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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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DIE VÖLKER DES NORDENS.
keit herbeigeführt war, auch abgesehen von der wahrscheinlich
gegründeten, aber nicht erwiesenen Unterschlagung der tolosani-
schen Beute; indess trug zu der Wuth, die die Opposition gegen
ihn entwickelte, wesentlich auch das bei, dass er als Consul einen
Versuch gewagt hatte den Capitalisten die Geschwornenstellen zu
entreissen (S. 123). Um seinetwillen ward der alte ehrwürdige
Grundsatz: auch im schlechtesten Gefäss die Heiligkeit des Amtes
zu ehren, gebrochen und, während gegen den Urheber des can-
nensischen Unglückstages selbst der Tadel in die stille Brust ver-
schlossen worden war, der Urheber der Niederlage von Arausio
auf Antrag des Volkstribuns Gaius Norbanus durch Volksbeschluss
verfassungswidrig des Proconsulats entsetzt (650). Aber dies
genügte keineswegs. Trotz der factischen Abschaffung der Un-
tersuchungshaft und der Todesstrafe für politische Vergehen
ward Caepio festgenommen und der Hochverrathsprozess gegen
ihn eingeleitet in der ausgesprochenen Absicht das unvermeid-
liche Todesurtheil vollstrecken zu lassen. Die Regierungspartei
widersetzte sich auf das Heftigste diesem Beginnen und versuchte
durch tribunicische Intercession dasselbe auf verfassungsmässige
Weise zu beseitigen; allein die einsprechenden Tribune wurden
mit Gewalt aus der Versammlung verjagt und bei dem heftigen
Auflauf die ersten Männer des Senats von Steinwürfen getroffen.
Mit Mühe gelang es einem mit Caepio befreundeten Volkstribun
durch Aufopferung seiner eigenen bürgerlichen Existenz dem An-
geklagten wenigstens das Leben zu retten; man konnte es nicht
wehren, dass die Volksversammlung, zum ersten Mal seit der Ver-
bannung der Tarquinier, das Vermögen des ausgetretenen Man-
nes einzog und seine Rückkehr bei schwerster Strafe verpönte.
Wegen der in verdächtiger Weise verschwundenen tolosanischen
Kriegsbeute ward eine Specialcommission niedergesetzt; der Pro-
zesskrieg ging im J. 650 * seinen Gang eben wie fünf Jahre zu-
vor. -- Ernster als diese Massregeln der Rache war die Frage,
wie der gefährliche Krieg jenseit der Alpen ferner geführt und
zunächst wem darin die Oberfeldherrnschaft übertragen werden
sollte. Bei unbefangener Behandlung war es nicht schwer eine

* Die gewöhnliche sehr unüberlegte Annahme, dass die Anklage gegen
Caepio im J. 659, zehn Jahre nach der Schlacht von Arausio, stattgefunden
habe, beruht einzig auf Ciceros Angabe, dass Crassus als Consul, also 659
für Caepio sprach. Allein er sprach damals für ihn nicht als sein Verthei-
diger, sondern bei Gelegenheit des Prozesses gegen Norbanus, welcher
wegen seines Auftretens gegen Caepio allerdings im J. 659 zur Verantwor-
tung gezogen ward.

DIE VÖLKER DES NORDENS.
keit herbeigeführt war, auch abgesehen von der wahrscheinlich
gegründeten, aber nicht erwiesenen Unterschlagung der tolosani-
schen Beute; indeſs trug zu der Wuth, die die Opposition gegen
ihn entwickelte, wesentlich auch das bei, daſs er als Consul einen
Versuch gewagt hatte den Capitalisten die Geschwornenstellen zu
entreiſsen (S. 123). Um seinetwillen ward der alte ehrwürdige
Grundsatz: auch im schlechtesten Gefäſs die Heiligkeit des Amtes
zu ehren, gebrochen und, während gegen den Urheber des can-
nensischen Unglückstages selbst der Tadel in die stille Brust ver-
schlossen worden war, der Urheber der Niederlage von Arausio
auf Antrag des Volkstribuns Gaius Norbanus durch Volksbeschluſs
verfassungswidrig des Proconsulats entsetzt (650). Aber dies
genügte keineswegs. Trotz der factischen Abschaffung der Un-
tersuchungshaft und der Todesstrafe für politische Vergehen
ward Caepio festgenommen und der Hochverrathsprozeſs gegen
ihn eingeleitet in der ausgesprochenen Absicht das unvermeid-
liche Todesurtheil vollstrecken zu lassen. Die Regierungspartei
widersetzte sich auf das Heftigste diesem Beginnen und versuchte
durch tribunicische Intercession dasselbe auf verfassungsmäſsige
Weise zu beseitigen; allein die einsprechenden Tribune wurden
mit Gewalt aus der Versammlung verjagt und bei dem heftigen
Auflauf die ersten Männer des Senats von Steinwürfen getroffen.
Mit Mühe gelang es einem mit Caepio befreundeten Volkstribun
durch Aufopferung seiner eigenen bürgerlichen Existenz dem An-
geklagten wenigstens das Leben zu retten; man konnte es nicht
wehren, daſs die Volksversammlung, zum ersten Mal seit der Ver-
bannung der Tarquinier, das Vermögen des ausgetretenen Man-
nes einzog und seine Rückkehr bei schwerster Strafe verpönte.
Wegen der in verdächtiger Weise verschwundenen tolosanischen
Kriegsbeute ward eine Specialcommission niedergesetzt; der Pro-
zeſskrieg ging im J. 650 * seinen Gang eben wie fünf Jahre zu-
vor. — Ernster als diese Maſsregeln der Rache war die Frage,
wie der gefährliche Krieg jenseit der Alpen ferner geführt und
zunächst wem darin die Oberfeldherrnschaft übertragen werden
sollte. Bei unbefangener Behandlung war es nicht schwer eine

