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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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passende Wahl zu treffen. Rom war zwar in Vergleich mit frü-
heren Zeiten an militärischen Notabilitäten nicht reich; allein es
hatten doch Quintus Maximus in Gallien; Marcus Aemilius Scau-
rus und Marcus Minucius in den Donauländern, Quintus Metel-
lus, Publius Rutilius Rufus, Gaius Marius in Africa mit Auszeich-
nung commandirt; und es handelte sich ja nicht darum einen
Pyrrhus oder Hannibal zu schlagen, sondern den Barbaren des
Nordens gegenüber die oft erprobte Ueberlegenheit römischer
Waffen und römischer Taktik wieder in ihr Recht einzusetzen,
wozu es keines Helden bedurfte, sondern nur eines strengen und
tüchtigen Kriegsmanns. Allein es war eben eine Zeit, in der alles
eher möglich war als die unbefangene Erledigung einer Verwal-
tungsfrage. Schon der africanische Krieg hatte gezeigt, dass die
Regierung in der öffentlichen Meinung so vollständig bankerot
war, dass ihre tüchtigsten Feldherren in der vollen Siegeslauf-
bahn weichen mussten, so wie es einem namhaften Offizier einfiel
sie vor dem Volk herunterzumachen und als Candidat der Oppo-
sition von dieser sich an die Spitze der Geschäfte stellen zu lassen.
Es war kein Wunder, dass was nach den Siegen des Metellus ge-
schehen war, gesteigert sich wiederholte nach den Niederlagen
des Gnaeus Mallius und Quintus Caepio. Abermals trat Gaius
Marius trotz der Gesetze, die demselben Mann das Consulat mehr
als einmal zu bekleiden untersagten, auf als Bewerber um das
höchste Staatsamt und nicht bloss ward er, während er noch in
Africa an der Spitze des dortigen Heeres stand, zum Consul er-
nannt und ihm der Oberbefehl in dem gallischen Krieg überge-
ben, sondern es ward ihm auch fünf Jahre hinter einander (650
-654) wieder und wieder das Consulat übertragen in einer
Weise, die ein berechneter Hohn schien gegen den eben diesem
Mann gegenüber in seiner ganzen Thorheit und Kurzsichtigkeit
bewährten exclusiven Geist der Nobilität, aber freilich auch in
den Annalen der Republik unerhört und in der That mit dem
Geiste der freien Verfassung Roms schlechterdings unverträglich
war. Namentlich in dem römischen Militärwesen, dessen im afri-
canischen Krieg begonnene Umgestaltung aus einer Bürgerwehr
in eine Söldnerschaar Marius fortsetzte und vollendete während
seines fünfjährigen durch die Noth der Zeit mehr noch als durch
die Clauseln seiner Bestallung unumschränkten Obercommandos,
sind die tiefen Spuren dieser inconstitutionellen Oberfeldherrn-
schaft des ersten demokratischen Generals für alle Zeiten sicht-
bar geblieben.

Der neue Oberfeldherr Gaius Marius erschien im J. 650 jen-

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passende Wahl zu treffen. Rom war zwar in Vergleich mit frü-
heren Zeiten an militärischen Notabilitäten nicht reich; allein es
hatten doch Quintus Maximus in Gallien; Marcus Aemilius Scau-
rus und Marcus Minucius in den Donauländern, Quintus Metel-
lus, Publius Rutilius Rufus, Gaius Marius in Africa mit Auszeich-
nung commandirt; und es handelte sich ja nicht darum einen
Pyrrhus oder Hannibal zu schlagen, sondern den Barbaren des
Nordens gegenüber die oft erprobte Ueberlegenheit römischer
Waffen und römischer Taktik wieder in ihr Recht einzusetzen,
wozu es keines Helden bedurfte, sondern nur eines strengen und
tüchtigen Kriegsmanns. Allein es war eben eine Zeit, in der alles
eher möglich war als die unbefangene Erledigung einer Verwal-
tungsfrage. Schon der africanische Krieg hatte gezeigt, daſs die
Regierung in der öffentlichen Meinung so vollständig bankerot
war, daſs ihre tüchtigsten Feldherren in der vollen Siegeslauf-
bahn weichen muſsten, so wie es einem namhaften Offizier einfiel
sie vor dem Volk herunterzumachen und als Candidat der Oppo-
sition von dieser sich an die Spitze der Geschäfte stellen zu lassen.
Es war kein Wunder, daſs was nach den Siegen des Metellus ge-
schehen war, gesteigert sich wiederholte nach den Niederlagen
des Gnaeus Mallius und Quintus Caepio. Abermals trat Gaius
Marius trotz der Gesetze, die demselben Mann das Consulat mehr
als einmal zu bekleiden untersagten, auf als Bewerber um das
höchste Staatsamt und nicht bloſs ward er, während er noch in
Africa an der Spitze des dortigen Heeres stand, zum Consul er-
nannt und ihm der Oberbefehl in dem gallischen Krieg überge-
ben, sondern es ward ihm auch fünf Jahre hinter einander (650
-654) wieder und wieder das Consulat übertragen in einer
Weise, die ein berechneter Hohn schien gegen den eben diesem
Mann gegenüber in seiner ganzen Thorheit und Kurzsichtigkeit
bewährten exclusiven Geist der Nobilität, aber freilich auch in
den Annalen der Republik unerhört und in der That mit dem
Geiste der freien Verfassung Roms schlechterdings unverträglich
war. Namentlich in dem römischen Militärwesen, dessen im afri-
canischen Krieg begonnene Umgestaltung aus einer Bürgerwehr
in eine Söldnerschaar Marius fortsetzte und vollendete während
seines fünfjährigen durch die Noth der Zeit mehr noch als durch
die Clauseln seiner Bestallung unumschränkten Obercommandos,
sind die tiefen Spuren dieser inconstitutionellen Oberfeldherrn-
schaft des ersten demokratischen Generals für alle Zeiten sicht-
bar geblieben.

