien und
Epirus, der in seinen wildverschlungenen weder von Fluſsthälern
noch von Küstenebenen unterbrochenen schuppenartig an einan-
der gereihten Bergkesseln und in der längs des Ufers sich hinzie-
henden Kette felsiger Inseln Italien und Griechenland mehr scheidet
als zusammenknüpft. Um die Stadt Delmion schloſs sich hier die
Eidgenossenschaft der Delmater oder Dalmater, deren Sitten rauh
waren wie ihre Berge: während die Nachbarvölker bereits zu rei-
cher Culturentwicklung gelangt waren, kannte man in Dalmatien
noch keine Münze und theilte den Acker, ohne daran ein Son-
dereigenthum anzuerkennen, von acht zu acht Jahren neu auf
unter die gemeindsässigen Leute. Land- und Seeraub waren die
einzigen bei ihnen heimischen Gewerbe. Diese Völkerschaften
hatten in früheren Zeiten in einem losen Abhängigkeitsverhält-
niſs zu den Herren von Skodra gestanden und waren insofern
mitbetroffen worden von den römischen Expeditionen gegen die
Königin Teuta (I, 369) und Demetrios von Pharos (I, 371);
allein bei dem Regierungsantritt des Königs Genthios hatten sie
sich losgemacht und waren dadurch dem Schicksal entgangen,
das das südliche Illyrien in den Sturz des makedonischen Rei-
ches verflocht und es von Rom dauernd abhängig machte (I,
589). Die Römer überlieſsen die wenig lockende Landschaft
gern sich selbst. Allein die Klagen der römischen Illyrier, na-
mentlich der Daorser, die an der Narenta südlich von den Dal-
matern wohnten, und der Bewohner der Insel Issa (Lissa), deren
continentale Stationen Tragyrion (Trau) und Epetion (bei Spa-
latro) von den Eingebornen schwer zu leiden hatten, nöthigten
die römische Regierung an die Dalmater eine Gesandtschaft ab-
zuordnen und, da diese die Antwort zurückbrachte, daſs die Dal-
mater um die Römer sich nicht gekümmert hätten noch küm-
mern würden, im J. 598 ein Heer unter dem Consul Gaius Mar-
cius Figulus dorthin zu senden. Er drang in Dalmatien ein,
ward aber wieder zurückgedrängt bis auf das römische Gebiet.
Erst sein Nachfolger Publius Scipio Nasica nahm 599 die groſse
und feste Stadt Delmion ein, worauf die Eidgenossenschaft sich
zum Ziel legte und sich bekannte als den Römern unterthänig.
Indeſs war die sehr oberflächliche Erwerbung nicht wichtig genug
um als eigenes Amt constituirt zu werden; man begnügte sich,

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[158/0168] VIERTES BUCH. KAPITEL V. schem Besitz (I, 486); in Epirus und dem ehemaligen Gebiet der Herren von Skodra geboten sie zum Theil bereits geraume Zeit früher. Allein nirgends reichte ihre Herrschaft ins Binnen- land hinein und selbst an der Küste heherrschten sie kaum dem Namen nach den unwirthlichen Ufersaum zwischen Istrien und Epirus, der in seinen wildverschlungenen weder von Fluſsthälern noch von Küstenebenen unterbrochenen schuppenartig an einan- der gereihten Bergkesseln und in der längs des Ufers sich hinzie- henden Kette felsiger Inseln Italien und Griechenland mehr scheidet als zusammenknüpft. Um die Stadt Delmion schloſs sich hier die Eidgenossenschaft der Delmater oder Dalmater, deren Sitten rauh waren wie ihre Berge: während die Nachbarvölker bereits zu rei- cher Culturentwicklung gelangt waren, kannte man in Dalmatien noch keine Münze und theilte den Acker, ohne daran ein Son- dereigenthum anzuerkennen, von acht zu acht Jahren neu auf unter die gemeindsässigen Leute. Land- und Seeraub waren die einzigen bei ihnen heimischen Gewerbe. Diese Völkerschaften hatten in früheren Zeiten in einem losen Abhängigkeitsverhält- niſs zu den Herren von Skodra gestanden und waren insofern mitbetroffen worden von den römischen Expeditionen gegen die Königin Teuta (I, 369) und Demetrios von Pharos (I, 371); allein bei dem Regierungsantritt des Königs Genthios hatten sie sich losgemacht und waren dadurch dem Schicksal entgangen, das das südliche Illyrien in den Sturz des makedonischen Rei- ches verflocht und es von Rom dauernd abhängig machte (I, 589). Die Römer überlieſsen die wenig lockende Landschaft gern sich selbst. Allein die Klagen der römischen Illyrier, na- mentlich der Daorser, die an der Narenta südlich von den Dal- matern wohnten, und der Bewohner der Insel Issa (Lissa), deren continentale Stationen Tragyrion (Trau) und Epetion (bei Spa- latro) von den Eingebornen schwer zu leiden hatten, nöthigten die römische Regierung an die Dalmater eine Gesandtschaft ab- zuordnen und, da diese die Antwort zurückbrachte, daſs die Dal- mater um die Römer sich nicht gekümmert hätten noch küm- mern würden, im J. 598 ein Heer unter dem Consul Gaius Mar- cius Figulus dorthin zu senden. Er drang in Dalmatien ein, ward aber wieder zurückgedrängt bis auf das römische Gebiet. Erst sein Nachfolger Publius Scipio Nasica nahm 599 die groſse und feste Stadt Delmion ein, worauf die Eidgenossenschaft sich zum Ziel legte und sich bekannte als den Römern unterthänig. Indeſs war die sehr oberflächliche Erwerbung nicht wichtig genug um als eigenes Amt constituirt zu werden; man begnügte sich,

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/168>, abgerufen am 18.05.2024.