* Die gewöhnliche sehr unüberlegte Annahme, daſs die Anklage gegen
Caepio im J. 659, zehn Jahre nach der Schlacht von Arausio, stattgefunden
habe, beruht einzig auf Ciceros Angabe, daſs Crassus als Consul, also 659
für Caepio sprach. Allein er sprach damals für ihn nicht als sein Verthei-
diger, sondern bei Gelegenheit des Prozesses gegen Norbanus, welcher
wegen seines Auftretens gegen Caepio allerdings im J. 659 zur Verantwor-
tung gezogen ward.
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[171/0181] DIE VÖLKER DES NORDENS. keit herbeigeführt war, auch abgesehen von der wahrscheinlich gegründeten, aber nicht erwiesenen Unterschlagung der tolosani- schen Beute; indeſs trug zu der Wuth, die die Opposition gegen ihn entwickelte, wesentlich auch das bei, daſs er als Consul einen Versuch gewagt hatte den Capitalisten die Geschwornenstellen zu entreiſsen (S. 123). Um seinetwillen ward der alte ehrwürdige Grundsatz: auch im schlechtesten Gefäſs die Heiligkeit des Amtes zu ehren, gebrochen und, während gegen den Urheber des can- nensischen Unglückstages selbst der Tadel in die stille Brust ver- schlossen worden war, der Urheber der Niederlage von Arausio auf Antrag des Volkstribuns Gaius Norbanus durch Volksbeschluſs verfassungswidrig des Proconsulats entsetzt (650). Aber dies genügte keineswegs. Trotz der factischen Abschaffung der Un- tersuchungshaft und der Todesstrafe für politische Vergehen ward Caepio festgenommen und der Hochverrathsprozeſs gegen ihn eingeleitet in der ausgesprochenen Absicht das unvermeid- liche Todesurtheil vollstrecken zu lassen. Die Regierungspartei widersetzte sich auf das Heftigste diesem Beginnen und versuchte durch tribunicische Intercession dasselbe auf verfassungsmäſsige Weise zu beseitigen; allein die einsprechenden Tribune wurden mit Gewalt aus der Versammlung verjagt und bei dem heftigen Auflauf die ersten Männer des Senats von Steinwürfen getroffen. Mit Mühe gelang es einem mit Caepio befreundeten Volkstribun durch Aufopferung seiner eigenen bürgerlichen Existenz dem An- geklagten wenigstens das Leben zu retten; man konnte es nicht wehren, daſs die Volksversammlung, zum ersten Mal seit der Ver- bannung der Tarquinier, das Vermögen des ausgetretenen Man- nes einzog und seine Rückkehr bei schwerster Strafe verpönte. Wegen der in verdächtiger Weise verschwundenen tolosanischen Kriegsbeute ward eine Specialcommission niedergesetzt; der Pro- zeſskrieg ging im J. 650 * seinen Gang eben wie fünf Jahre zu- vor. — Ernster als diese Maſsregeln der Rache war die Frage, wie der gefährliche Krieg jenseit der Alpen ferner geführt und zunächst wem darin die Oberfeldherrnschaft übertragen werden sollte. Bei unbefangener Behandlung war es nicht schwer eine * Die gewöhnliche sehr unüberlegte Annahme, daſs die Anklage gegen Caepio im J. 659, zehn Jahre nach der Schlacht von Arausio, stattgefunden habe, beruht einzig auf Ciceros Angabe, daſs Crassus als Consul, also 659 für Caepio sprach. Allein er sprach damals für ihn nicht als sein Verthei- diger, sondern bei Gelegenheit des Prozesses gegen Norbanus, welcher wegen seines Auftretens gegen Caepio allerdings im J. 659 zur Verantwor- tung gezogen ward.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/181>, abgerufen am 18.05.2024.