Der neue Oberfeldherr Gaius Marius erschien im J. 650 jen-

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[172/0182] VIERTES BUCH. KAPITEL V. passende Wahl zu treffen. Rom war zwar in Vergleich mit frü- heren Zeiten an militärischen Notabilitäten nicht reich; allein es hatten doch Quintus Maximus in Gallien; Marcus Aemilius Scau- rus und Marcus Minucius in den Donauländern, Quintus Metel- lus, Publius Rutilius Rufus, Gaius Marius in Africa mit Auszeich- nung commandirt; und es handelte sich ja nicht darum einen Pyrrhus oder Hannibal zu schlagen, sondern den Barbaren des Nordens gegenüber die oft erprobte Ueberlegenheit römischer Waffen und römischer Taktik wieder in ihr Recht einzusetzen, wozu es keines Helden bedurfte, sondern nur eines strengen und tüchtigen Kriegsmanns. Allein es war eben eine Zeit, in der alles eher möglich war als die unbefangene Erledigung einer Verwal- tungsfrage. Schon der africanische Krieg hatte gezeigt, daſs die Regierung in der öffentlichen Meinung so vollständig bankerot war, daſs ihre tüchtigsten Feldherren in der vollen Siegeslauf- bahn weichen muſsten, so wie es einem namhaften Offizier einfiel sie vor dem Volk herunterzumachen und als Candidat der Oppo- sition von dieser sich an die Spitze der Geschäfte stellen zu lassen. Es war kein Wunder, daſs was nach den Siegen des Metellus ge- schehen war, gesteigert sich wiederholte nach den Niederlagen des Gnaeus Mallius und Quintus Caepio. Abermals trat Gaius Marius trotz der Gesetze, die demselben Mann das Consulat mehr als einmal zu bekleiden untersagten, auf als Bewerber um das höchste Staatsamt und nicht bloſs ward er, während er noch in Africa an der Spitze des dortigen Heeres stand, zum Consul er- nannt und ihm der Oberbefehl in dem gallischen Krieg überge- ben, sondern es ward ihm auch fünf Jahre hinter einander (650 -654) wieder und wieder das Consulat übertragen in einer Weise, die ein berechneter Hohn schien gegen den eben diesem Mann gegenüber in seiner ganzen Thorheit und Kurzsichtigkeit bewährten exclusiven Geist der Nobilität, aber freilich auch in den Annalen der Republik unerhört und in der That mit dem Geiste der freien Verfassung Roms schlechterdings unverträglich war. Namentlich in dem römischen Militärwesen, dessen im afri- canischen Krieg begonnene Umgestaltung aus einer Bürgerwehr in eine Söldnerschaar Marius fortsetzte und vollendete während seines fünfjährigen durch die Noth der Zeit mehr noch als durch die Clauseln seiner Bestallung unumschränkten Obercommandos, sind die tiefen Spuren dieser inconstitutionellen Oberfeldherrn- schaft des ersten demokratischen Generals für alle Zeiten sicht- bar geblieben. Der neue Oberfeldherr Gaius Marius erschien im J. 650 jen-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/182>, abgerufen am 18.05.2024.