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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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die Pässe bewachen; allein der Gegend nicht völlig kundig und
fürchtend umgangen zu werden hatte er sich nicht getraut in die
Alpen selbst vorzurücken, sondern unterhalb Trient am linken
Ufer der Etsch sich aufgestellt und für alle Fälle den Rückzug
auf das rechte durch Anlegung einer Brücke sich gesichert.
Allein als nun die Kimbrer in dichten Schaaren aus den Bergen
hervordrangen, ergriff ein panischer Schreck das römische Heer
und Legionare und Reiter liefen davon, diese gerades Wegs nach
der Hauptstadt, jene auf die nächste Anhöhe, die Sicherheit zu
gewähren schien. Mit Mühe gelang es Catulus den grössten Theil
seines Heeres durch eine Kriegslist wieder an den Fluss und über
die Brücke zu bringen, gegen welche die den oberen Lauf der
Etsch beherrschenden Feinde schon Bäume und Balken hinabtrei-
ben liessen, um sie zu zerstören und damit dem Heer den Rück-
zug abzuschneiden. Eine Legion indess hatte der Feldherr auf
dem andern Ufer zurücklassen müssen und bereits wollte der
feige Tribun, der sie führte, capituliren, als der Rottenführer
Gnaeus Petreius von Atina ihn niederstiess und mitten durch die
Feinde auf das rechte Ufer der Etsch zu dem Hauptheer sich den
Weg bahnte. So war das Heer und einigermassen selbst die
Waffenehre gerettet; allein die Folgen der versäumten Besetzung
der Pässe und des übereilten Rückzugs waren dennoch sehr em-
pfindlich. Catulus musste auf das rechte Ufer des Po sich zu-
rückziehen und die ganze Ebene zwischen dem Po und den Al-
pen in der Gewalt der Kimbrer lassen, so dass man nur zur See
noch mit Aquileia die Verbindung unterhielt. Dies geschah im
Sommer 652, um dieselbe Zeit wo es zwischen den Teutonen
und den Römern bei Aquae Sextiae zur Entscheidung kam. Hät-
ten die Kimbrer ihren Angriff ununterbrochen fortgesetzt, so
konnte Rom in eine sehr bedrängte Lage gerathen; indess ihrer
Gewohnheit den Winter zu rasten blieben sie auch diesmal und
um so mehr getreu, als das reiche Land, die ungewohnten Quar-
tiere unter Dach und Fach, die warmen Bäder, die neuen und
reichlichen Speisen und Getränke sie einluden vorläufig es sich
wohl sein zu lassen. Dadurch gewannen die Römer Zeit ihnen
mit vereinigten Kräften in Italien zu begegnen. Es war keine
Zeit, was der demokratische General sonst wohl gethan haben
würde, den unterbrochenen Eroberungsplan des Keltenlandes,
wie Gaius Gracchus ihn mochte entworfen haben, jetzt wieder
aufzunehmen; von dem Schlachtfeld von Aix wurde das sieg-
reiche Heer an den Po geführt und nach kurzem Verweilen in
der Hauptstadt, wo er den ihm angetragenen Triumph bis nach

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die Pässe bewachen; allein der Gegend nicht völlig kundig und
fürchtend umgangen zu werden hatte er sich nicht getraut in die
Alpen selbst vorzurücken, sondern unterhalb Trient am linken
Ufer der Etsch sich aufgestellt und für alle Fälle den Rückzug
auf das rechte durch Anlegung einer Brücke sich gesichert.
Allein als nun die Kimbrer in dichten Schaaren aus den Bergen
hervordrangen, ergriff ein panischer Schreck das römische Heer
und Legionare und Reiter liefen davon, diese gerades Wegs nach
der Hauptstadt, jene auf die nächste Anhöhe, die Sicherheit zu
gewähren schien. Mit Mühe gelang es Catulus den gröſsten Theil
seines Heeres durch eine Kriegslist wieder an den Fluſs und über
die Brücke zu bringen, gegen welche die den oberen Lauf der
Etsch beherrschenden Feinde schon Bäume und Balken hinabtrei-
ben lieſsen, um sie zu zerstören und damit dem Heer den Rück-
zug abzuschneiden. Eine Legion indeſs hatte der Feldherr auf
dem andern Ufer zurücklassen müssen und bereits wollte der
feige Tribun, der sie führte, capituliren, als der Rottenführer
Gnaeus Petreius von Atina ihn niederstieſs und mitten durch die
Feinde auf das rechte Ufer der Etsch zu dem Hauptheer sich den
Weg bahnte. So war das Heer und einigermaſsen selbst die
Waffenehre gerettet; allein die Folgen der versäumten Besetzung
der Pässe und des übereilten Rückzugs waren dennoch sehr em-
pfindlich. Catulus muſste auf das rechte Ufer des Po sich zu-
rückziehen und die ganze Ebene zwischen dem Po und den Al-
pen in der Gewalt der Kimbrer lassen, so daſs man nur zur See
noch mit Aquileia die Verbindung unterhielt. Dies geschah im
Sommer 652, um dieselbe Zeit wo es zwischen den Teutonen
und den Römern bei Aquae Sextiae zur Entscheidung kam. Hät-
ten die Kimbrer ihren Angriff ununterbrochen fortgesetzt, so
konnte Rom in eine sehr bedrängte Lage gerathen; indeſs ihrer
Gewohnheit den Winter zu rasten blieben sie auch diesmal und
um so mehr getreu, als das reiche Land, die ungewohnten Quar-
tiere unter Dach und Fach, die warmen Bäder, die neuen und
reichlichen Speisen und Getränke sie einluden vorläufig es sich
wohl sein zu lassen. Dadurch gewannen die Römer Zeit ihnen
mit vereinigten Kräften in Italien zu begegnen. Es war keine
Zeit, was der demokratische General sonst wohl gethan haben
würde, den unterbrochenen Eroberungsplan des Keltenlandes,
wie Gaius Gracchus ihn mochte entworfen haben, jetzt wieder
aufzunehmen; von dem Schlachtfeld von Aix wurde das sieg-
reiche Heer an den Po geführt und nach kurzem Verweilen in
der Hauptstadt, wo er den ihm angetragenen Triumph bis nach

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[176/0186] VIERTES BUCH. KAPITEL V. die Pässe bewachen; allein der Gegend nicht völlig kundig und fürchtend umgangen zu werden hatte er sich nicht getraut in die Alpen selbst vorzurücken, sondern unterhalb Trient am linken Ufer der Etsch sich aufgestellt und für alle Fälle den Rückzug auf das rechte durch Anlegung einer Brücke sich gesichert. Allein als nun die Kimbrer in dichten Schaaren aus den Bergen hervordrangen, ergriff ein panischer Schreck das römische Heer und Legionare und Reiter liefen davon, diese gerades Wegs nach der Hauptstadt, jene auf die nächste Anhöhe, die Sicherheit zu gewähren schien. Mit Mühe gelang es Catulus den gröſsten Theil seines Heeres durch eine Kriegslist wieder an den Fluſs und über die Brücke zu bringen, gegen welche die den oberen Lauf der Etsch beherrschenden Feinde schon Bäume und Balken hinabtrei- ben lieſsen, um sie zu zerstören und damit dem Heer den Rück- zug abzuschneiden. Eine Legion indeſs hatte der Feldherr auf dem andern Ufer zurücklassen müssen und bereits wollte der feige Tribun, der sie führte, capituliren, als der Rottenführer Gnaeus Petreius von Atina ihn niederstieſs und mitten durch die Feinde auf das rechte Ufer der Etsch zu dem Hauptheer sich den Weg bahnte. So war das Heer und einigermaſsen selbst die Waffenehre gerettet; allein die Folgen der versäumten Besetzung der Pässe und des übereilten Rückzugs waren dennoch sehr em- pfindlich. Catulus muſste auf das rechte Ufer des Po sich zu- rückziehen und die ganze Ebene zwischen dem Po und den Al- pen in der Gewalt der Kimbrer lassen, so daſs man nur zur See noch mit Aquileia die Verbindung unterhielt. Dies geschah im Sommer 652, um dieselbe Zeit wo es zwischen den Teutonen und den Römern bei Aquae Sextiae zur Entscheidung kam. Hät- ten die Kimbrer ihren Angriff ununterbrochen fortgesetzt, so konnte Rom in eine sehr bedrängte Lage gerathen; indeſs ihrer Gewohnheit den Winter zu rasten blieben sie auch diesmal und um so mehr getreu, als das reiche Land, die ungewohnten Quar- tiere unter Dach und Fach, die warmen Bäder, die neuen und reichlichen Speisen und Getränke sie einluden vorläufig es sich wohl sein zu lassen. Dadurch gewannen die Römer Zeit ihnen mit vereinigten Kräften in Italien zu begegnen. Es war keine Zeit, was der demokratische General sonst wohl gethan haben würde, den unterbrochenen Eroberungsplan des Keltenlandes, wie Gaius Gracchus ihn mochte entworfen haben, jetzt wieder aufzunehmen; von dem Schlachtfeld von Aix wurde das sieg- reiche Heer an den Po geführt und nach kurzem Verweilen in der Hauptstadt, wo er den ihm angetragenen Triumph bis nach

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/186>, abgerufen am 18.05.2024.